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Ratlosigkeit im Zeitalter des Zorns

Der britisch-indische Autor Pankaj Mishra hat mit „Das Zeitalter des Zorns. Eine Geschichte der Gegenwart“ eine breite historische Analyse politischer Wut vorgelegt – von der Aufklärung über die radikalen Bewegungen des Fin de Siecle bis zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Mishras Analysen sind präzise und lehrreich. In ihnen spiegelt sich aber auch die Ratlosigkeit eines liberalen Denkers.

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Mishras Buch trifft zweifellos den Nerv der Zeit: Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA, der „Brexit“, der Aufstieg islamistischer Bewegungen sowie rechtspopulistischer Parteien, die nationalistische Rhetorik von Putin, Erdogan, Orban und Co.: All das sind für Mishra Indizien dafür, dass wir erneut in ein Zeitalter des Zorns eingetreten sind. In ein Zeitalter also, in dem Politik mittels der Mobilisierung von Ressentiments und starren Identitäten, ja bisweilen sogar mit messianischen Heilsversprechen gemacht wird.

Der Befund ist klar: Durch Kapitalismus und technologische Entwicklung fänden sich heute, so Mishra, Individuen mit höchst unterschiedlicher Vergangenheit in einer gemeinsamen Gegenwart wieder, in der eine äußerst ungleiche Verteilung von Reichtum und Macht demütigende neue Hierarchien geschaffen habe. Neoliberalismus und Wirtschaftskrisen sowie das Versagen demokratischer Institutionen hätten den Zulauf benachteiligter und verängstigter Bürger zu einer rassistischen Politik befördert.

So weit, so gut. Doch Mishra spricht diesen Benachteiligten jegliches Recht auf Protest und Widerstand ab. Revolutionen sind für ihn Teufelszeug – auch wenn sie sich nicht auf rassistische Weise entladen. Auf diese Weise negiert er, dass kollektive Aktionen, bis hin zu Umstürzen, in der Geschichte immer wieder notwendig waren, um Unterdrückung und Marginalisierung zu beenden. Walter Benjamin bezeichnete, um das zu verdeutlichen, die Revolution sogar als „Notbremse des Menschengeschlechts“.

Autor Pankaj Mishra

S. Fischer Verlag

Pankaj Mishra: Kein Revolutionär

Hinterwäldler gegen Yuppie

Mishra widmet sich ausführlich der Ideengeschichte der Aufklärung und lässt Voltaire gegen Jean-Jacques Rousseau antreten. Ersterer gestand offen seine Liebe zum Freihandel, zum Prestigetum und zum Geld. Er setzte sich damit über Rousseaus Diktum hinweg, wonach die Reichen die Pflicht hätten, dafür zu sorgen, dass ihr Reichtum „niemals ein Gefühl der Ungleichheit erzeugt“.

Voltaire steht somit für die neoliberale Arroganz der Clintons, für den Banker Emmanuel Macron oder den Hartz-IV-Kanzler Gerhard Schröder. Rousseau hingegen kann als Vorläufer von Jean-Luc Melenchon, Jeremy Corbyn oder Bernie Sanders gesehen werden. Er ist derjenige Philosoph, der die Folgen des Aufstiegs der internationalen Kommerzgesellschaft als Erster kritisierte – somit kann er zu Recht als einer der ersten Globalisierungskritiker bezeichnet werden.

Das lässt Mishra auch gelten – doch er gibt auch zu bedenken, dass die heutigen „Modernisierungsverlierer“ mit der Philosophie Rousseaus für „politische Verführer aus allen Bereichen des ideologischen Spektrums anfällig“ seien. Denn auch nationalistische und rassistische Ideologen kritisieren den „Raubtierkapitalismus“ und wünschen sich eine Rückkehr zum vermeintlich idyllischen Nationalstaat.

Verhängnisvolle Totalitarismustheorie

Doch auch hier schüttet Mishra das Kind mit dem Bade aus: In seinem tiefen Misstrauen gegen jegliche revolutionäre Tat geht er einer verhängnisvollen Totalitarismustheorie auf den Leim: Radikale Sozialisten, Faschisten, Anarchistinnen vom Zuschnitt Emma Goldmanns, Hindu-Nationalisten sowie Islamisten verkörpern für ihn allesamt und unterschiedslos die „messianische Gewalt“, die es strikt abzulehnen gelte.

Über die Weltanschauung und Ziele, die die Protagonisten der jeweiligen politischen Strömungen in ihren Handlungen antreiben, sieht Mishra geflissentlich hinweg. Er befindet sich somit, ohne es jemals auszusprechen, im Fahrwasser Karl Poppers. Zwar ist Mishra in der Lage, die strukturelle Gewalt des globalen Kapitalismus zu erkennen, dennoch bleiben seine diesbezüglichen Ausführungen viel zu kursorisch und beiläufig. Es erweist sich als fatal, dass er keinen kohärenten Begriff von Ausbeutung, Hegemonie und Gegenhegemonie hat.

Buchhinweis

Cover des Buches "Das Zeitalter des Zorns" von Pankaj Mishra

S. Fischer Verlag

Pankaj Mishra: Das Zeitalter des Zorns. Eine Geschichte der Gegenwart. S. Fischer Verlag, 416 Seiten, 24,70 Euro.

Vor dem Hintergrund seiner Kritik am „messianischen Eifer“ von Revolutionären jeglicher Provenienz verschwimmen globale Dominanz- und Ausbeutungsverhältnisse. So kommt es zu dem befremdlichen und grotesken Umstand, dass er die Gewalt der Black Panther Party im gleichen Atemzug verdammt wie den Ku-Klux-Klan. Die sozialistische Pariser Kommune aus dem Jahr 1871 ist ihm ebenso ein Grauen wie die Besetzung der italienischen Stadt Fiume durch Faschisten im Jahr 1919. Demokratische und friedliche Aufbrüche wie zuletzt im Jahr 2011, als die Occupy-Bewegung entstand und der „arabische Frühling“ begann, sind ihm nicht einmal einen Absatz wert.

Kein Fortschritt?

Somit entgeht Mishra auch die komplizierte Dialektik von Gelingen und Scheitern, von Vereinnahmung und Niederlage revolutionärer Bewegungen im geschichtlichen Verlauf. Er gibt vor, an keinerlei Fortschritt im historischen Prozess zu glauben. Doch siehe da: Selbst ein dermaßen liberaler Denker wie Mishra kommt am Ende nicht ohne Marx aus. Im letzten Kapitel paraphrasiert er dessen berühmte Diktion, dass man die Welt ändern müsse, anstatt sie, wie die bisherigen Philosophen, lediglich verschieden zu interpretieren.

Denn heute seien, so Mishra „Milliarden von Menschen der Erde in einem sozialdarwinistischen Albtraum gefangen“. Selbst in fortgeschrittenen Demokratien hätten eine dem Management gleichende Form der Politik und eine neoliberale Ökonomie den Sozialvertrag zerrissen. Deshalb sei es auch verständlich und legitim, dass die Enteigneten und Verlierer Angst und Zorn empfänden.

Mishra scheint sich zu einer Handlungsaufforderung für globale Solidarität durchzuringen – seine Ratlosigkeit scheint überwunden. Man ist am Ende erstaunt – und fast wieder versöhnt. Nach der Lektüre möchte man Mishra zuflüstern, dass gelegentlich stattfindende kollektive Wutausbrüche gegen die herrschenden Verhältnisse unter den richtigen Vorzeichen gar nicht so schlimm sein müssen.

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