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„Bling-Bling“ statt harmonischen Grüns

Seit 2000 bestimmt das amerikanische Farbunternehmen Pantone, welcher Farbton für das aktuelle Jahr im Trend sein wird. Dieser soll nicht nur einen wohlklingenden Namen tragen, sondern in erster Linie den aktuellen Zeitgeist widerspiegeln und dabei gleichzeitig auch noch eine Weltanschauung definieren.

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Wie der Durchgang in eine andere Welt lockt die strahlend apfelgrüne Tür zwischen den beigefarbigen Backsteinen im Londoner Bezirk Clerkenwell, Dingley Place Nummer vier, nördlich des Stadtzentrums. Dieses kräftige und freundliche Grün gehört dem amerikanischen Farbunternehmen Pantone LLC. Sein Name ist ganz leicht zu merken: Es nennt sich „Greenery“ und ist mit der Nummer 15-0343 codiert. Warum man sich diesen Namen heuer merken darf? Er trägt den Titel „Farbe des Jahres 2017“.

Auf „Greenery“ soll heuer also die Entscheidung bei der Kleider- und Sofakissenwahl fallen, ein Ton, der frisch und lebendig ist, der nach bio und vegan schreit. Scheint doch gut in unsere Gegenwart zu passen. „Die Pantone-Farbe des Jahres ist nicht nur eine Trendfarbe, sondern soll auch den globalen gesellschaftlichen Zeitgeist in Farbe wiedergeben“, sagt Carola Seybold, Leiterin für Business Development und Marketing von Pantone, gegenüber ORF.at.

Sehnsüchte, Einheit, Harmonie

Dieser Zeitgeist sei – laut Seybold - durch die Sehnsucht nach neuer Hoffnung in einem komplexen sozialen und politischen Umfeld gekennzeichnet und würde unser wachsendes Verlangen nach einer erneuten Verbindung und Einheit mit der Natur und unseren Mitmenschen versinnbildlichen.

Damit sei man aber ein wenig spät dran, meint allerdings der Berliner Farbforscher Axel Venn im Telefoninterview mit ORF.at, denn „dieser Grünton ist bei uns schon längst vorbei“. Mit „uns“ meint Venn die europäischen Staaten, in denen die positive Symbolik von Grün schon seit Längerem ersichtlich sei.

Dass diese Denkweise aber gerade jetzt in den USA begonnen hat wichtig zu werden, und deshalb „Greenery“ von einem „kommerziellen Unternehmen“ als Trend des Jahres angepriesen wird, könnte laut Venn auch als Symbol für den Widerstand gegen den US-Präsidenten Donald Trump, der sich als Gegner ökologischer Investitionen deklarierte, verstanden werden. Aber Trendfarben kämen selten aus der Politik oder würden von der feinen Gesellschaft geprägt, betont Venn.

Leatrice Eiseman, Geschäftsführerin von Pantone

Pantone

Leatrice Eiseman ist Geschäftsführerin von Pantone und erzählt Geschichten über Farben

Auf der Suche nach einem Farbton

Unabhängig davon, ob Pantone mit „Greenery“ nun den Zeitgeist getroffen hat oder nicht, übernehme die Firma dennoch eine wichtige Aufgabe in der Farbwirtschaft, gibt Venn zu.

Die seit 2000 von Pantone auserkorene Farbe des Jahres ist Trend und erzählt eine Geschichte. „Rosequarz“ und „Serenity“ standen unter anderem für das Verschwimmen der Geschlechter in der Mode und erreichten 2016 weltweit mehr als 3,2 Milliarden Media Impressions, so Seybold. Mitverantwortlich für die Lesart der Töne ist Leatrice Eiseman. Sie ist seit 16 Jahren Geschäftsführerin von Pantone und hat eine ähnliche Obsession mit Farben wie Venn. Neun Bücher verfasste sie bereits zu diesem Thema, mit ratgeberisch klingenden Titeln wie „Lebendiger mit Farben“ und „Farben für jede Stimmung“.

Aber wie genau werden Trendfarben bestimmt? Laut Eiseman spielt besonders die Modeindustrie eine große Rolle für ihr Farbkomitee, das mit großer Leidenschaft auf den Straßen von Mailand und Paris nach Eingebungen suche. Auch die Film- und Autoindustrie seien entscheidende Faktoren in der Bestimmung eines dominanten Tons, ebenso wie die Kunstwelt.

Stoffhersteller als Einflüsterer von Trends

Venn hingegen ist überzeugt, dass es hauptsächlich die Randgesellschaften seien, wie die der Tattoo- und Piercingszene, aus denen Farbhersteller und Modemacher schöpfen würden. In der Kleiderindustrie sind die Stoffhersteller die „wahren Experimentierer und Einflüsterer von Trends“.

„Ein Trend ist keine Harmonieveranstaltung“, sagt Venn und weiter, „sie werden meist aus Untergrundhaltungen gebildet, sie kommen also aus prekären Lebensbereichen, die nonkonformistisch sind. Trends leben von inneren Widersprüchen.“

2017 wird „Bling-Bling“

Für 2017 prognostiziert Venn jedoch noch andere Farbnuancen als das von Pantone vorhergesagte Gelbgrün. Töne, die heuer wirklich wichtig seien, bezeichnet Venn herausfordernd als „Bling-Bling“. Damit sind Metall-, Muschel- und Korallentöne sowie ombrierende bzw. changierende Oberflächen gemeint. Kurz: 2017 liegt im Trend, was glänzt und glitzert.

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Dagegen hat Eiseman nichts einzuwenden: „Heute hat Glanz und Schimmer nicht nur einen großen Einfluss auf die Kleidung und Accessoires, sondern auch auf die Kosmetikbranche“, so die Expertin gegenüber ORF.at.

Zu diesem „Bling-Bling“ passen auch jene zeitlosen Farben, in die sich die meisten Menschen kleiden, nämlich Weiß, Schwarz und Grau. Venn bezeichnet diese als „Ewigkeitsfarben“. Die am häufigsten an große Firmen aus unterschiedlichen Branchen verkauften Töne sind laut Seybold, neben der Farbe des Jahres, Grundfarben wie „Bright White“, „Dark Navy“, „Deep Black“ und ein klassischer Rotton. Bekannte Beispiele für Kunden von Pantone sind Starbucks mit seinem typischen Grünton, Milka mit seinem Violett und Universal Pictures, für die Pantone extra das „Minion-Gelb“ entwickelt hat.

Durchnummerierte Farbnuancen

Trotzdem versuche das Unternehmen kontinuierlich auf die Bedürfnisse der einzelnen Märkte und Trends einzugehen und erweiterte 2015 das Farbsystem „Fashion, Home und Interiors“ um 210 neue Farben. Ein Jahr später wurden dem Grafiksystem 112 Farben hinzugefügt, so Seybold. Mit dem dritten System – Kunststoffe – liefert Pantone insgesamt 8.000 verschiedene Farben, alle mit ihrer eigenen Nummer und einem mehr oder weniger ausgefallenen Namen.

„Blasser Hartriegel“ und „Toter Lachs“

Zweimal jährlich veröffentlicht Pantone auch noch den „Fashion Color Report“, der jeweils die zehn herausstechendsten Töne in der Modewelt zusammenfasst. Neben „Greenery“ seien das diesen Frühling „Blasser Hartriegel“, ein cremiges Rosa, „Inselparadies“, ein Blauton, der an das Meer um Mauritius erinnert und „Grünkohl“. Im Herbst haben sich die Modedesigner farblich nicht wirklich aus dem Fenster gelehnt. Es lassen sich vor allem klassische Rot- und Brauntöne wie „Herbstahorn“ und „Tawny Port“, aber auch ein „Neutrales Grau“ wiederfinden.

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Nicht nur Pantone ist kreativ in der Benennung seiner Farben, auch andere Farbunternehmen lassen sich gerne markante Bezeichnungen für ihre Töne einfallen, so etwa der Farb- und Tapetenproduzent Farrow & Ball und ihr Rosaton „Toter Lachs“.

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