Web immer zentralisierter
Sicher, flexibel, verlässlich: Mit diesen Schlagworten werden Cloud-Lösungen bevorzugt beworben. Der Trend weg vom eigenen Server im Netz hin zu Dienstleistern, die ihre Infrastruktur bereitstellen, bestimmt seit Jahren die Branche. Durch die Marktdominanz einiger weniger Anbieter wird das Internet zunehmend zentralisiert - und damit auch verwundbarer.
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Kleine und große Unternehmen vertrauen ihre Applikationen und Daten anderen Firmen an und können sich damit, so die Werbebotschaft, mehr auf ihr Produkt und weniger auf den technischen Betrieb konzentrieren. Zahlreiche populäre Dienste wie Netflix und Snapchat verlassen sich auf die Cloud-Lösungen des Onlinehändlers Amazon.
Marktführer Amazon bestimmt das Netz
Als einer der ersten großen Anbieter stellte der Versandhändler bereits 2006 unter dem Namen Amazon Web Services (AWS) Rechenleistung und Speicherkapazität zur Verfügung. Seit Jahren ist der Konzern damit Marktführer, das Cloud-Geschäft macht knapp ein Zehntel des Gesamtumsatzes aus. Auch andere große Namen in der Branche, wie Google (Google Cloud Platform) und Microsoft (Azure), locken mit eigenen Angeboten in die Netz-Wolke.
Wie sehr sich die Netzwelt mittlerweile auf Angebote wie AWS verlässt, merken Anwender am ehesten an einem Ausfall. Oft ist dafür kein gezielter Angriff verantwortlich, sondern die Infrastruktur an sich der Verursacher. Wie sich im März gezeigt hat, kann sogar ein einfacher Tippfehler gleich mehrere populäre Websites komplett zum Stillstand bringen.
In der Vergangenheit führten technische Gebrechen auch bei anderen Unternehmen zum zwischenzeitlichen Ausfall großer Teile des Netzes. So führte etwa im Jahr 2013 ein Fehler in der Netzwerkkonfiguration bei Cloudflare, das unzählige Unternehmen gegen Angriffe aus dem Netz sichert, dazu, dass damals rund 750.000 Seiten kurzfristig unerreichbar waren.
Schwächelnder Knotenpunkt in Nord-Virginia
Bei Amazon sorgte im September 2015 schon einmal eine Störung - damals war ein Fehler im Datenbanksystem der Verursacher - für Ausfälle bei zahlreichen Diensten, darunter die Datingplattform Tinder und die Filmdatenbank IMDb. Wie auch bei der neuesten Panne äußerte sich der Fehler nur in einer der insgesamt 15 Regionen, die der Konzern als „US-EAST-1“ bezeichnet.
Amazon selbst gibt sich bei seinen Rechenzentren sehr bedeckt, als Standort wird lediglich Nord-Virginia genannt, angrenzend an die US-Hauptstadt Washington D.C. Die Rechenzentren liegen damit nicht nur in Griffweite der US-Regierung, sondern auch an einem besonders starken Punkt des Internet-„Backbone“, den „Hauptverkehrswegen“ des Netzes.
Auch welche Computer in den Rechenzentren zum Einsatz kommen, ist bis auf einige inoffizielle Hinweise nicht bekannt. Fest steht nur, dass der Standort in Virginia der älteste in Amazons Cloud ist und aus einer Zeit stammt, in der der Hype um die verteilte Infrastruktur erst in der Entstehung war. IT-Experten vermuten vor allem hinter dem fortgeschrittenen Alter einen der Gründe für die erhöhte Fehleranfälligkeit.
Störanfälliges „Internet of Things“
In Zukunft könnte auch der Komfort in den eigenen vier Wänden unter Ausfällen der Cloud leiden. Während der AWS-Störung warnte etwa die Google-Tochter Nest über den Kurzbotschaftendienst Twitter, dass die angebotenen „smarten“ Überwachungskameras in der Zeit des Ausfalls nicht aufnehmen können. Auch LED-Lampen, Fernsteuerungen und Thermostate sollen unter den betroffenen Geräten gewesen sein. Mit dem rasanten Wachstum des „Internet of Things“ werden auch Haushaltsgeräte zunehmend von Cloud-Diensten abhängig.
Berners-Lee für „Re-Dezentralisierung“
Der Erfinder des World Wide Web, Tim Berners-Lee, spricht sich indes für eine Rückkehr zu einem dezentraleren Netz aus, vor allem im Hinblick auf den Datenschutz. In einem Interview mit dem Netzkulturmagazin „Wired“ aus dem Jahr 2014 bezeichnete er es als besorgniserregend, dass man sich heute auf „große Firmen und einen einzigen großen Server“ verlasse.
Berners-Lee leitet am Massachusetts Institute of Technology (MIT) eine Gruppe, die sich mit dezentralisierter Information beschäftigt. Kern der Forschung ist das Anliegen, Daten zurück in den Besitz der Anwender zu übergeben. Das Projekt „Solid“ trennt Anwendungen von Daten - Benutzer müssten damit vertrauliche Informationen künftig nicht mehr auf unbekannten Rechnern speichern.
Tatsächlich nur wenige Stunden „Downtime“
Wenngleich eine Störung wie im Rechenzentrum von Amazon für messbare Verluste und viel Ärger sorgen kann, kommt es bisher verhältnismäßig selten zu tatsächlichen Ausfällen. Viele der großen Cloud-Anbieter verzeichnen in ihren Jahresstatistiken nur wenige Stunden, in denen ihre Dienste nicht erreichbar sind. Doch die zunehmende Abhängigkeit von den Cloud-Diensten weniger Unternehmen schafft neuralgische Punkte, die die namensgebende Infrastruktur des Netzes gefährden.
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