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Frauen im Anmarsch

Mit Präsident Emmanuel Macron soll ein neuer Wind durch Frankreich wehen. Und Frauen sollen dabei eine zentrale Rolle spielen. Denn Macron will laut eigenen Ankündigungen nichts weniger als die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau zur Staatsangelegenheit machen.

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Eine eigene Frauenministerin gibt es zwar nicht, doch mit der neuen Staatssekretärin für die Gleichheit von Mann und Frau, Marlene Schiappa, holte Macron eine streitbare feministische Bloggerin an Bord. Zuletzt gehörte sie zum Beraterstab Macrons und war Mitarbeiterin des Bürgermeisteramtes in Le Mans.

Von der „Maman Travaille“ zur „Maman Ministre“

Schiappa hatte immer wieder mit unmissverständlichen Ansagen vor allem im rechten Lager für Aufregung gesorgt. Die französische Tageszeitung „Le Monde“ bezeichnete sie anlässlich ihrer Ernennung eine „militante Frauenrechtsbloggerin“. Von der „Maman Travaille zur Maman Ministre“ schrieben viele in Anspielung auf „Maman Travaille“, ein Netzwerk für junge arbeitende Mütter und den dazugehörigen Blog, der Schiappa 2008 zu erster großer Bekanntheit verholfen hatte.

Marlene Schiappa (französische Staatssekretärin für Gleichberechtigung)

APA/AFP/Stephane De Sakutin

Marlene Schiappa fordert 5.000 Euro Strafe für sexuelle Belästigung auf der Straße

Später wechselte die heute 34-Jährige zu bekannteren Medien und schrieb unter anderem für die französische Ausgabe der Zeitung „Huffington Post“. Und sie machte sich auch als Schriftstellerin einen Namen. Der neueste Roman Schiappas behandelt die Geschichte ihrer Urgroßmutter, davor schrieb sie über eine junge Gleichstellungsbeauftragte in der Provinz, ein anderer Roman handelt vom Muttersein - eingeordnet werden die Werke in das Chick-Lit-Genre, also witzige, leichtfüßige Lektüre von jungen Frauen über junge Frauen.

Doch mit dem Schreiben ist wohl vorerst einmal Pause. Denn nun ist Sachpolitik gefragt. Die Vorgabe des Präsidenten: die Gehaltsschere zwischen Männern und Frauen zu schließen und die Rechte der Frauen am Arbeitsplatz zu verbessern. Doch als erstes Ziel nannte Schiappa, die alltägliche sexuelle Belästigung auf der Straße bekämpfen zu wollen.

Kampf dem „French Lover“

Das Selbstbild der Männer als „French Lover“ sei ein Problem, so Schiappa gegenüber der britischen Tageszeitung „The Guardian“. Diese Männer fänden ihr Verhalten akzeptabel, doch das sei es nicht. Frauen würden etwa in den öffentlichen Verkehrsmitteln so penetrant belästigt, dass viele es bereits vorzögen, möglichst unauffällig gekleidet aus dem Haus zu gehen, wenn sie die Metro benutzen wollten, schildert Schiappas den Alltag vieler Großstädterinnen.

Bereits die Vorgängerregierung hatte die Kampagne „Stopp: Es ist genug“ ins Leben gerufen. Sie sollte Frauen ermutigen, Fälle sexueller Belästigung zur Anzeige zu bringen. Schiappa will weitergehen - mit einer saftigen Geldstrafe: „20 Euro wären beschämend, 5.000 Euro wären da schon abschreckender.“ An einer Strategie werde derzeit gearbeitet.

„Kultur der Vergewaltigung“

Ähnlich radikal will sie die unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen bekämpfen. In Frankreich verdienen Frauen je nach Branche zwischen zwölf und 27 Prozent weniger als Männer. Schiappa will zunächst die großen Konzerne des Landes zu Beratungen darüber einladen. Wer nicht kooperativ ist, soll öffentlich genannt werden. Weiters ganz oben auf Schiappas Agenda: Homophobie und das, was Schiappa „Frankreichs Kultur der Vergewaltigung“ nennt - das Beschönigen von Vergewaltigung, das Finden von Ausreden und die Täter-Opfer-Umkehr.

So suche man in der Medienberichterstattung vergeblich das Wort „Vergewaltiger“, führt Schiappa aus. Immer heiße es: „Eine Frau wurde vergewaltigt“ oder „Eine Frau gibt an, vergewaltigt worden zu sein“. Niemals sei hingegen zu lesen: „Ein Mann vergewaltigte eine Frau.“ Der Täter werde versteckt, das Opfer angeklagt, kritisiert Schiappa.

Recht auf künstliche Befruchtung für Lesben

Mit ihrer Kampfansage an weit verbreitete Verhaltens- und Denkweisen bietet die gebürtige Korsin die mit Abstand größte Angriffsfläche unter den neuen Ministerinnen und Staatssekretärinnen. Die Kritik nach ihrer Ernennung vor allem aus dem rechten Lager war immens. Maßnahmen wie das bereits in die Wege geleitete Recht auf künstliche Befruchtung für lesbische und alleinstehende Frauen etwa stoßen auf erbitterten Widerstand.

Der französische Ethikrat sprach sich diese Woche allerdings bereits dafür aus. Umfragen zufolge sind rund 60 Prozent der Bevölkerung dafür, das Recht auf eine künstliche Befruchtung auszuweiten. Der Widerstand kommt vor allem von konservativ-religiösen Gruppen.

Kritik an „tele-feministe“ Schiappa

Die Kritik blieb freilich nicht sachlich. Schiappa wurde vorgeworfen, Frauen zum Sozialbetrug zu ermuntern, weil sie in einem ihrer Romane geschrieben hatte, dass Frauen sich möglichst unvorteilhaft kleiden, eine Traumatisierung vortäuschen und überhaupt alles übertreiben sollten, um länger in Karenz bleiben zu können, wenn sie das denn wollten. Die Ironie und der Kontext dieser Aussage blieben auf der Strecke. Schiappa wurde außerdem als „tele-feministe“ mit „Social-Media-Sucht“ verunglimpft.

Kulturministerin Francoise Nyssen, Inklusionsbeauftragte Sophie Cluzel und Marlene Schiappa Staatssekretärin für Gleichberechtigung)

Reuters/Benoit Tessier

Neo-Kulturministerin Francoise Nyssen, die neue Inklusionsbeauftragte Sophie Cluzel und Schiappa (v. l. n. r.)

Verunglückte Twitter-Aktion zum Start

Und tatsächlich verlief der Auftakt der neuen Staatssekretärin wegen eines verunglückten Tweets im Kurznachrichtendienst Twitter holprig. Schiappa postete Fotos eines Undercoverausflugs in eine der berüchtigtsten Gegenden von Paris, um zu signalisieren, dass es keine No-go-Areas in Frankreich gebe. Der Schuss ging nach hinten los: Kritiker warfen ihr vor, sich bloß inszenieren zu wollen und überdies das Problem herunterzuspielen. Die Posts wurden rasch gelöscht, doch es war zu spät: Etliche Medien brachten die Bilder, die zeigten, wie Schiappa unbegleitet durch die Straßen von La Chapelle-Pajol geht. Der Posting-Text lautete: „Die Gesetze der Republik schützen Frauen und wirken überall und zu jeder Tageszeit.“

Das traditionelle Arbeiter- und Einwandererviertel ist eines der ärmsten der Hauptstadt und ein bekannter sozialer Brennpunkt. Die meisten Flüchtlinge stranden derzeit dort. In den letzten Monaten war das Viertel im Nordosten von Paris wegen Demonstrationen in den Schlagzeilen. Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtteils protestierten, dass die Gegend für Frauen zu unsicher geworden sei. Die Pariser Bürgermeistern Anne Hidalgo von der Parti Socialiste (PS) sprach ihnen ihre Unterstützung zu.

Knapp 40 Prozent Frauen im Parlament

Wenig überraschend steht schließlich auch der Vorwurf der politischen Unbedarftheit Schiappas im Raum. Dazu Schiappa: „Ich habe Lebenserfahrung und ich denke, das reicht durchaus. Und wir wissen nun, dass Menschen mit politischer Erfahrung nicht gerade erfolgreich sind. Das Land ist in keinem guten Zustand. Also lasst es uns versuchen.“ Dem neuen Präsidenten, der sie wie zahlreiche andere - oft weibliche - politische Quereinsteiger an Bord geholt hatte, streut Schiappa Rosen. „Er war der Erste, der sagte: Ich bin ein Feminist.“ Zudem setze er auf Parität - Gleichheit - im Parlament, so Schiappa.

Grafik zeigt Anteil weiblicher Abgeordneter im französischen Parlament

Grafik: ORF.at; Quelle: lefigaro.fr

Tatsächlich waren knapp die Hälfte der 577 Kandidaten und Kandidatinnen von Macrons La Republique en Marche und ihren Verbündeten für die Parlamentswahlen im Juni Frauen. Nach der Wahl stieg der Frauenanteil im Unterhaus folglich kräftig und erreicht nach der Wahl annähernd 39 Prozent - nach rund 27 Prozent vor fünf Jahren. Insgesamt sind fast drei Viertel der Parlamentsabgeordneten neu in der Politik.

Die neue französische Verteidigungsministerin Florence Parly

APA/AFP/Benjamin Cremel

Die Spitzenbeamtin und bisherige Bahnmanagerin Florence Parly ist die neue Verteidigungsministerin

Die neuen Ministerinnen

Insgesamt gehören der neuen Regierung 22 Ministerinnen und Minister sowie Staatssekretäre und Staatssekretärinnen an. In ihr sind gleich viele Frauen wie Männer vertreten. Die Spitzenbeamtin und bisherige Bahnmanagerin Florence Parly ist die neue Verteidigungsministerin, die belgisch-französische Verlegerin Francoise Nyssen neue Kulturministerin. Frederique Vidal wurde Ministerin für höhere Bildung, Forschung und Innovation. Die erfolgreichste französische Teilnehmerin bei Olympischen Spielen, die Fechterin und Politikerin Laura Flessel, ist neue Sportministerin, Elisabeth Borne Transportministerin. Sophie Cluzel wurde Inklusionsbeauftragte. Zur Ministerin für Überseegebiete ernannte Macron Annick Girardin.

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