Warten auf das Strafmaß
Mehr als zwei Jahre nach dem Mord an dem russischen Oppositionellen Boris Nemzow hat ein Moskauer Militärgericht am Donnerstag fünf Angeklagte schuldig gesprochen. Die fünf aus Tschetschenien stammenden Männer hätten die Tat ausgeführt, urteilten die zwölf Geschworenen.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Das Strafmaß wird der Richter am Dienstag verkünden. Die aus Tschetschenien stammenden Angeklagten hatten sich nicht schuldig bekannt und damit erste Geständnisse nach der Verhaftung widerrufen. Es sei bewiesen, dass die Angeklagten bereits Ende September 2014 die Tat geplant hätten, erklärte der Richter Juri Schitnikow in der Urteilsverkündung. Der Mordauftrag soll von einer Person stammen, nach der international gefahndet werde.

Reuters/Sergei Karpukhin
Vier der Angeklagten hinter einer Glaswand im Militärgericht
Zudem gebe es noch andere Drahtzieher, zu denen die Angeklagten enge Verbindungen gehabt haben sollen. Sie sollen für den Mord rund 15 Mio. Rubel (etwa 222.000 Euro) bekommen haben. Der ehemalige Vizeregierungschef und Kreml-Kritiker Nemzow war am 27. Februar 2015 auf einer Brücke über der Moskwa in Sichtweite des Kreml aus einem Auto heraus erschossen worden. Die Anklage warf dem mutmaßlichen Todesschützen, einem Ex-Polizisten, sowie dem mutmaßlichen Fahrer des Fluchtwagens und drei Komplizen einen Auftragsmord vor.
Kadyrow als Zeuge abgelehnt
Die Angeklagten Saur Dadajew, Schadid und Ansor Gubaschew, Bemirlan Esterchanow und Chamsat Bachajew wurden im März 2015 festgenommen. Als Auftraggeber wurde im Dezember desselben Jahres der Tschetschene Ruslan Muchudinow identifiziert, doch er soll sich aus Russland abgesetzt haben und ist weiter flüchtig.

Reuters/Maxim Shemetov
Moskau im März 2015: Gedenken an Boris Nemzow am Tatort des Verbrechens
Nemzows Angehörige und Unterstützer vermuten, dass der Mord von höchster Stelle geplant worden sei und etwa der kremltreue Machthaber der Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, die Tat angeordnet habe. Die Anwälte der Familie hatten versucht, Kadyrow als Zeugen vorladen zu lassen - vergeblich.
Tochter erhebt Vorwürfe
Nach dem Schuldspruch warf Tochter Schanna Nemozwa den Behörden eine Verschleppung der Ermittlungen vor: „Die Geschworenen haben fünf Mitwirkende im Mord an meinem Vater schuldig gesprochen, aber der Fall bleibt ungelöst“, schrieb Nemzowa am Donnerstag bei Facebook. „Ich habe nichts anderes von den Ermittlern und Gesetzeshütern in Russland erwartet“, sagte sie.
„Die Ermittler und das Gericht haben ausdrücklich nicht versucht, die Wahrheit über das begangene Verbrechen herauszufinden“, kommentiert Nemzowa. Sie sehe keinen Willen der Behörden, die Hintermänner zu suchen, schrieb sie.
Geständnisse widerrufen
Die Angeklagten stammen alle aus Tschetschenien. Weil einer von ihnen einst in einem Bataillon des tschetschenischen Innenministeriums diente, wurde der Fall vor einem Militärgericht verhandelt. Die Männer hatten nach ihrer Festnahme Geständnisse abgelegt, diese im Prozess aber widerrufen.
Das Urteil hätte bereits am Dienstag verkündet werden sollen, doch es kam zu Verzögerungen: Der Militärrichter schloss einen Geschworenen und eine Ersatzgeschworene aus. Ein Laienrichter soll sich über den Gerichtsprozess hinaus Informationen über den Mord verschafft und vorgehabt haben, diese mit in das Beratungszimmer zu bringen. Die Ersatzrichterin hatte Vorstrafen ihres verstorbenen Mannes verschwiegen.
Auch am Mittwoch, dem zweiten Tag der Beratungen, konnten sich die Geschworenen nicht auf ein Urteil einigen. Sie mussten über eine Liste mit 26 Fragen zu Schuld oder Unschuld der Angeklagten beraten, die ihnen der Richter vorgelegt hatte.
Spur versandet in Tschetschenien
Die Ermordung des 55-jährigen Regierungsgegners hatte weltweit Bestürzung ausgelöst. Der frühere Vizeministerpräsident war einer der prominentesten Widersacher von Präsident Wladimir Putin und ein scharfer Kritiker von dessen Ukraine-Politik. Nemzow war der höchstrangige Politiker, der seit Beginn der ersten Amtszeit Putins als Präsident vor 17 Jahren ermordet wurde.
Der Mordfall steht auch für das heikle Verhältnis zwischen dem ehemals abtrünnigen Tschetschenien, das unter großem Blutvergießen zurückerobert wurde, und der Führung in Moskau. Auch im Fall der ermordeten Journalistin und Kreml-Kritikerin Anna Politkowskaja 2006 versandete die Spur letztlich in Tschetschenien.
Opposition in Angst
Seit dem Mord an Nemzow geht unter Oppositionellen die Angst um, wer als Nächstes ausgeschaltet werden könnte. Erst Anfang Februar lag der Journalist und Nemzow-Vertraute Wladimir Kara-Mursa wegen einer schweren Vergiftung auf der Intensivstation. Die Umstände sind noch nicht geklärt. Bereits 2015 überlebte der Kreml-Kritiker nach eigenen Angaben nur knapp eine Vergiftung.
Alexej Nawalny, der derzeit wohl prominenteste Oppositionelle, wurde in einem international kritisierten Prozess zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. In der Vorwoche entschied die Wahlkommission in Moskau, dass er infolgedessen nicht bei der Präsidentschaftswahl 2018 antreten darf. Putin hat noch nicht gesagt, ob er wieder antritt, aber Beobachter rechnen fest damit.
Links: