Der Hautabdruck im Gigapixel
Gerade einmal 24 Jahre alt war Gustav Klimt, als er 1886 zusammen mit seiner „Companie“, die sich auf die Ausmalung neuer Theater spezialisiert hatte, den Auftrag bekommen hat, die Dekorationsmalerei auf der Feststiege des neuen Wiener Burgtheaters zu gestalten. Vier von den zehn Gemälden, die die Stiege neben den Ornamentsteilen und Verzierungen schmücken, werden Klimt zugerechnet. Jetzt sind die fernen Bilder auf dem Plafonds im Burgtheater endlich im Detail und ohne Kopfverrenkung neu zu entdecken.
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Google hat das Gemälde komplett digitalisiert und dank Gigapixel-Technologie bis in die feinsten Farbpartikel erlebbar gemacht. Seit Jahren arbeitet der US-Konzern in Österreich mit zahlreichen Kulturinstitutionen zusammen, um große Kunstwerke, Bücher, Gebäude und Kunsträume für eine weltweite Öffentlichkeit bis ins kleinste Detail erlebbar zu machen. Am Mittwoch präsentierte man in Wien gemeinsam mit dem Burgtheater und dem Klimt-Experten Alfred Weidinger das jüngste Projekt von Googles Arts and Culture: die Erschließung der Feststiege des Burgtheaters bis ins kleinste Detail - auch als Virtual Reality-360-Grad-Erlebnis.
Klimt in der Burg
Von den insgesamt zehn Gemälden der Feststiege werden die vier Bilder „Thespiskarren“, „Shakespeares Globetheater“, „Altar des Dionysos“ (alle Feststiege Volksgarten-Seite) und „Theater in Taormina“ (Feststiege Landtmann-Seite) Gustav Klimt zugerechnet.
Zwar gilt ja die Ausgestaltung der Feststiege im Wiener Burgtheater, die Klimt mit seinem Bruder Ernst und Franz Matsch verwirklichte, in kunsthistorischer Hinsicht nicht als das größte Meisterwerk, das aus dieser Zeit herzuzeigen ist. Aber es ist das Werk einer Sattelzeit, die vom Historismus tief hinein weist in die Aufbruchszeit der Jahrhundertwende. Und es ist gerade die Erschließung eines derart über den Raum wirkenden Kunstwerkes, das das Herz der Kunsthistoriker höher schlagen lässt.
Im Sograum eines Kunstraums
„Wir haben es hier nicht mit isolierten Bildwerken zu tun“, sagte Klimt- und Moderne-Experte Weidinger bei der Präsentation des Digitalisierungsprojekts am Mittwoch im Burgtheater. Bilder, Dekorelemente und Architektur seien bei dieser Arbeit nicht mehr getrennt zu betrachten, sondern griffen unter dem damals in Mode befindlichen Konzept des Gesamtkunstwerkes ineinander.

Google Austria GmbH/APA-Fotoservice/Hautzinger
Keine Angst vor der Nackenstarre: Wie genau kann man den Klimt mit realem Auge wahrnehmen, fragt Experte Alfred Weidinger sein Publikum
„Wir bewegen uns bei der Annäherung an dieses Werk immer schon im Bild“, so Weidinger, für den dieses Werk den Grundgedanken der Auseinandersetzung mit Kunst erfahrbar macht. „Visualisierung bedeutet Anschauung und Anschaulichmachung“, so Weidinger - und das sei vor allem als „dynamischer Vorgang“ zu verstehen.
Für Klimt auf dem Teppich
Gerade dieser Zugang werde auch dank der eingesetzten digitalen Technik als Virtual-Reality-Erlebnis erfahrbar. „Denn von unten muss man schon sehr genau schauen, um die Details ordentlich sehen zu können“, erinnert Weidinger auch an die eigene Arbeit an der Klimt-Monografie, für die man sich vor zehn Jahren auf den Teppich gelegt habe („übrigens derselbe wie heute“) - und dennoch nur subobtimale Schwarz-Weiß-Repros für die Buchausgabe geschafft habe.
Dass Klimt hier nicht allein, sondern mit zahlreichen Subunternehmern arbeitete, könnte man bei Detailstudien sogar nachweisen, hofft der Experte, der aber die eingesetzte Digitalisierungstechnologie nicht nur aus kunsthistorischem, sondern auch aus restauratorischem Interesse betrachtet. „Die detaillierte Ausarbeitung des Bildes sagt uns auch sehr viel über den Erhaltungszustand des Bildes“, so der Experte, der im August Direktor des Museums der Bilder in Leipzig wird und zuletzt maßgeblicher Kurator und Vizedirektor des Belvederes war.
Klimt und das Ende der historistischen Idealisierung
Weidinger hält den frühen Klimt für einen wahren Augenöffner. Einerseits sehe man, dass er von der Kunstgewerbeschule kam - „und sicher nicht der beste Maler war“. Auf der anderen Seite habe Klimt schon gerade in der Dekorationsmalerei die Überwindung des Historismus, trotz der klassischen Themenvorlagen, interessiert.

Burgtheater/Georg Soulek
Abdruck der Kleidung auf dem Körper, noch im konventionellen Digitalbild. Hochauflösender als Gigapixel
Am Beispiel des „Altars des Dionysos“ sehe man, dass Klimt eine neue Auffassung des menschlichen Körpers ins Bild gesetzt habe - so seien am nackten Frauenkörper die Abdrücke der Unterwäsche zu sehen, beschreibt Weidinger die Spannung zwischen opulenter Bildinszenierung und neuem Detailblick. Eigentlich, so Weidinger, könnten sie den Kreis der Freunde Klimts, auch seine erste körperliche Liebe, an diesen Gemälden sehen - „denn alle Vorlagen der Figuren waren reale Freunde“.

Burgtheater/Georg Soulek
Der Feststiegen-Blick von unten auf das Werk von Gustav und Ernst Klimt sowie Franz Matsch
Unterwegs in die digitale Burg
Für das Burgtheater war die Digitalisierung der Feststiege, wie man verrät, ein Zweijahresprojekt in der Umsetzung, auch wenn das eigentliche Aufnehmen dann ein Ergebnis intensiver Nachteinsätze mit Hochtechnologie gewesen sei. Insgesamt möchte das Burgtheater das ganze Haus auf diesem Weg digital erfahrbar machen.
Google wiederum erhofft sich, wie es Simon Rein von Google, selbst Kunsthistoriker und vormaliger Mitarbeiter an der Berliner Museumsinsel, ausdrückte, von dem Projekt weitere Impulse und österreichische Partner für die Arts-and-Culture-Plattform.
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