Widerstand der Pharmaindustrie
Methadon wird in Österreich seit vielen Jahren im Heroinentzug eingesetzt und ist daher den meisten als Drogensubstitut bekannt. Aber auch im palliativen Bereich findet es seit Jahren als Schmerzmittel Verwendung. Und genau dort machte ein Arzt aus Deutschland eine überraschende Entdeckung: Krebspatienten, denen er Methadon verschrieb, lebten deutlich länger als von Ärzten prognostiziert.
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Diesem Arzt, Hans-Jörg Hilscher, ließ seine Entdeckung keine Ruhe. In der Chemikerin Claudia Friesen von der Uniklinik Ulm fand er eine Mitstreiterin. Friesen konnte 2008 im Tierversuch nachweisen, dass Krebszellen, wenn die Chemotherapie mit D,L-Methadon kombiniert wird, innerhalb kürzester Zeit absterben. D,L-Methadon zeigte sich sogar so wirksam, dass selbst Resistenzen gegen Chemotherapie überwunden werden.
Methadon ist unverzichtbar
Methadon wurde bereits 1937 synthetisch hergestellt und ist ein Opioid mit starker schmerzstillender Wirkung. Es nimmt in der Heroinsubstitution eine so wichtige Rolle ein, dass es von der WHO in die Liste der unverzichtbaren Arzneimittel aufgenommen wurde.
Dennoch dauerte es weitere acht Jahre, bis Friesen 2014 ihre wissenschaftliche Forschung der Öffentlichkeit präsentierte. Erste Artikel erschienen im Internet, in denen Fallbeispiele von Patienten mit Gehirntumoren und Leukämiepatienten erwähnt wurden, wo die Behandlung mit dem D,L-Methadon sogar zur vollständigen Rückbildung der Tumore geführt haben soll.
„Es ist kein Wundermittel“, betonte Friesen vor einem Jahr in einem Interview mit der deutschen „Tagesschau“, „aber eine Chance für Krebspatienten, die als austherapiert gelten oder sehr schlecht auf eine Chemo- oder Strahlentherapie ansprechen.“ Mittlerweile hat Friesen über 750 Patienten mit Methadon behandelt und schwört auf den Erfolg.
Ärzte warnen vor „Experiment“
Doch es dauerte nicht lange, bis sich die ersten Kritiker zu Wort meldeten. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie warnte gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Krebsgesellschaft vor dem Einsatz dieser experimentellen Therapie. In dieselbe Kerbe schlägt die Österreichische Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (OeGHO). Beide weisen immer wieder auf fehlende Studien über die Wirksamkeit des D,L-Methadons hin. Und genau hier liegt das Problem. Trotz zahlreicher Versuche schaffte es Friesen bisher nicht, das nötige Geld für eine wissenschaftliche Studie aufzutreiben. Sie sieht den Grund im mangelnden Interesse der Pharmafirmen an dem Medikament.
Zu billig für Pharmafirmen?
Deutsche Pharmafirmen gaben 2014 rund sechs Milliarden Euro für Forschungsprojekte aus – und damit etwa 4.000-mal so viel Geld wie unabhängige Forschungsstellen, wie die „Welt am Sonntag“ recherchierte. Das Patent auf Methadon ist jedoch seit vielen Jahren ausgelaufen und brächte den Pharmaunternehmen keinen Profit.
„Wenn Methadon seine zwölf Euro kostet für vier bis sechs Wochen und vielleicht in Konkurrenz zu einem Medikament mit 20.000 bis 25.000 Euro steht, kann ich mir schon vorstellen, dass Methadon keine Chance hat“, erklärte Friesen in einem ARD-Beitrag, der derzeit tausendfach in Sozialen Netzwerken geteilt wird.
Sammlung für Studienfinanzierung
Friesen und Hilscher sind mittlerweile selbst aktiv geworden und treten regelmäßig im deutschen Fernsehen auf, wo sie um Spenden bitten. Rund 1,5 Millionen Euro wären notwendig, um eine evidenzbasierte Studie zu finanzieren, und somit auch wissenschaftlich fundiert ihre Erfolge nachzuweisen. Denn solange keine Beweise auf dem Tisch liegen, so lange werden Ärzte von einer Behandlung mit D,L-Methadon abraten - so wie auch am LKH Feldkirch, wo sich Mediziner mit der Frage der Methadon-Therapie beschäftigt haben - mehr dazu in Nein zu Methadon in der Krebstherapie.
Patienten werden selbst aktiv
Unterdessen werden - auch wegen der zahlreichen Medienberichte - viele Patienten selbst aktiv, und immer mehr Hausärzte sehen sich mit dem Wunsch nach einer Methadon-Behandlung konfrontiert. Die flüssige Lösung kann im Grunde jede Apotheke zusammenmischen, und die Patienten nehmen morgens und abends 20 bis 35 Tropfen der Flüssigkeit ein. Die Nebenwirkungen gelten – vor allem im Vergleich zu vielen Chemotherapien – als gering. Als starkes Opioid kann es zu Übelkeit und Verstopfung führen, wobei beides laut Erfahrungsberichten mit einer Gewöhnung wieder vergeht.
Methadon wird über die Mundschleimhaut aufgenommen und über Leber und Niere wieder ausgeschieden. Hilscher konnte in all den Jahren, in denen er das D,L-Methadon einsetzt, keine Schädigungen an Leber oder Niere feststellen und selbst eine massive Überdosierung führte in einem Fall nur dazu, dass der Patient 18 Stunden am Stück schlief und ausgeruht wieder erwachte, wie Hilscher in seinen Vorträgen immer wieder launig erwähnt.
Ärzte berichten von Misserfolgen
Doch auch wenn Friesen und Hilscher immer wieder über sensationelle Behandlungserfolge berichten und behaupten, dass Methadon bei allen Krebsarten seine Wirkung zeigt, hat sich bei einigen Ärzten, die seit 2014 Patienten auf deren Wunsch hin mit Methadon behandeln, Ernüchterung eingestellt.
Ingo Diel, der in der großen deutschen Brustkrebszeitschrift „Mamma Mia!“ die Kolumne „Mythen und Fakten“ schreibt, konnte bei den 30 Brustkrebspatientinnen, die er behandelte, keine Verbesserung, die nicht auch auf die Chemotherapie zurückzuführen wäre, feststellen und hat mittlerweile mit der Methadon-Behandlung aufgehört. Aber auch er betont in seinem Artikel, dass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen ist: Alles wartet auf eine große Studie.
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