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Samba im Dirndlkleid

Die Brasilianer sind da: Lebenslust und Sozialkritik verbinden die Künstlerinnen und Künstler der gelungenen Gruppenschau „Welt kompakt? Out of Brasil“ im MuseumsQuartier. Nicht nur die Protestgesten schöner Körper gegen Rassismus und Machismo überzeugen.

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Über den Köpfen der Besucher baumelt eine Hängematte, und eine große Videoprojektion führt auf einen Markt in Rio de Janeiro, wo Alt und Jung das Sambabein schwingen. So lebensfroh empfängt die Gruppenschau im Freiraum des MuseumsQuartiers, die jedoch auch mit Klischees über Brasilien aufräumt.

Videostill aus "Quae nua, quase n
egra (fast nackt, fast schwarz)", 2017

Denise Palmieri

Denise Palmieri, Videostill aus „Quae nua, quase negra (Fast nackt, fast schwarz)“, 2017

Die folgsame Herde

Zum Beispiel das Bild des fröhlichen Multikulti: Wiewohl lange und beharrlich geleugnet, ist Benachteiligung aufgrund der Hautfarbe in der Heimat von Pele und Ronaldo bis heute die Regel. Die Künstlerin Denise Palmieri kann ein Lied davon singen. „Rassismus ist ein riesiges Problem, auch wenn er oft subtil passiert“, sagt die Enkelin einer Afrobrasilianerin.

In ihrer Videoperformance „Fast nackt, fast schwarz“ kniet die junge Frau unbekleidet vor einer Wanne mit aufgelöstem Gips, in den sie ein Dirndl taucht und es nass anzieht. Dann gibt sie Hermann Leopoldis Wienerlied „32 Groschen“ zum Besten, das von der Schwere des Lebens und der Schönheit der Natur handelt. Der Komponist war Jude; in seinem Lied von 1933 sang er auch schon von der „folgsamen Herde“, die den Politikern blind hinterherläuft.

Porträts schöner Sklavinnen

Ein starkes Bild für die Last der Diskriminierung gelang auch Camilla Rocha Campos. Bei der Vernissage hielt die Künstlerin einen Korb auf der Schulter, den eine Frau der indianischen Volksgruppe der Guarani geflochten hat. Dann wurde Steinschutt in das Gefäß geschaufelt, bis es überging. „Die Betrachter sollen das Gewicht fühlen“, betonte Rocha Campos.

„Die Unterschiede zwischen den Rassen waren in Brasilien lange Zeit unsichtbar, sogar die Politik hat sie bestritten.“ Rocha Campos’ Performancepose erinnert auch an die Kolonialkünstler, die vor 400 Jahren Gemälde von schönen, Wasser schleppenden Sklavinnen und „edlen Wilden“ für den europäischen Markt schufen.

200 Jahre „Poldl“ in Rio

Mit Fotografien von herrlichen Tapeten aus dem Biedermeier erinnert Christian Cosmas Mayer an die Sehnsucht des 19. Jahrhunderts nach Exotik. In diesen Panoramabildern für den Teesalon wurden traumhafte Buchten mit Urwald, Kolonialherren samt Dienern, aber auch bogenschießende Indianer dargestellt.

Solche Bilder muss Erzherzogin Maria Leopoldine gekannt haben, als sie vor 200 Jahren in Rio de Janeiro das Schiff verließ. Die in Wien nur „Poldl“ genannte Habsburgerin wurde nach ihrer Heirat mit Dom Pedro zur Kaiserin gekrönt und führte ihr Reich in die Unabhängigkeit von Portugal, was ihr die Brasilianer bis heute hoch anrechnen.

Ananas im Müllcontainer

Bis heute lässt die Kolonialgeschichte das Land, das nach der Fußball-WM 2014 in die Wirtschaftskrise schlitterte, nicht los. Mit Armut, Polizeigewalt und geringen Aufstiegschancen durch schlechte Schulen kämpft vor allem jene Mehrheit von 50,7 Prozent, die sich bei der Volkszählung 2010 als dunkelhäutig deklarierte.

Gruppenfoto der brasilianischen Künstler

Lorenz Seidler/esel.at

Gruppenfoto der brasilianischen Künstler

Sozialaktivismus ist ein wichtiges Thema der Schau. In den letzten zwei Jahren brachte Ausstellungskuratorin Ursula Maria Probst zahlreiche der Teilnehmer als Gastkünstler nach Österreich. Nachdem Kadija de Paula und Chico Togni im Jänner ihre Artist-in-Residence-Wohnung im MuseumsQuartier bezogen hatten, traten sie gleich mit lokalen „Mülltauchern“ in Kontakt.

„Wir fanden so viel unverdorbenes Essen, dass wir eine Art Bistro eröffneten“, erzählte das Künstlerpaar. Bei den öffentlichen Einladungen regten sie Diskussionen zu Fragen der Nachhaltigkeit, aber auch zu Themen wie Massentourismus an. „In Sao Paulo wird auch viel weggeworfen, aber wenn hier eine Ananas im Müll liegt, dann wurde sie extra aus einem südlichen Land importiert.“

Nackte Brüste als Protest

Andere Künstler haben mit Indianern im Amazonas zusammengearbeitet und zeigen die Videos, in denen diese selbst ihre Lebensform und den Kampf gegen die Zerstörung ihres Lebensraums festgehalten haben. Giorgia Conceicao hat hingegen zwei US-Stars des Burlesque-Striptease nach Rio eingeladen, um einen lustvollen Umgang mit Körperrundungen anstatt des Fitnessdrills zu demonstrieren.

Marie Carangi, Performance "Tetumbante", 2016

Débora Flor

Marie Carangi, Performance „Tetumbante“, 2016

Es mag verwundern, aber im Land der Tangas wird Oben-ohne-Baden streng bestraft. Der Katholizismus und der damit einhergehende Machismo sind omnipräsent; nur der Karneval erlaubt eine moralische Auszeit. In ihrem Performancevideo „Tetumbante“ unternimmt die Künstlerin Marie Carangi gemeinsam mit anderen Frauen eine Bootsfahrt. Mit blanken Brüsten singen sie eine Ode an den Fluss - ihr persönliches Statement für weibliche Stärke.

Ausstellungshinweis

Die Gruppenschau „Welt Kompakt? Out of Brasil“ wird im Wiener MuseumsQuartier im frei_raum Q21 exhibition space noch bis 3. September gezeigt.

Demo in Zeitlupe

In Brasiliens Metropolen finden ständig Demonstrationen statt, die gegen die Korruption und die verfehlte Politik aufbegehren. Mit drei Projektoren holt Lucas Bambozzi eine brasilianische „Multitud“ nach Wien. Das Besondere: Die Leute werden lebensgroß projiziert und bewegen sich verlangsamt, was einen speziellen Eindruck erzeugt.

„Wann geht es los?“ oder „Was sollen wir tun?“ scheint die innerhalb von fünfzehn Minuten auftauchende und wieder verschwindende Menge zu verhandeln. Sie blicken nach vorne, aber gehen nur bis zu einem gewissen Punkt. Wie sie uns so gegenüberstehen, scheinen sie uns zu fragen, wofür wir zu kämpfen bereit sind.

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