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Straßenpartys gegen Korruption

Trotz Brasiliens Krisen hat Rio de Janeiro auch heuer wieder den Karneval zelebriert. Die politische Note war diesmal besonders ausgeprägt. Neben Umweltschützern und feministischen Gruppen protestierten Regierungsgegner gegen Staatschef Michel Temer und die Absetzung der ehemaligen Präsidentin Dilma Rousseff. US-Präsident Donald Trump und seine Politik gerieten ebenfalls ins Visier.

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Schon Wochen vor dem Start formierten sich zudem rund um die Straßenpartys zur Karnevalszeit Protestveranstaltungen und Demonstrationszüge, etwa unter dem Motto „Weg mit Temer“. Kostüme, Umzugswagen und Banner werden zu Trägern politischer Botschaften: Eine Frauengruppe, die als Gattinnen korrupter, brasilianischer Politiker mit Champagner und Security verkleidet waren, nahm etwa die immer größer werdende Ungleichheit im Land aufs Korn.

Proteste beim Karneval in Rio

Reuters/Pilar Olivares

Spaß und Protest gehen in Rio derzeit Hand in Hand

Laut einem vom britischen „Guardian“ interviewten Karnevalisten sei das diesjährige Spektakel so politisch gewesen, weil Brasilien durch die schlimmste Krise seit Langem gehe. „Der Karneval soll die Dämonen des Alltags vertreiben. Es ist eine Gelegenheit, um mit Freude zu reflektieren. Es hört sich zwar paradox an, aber in Brasilien zeigen wir unsere Bitterkeit, während wir lachen und springen.“ Für Tomas Ramos, einen der Organisatoren der Protestgruppe Occupy Carnival, war der Karneval ein „Spiegel dessen, was wir uns eines Tages für die Gesellschaft erträumen“.

Schlüsselübergabe ohne Bürgermeister

Auch bei der Eröffnung in Rio de Janeiro kam es zu einem Eklat. Der neue Bürgermeister Marcelo Crivella, ein Angehöriger der streng religiösen Pfingstbewegung, erschien nicht zur traditionellen Schlüsselübergabe an Karnevalskönig Momo. Mit dieser wird das Spektakel offiziell gestartet. Organisatoren in weißer Sambakleidung, Stelzenläufer und die städtische Blaskapelle warteten zweieinhalb Stunden vergeblich auf das Stadtoberhaupt.

Karneval in Rio

APA/AP/Mauro Pimentel

Der Bürgermeister schwänzte die traditionelle Schlüsselübergabe

„Wo ist Crivella?“, riefen einige der 70.000 Zuschauer in dem Stadion. Schließlich tauchte die Kulturbeauftragte der Stadt, Nilcemar Nogueir, auf und vollzog die symbolische Schlüsselübergabe. Das Fernbleiben des Bürgermeisters entschuldigte sie damit, dass dieser sich um seine kranke Frau kümmern müsse.

Schon in den Tagen zuvor war spekuliert worden, ob der ultrakonservative Crivella der Veranstaltung fernbleiben würde. Der 59-jährige ehemalige Senator und Minister ist auch Bischof der von seinem Onkel gegründeten „Universellen Kirche des Königreichs Gottes“, einer evangelikalen Kirche, und kann dem Karneval nichts abgewinnen.

Sensible Themen bei Hymnen und Parade

Zwar war der Protest angesichts der großen Krisen des Landes heuer besonders ausgeprägt. Die Reflexion aktueller politischer Missstände mit einer guten Portion Humor war im brasilianischen Karneval aber schon immer ein großes Thema. Aufgrund der Kommerzialisierung des Paradespektakels rund um die großen Sambaschulen spielt sich der Widerstand mittlerweile aber eher in der zweiten Reihe, also auf den Straßen, ab.

Karneval in Rio

APA/AP/Andre Penner

Das bunte Spektakel erfolgt heuer unter Sparzwang

Allerdings widmeten sich heuer auch zwei große Sambaschulen wieder sensiblen Themen, nämlich der Notlage der indigenen Völker im Amazonas-Gebiet und der ethnischen Vielfalt. Eine der Hymnen des heurigen Karnevals thematisierte zudem den Unterschied zwischen Flirt und Belästigung und packte damit die Problematik sexueller Übergriffe im Karnevalstreiben an. Die Sambaschulen befanden sich wegen der Wirtschaftskrise heuer übrigens auf Sparkurs, da Sponsoren- und Fördergelder fehlten.

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