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Zeitplan gerät ins Rutschen

Die britische Premierministerin Theresa May hat bei der vorgezogenen Neuwahl mit ihren Torys die absolute Mehrheit - und das von ihr gewünschte klare Mandat für die „Brexit“-Verhandlungen mit der Europäischen Union - verpasst. Ob bis zum März 2019 nun tatsächlich ein geordneter und für alle Seiten erträglicher EU-Austritt des Vereinigten Königreichs gelingt, ist fraglich.

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Großbritannien steht vor einer komplizierten und möglicherweise langwierigen Regierungsbildung. Es droht ein politisches Patt, was die anstehenden „Brexit“-Verhandlungen verzögern und erschweren könnte. Auch Mays politische Zukunft steht infrage. Wenn keine Minderheitsregierung oder Koalition möglich ist, könnte es eine neue Wahl geben.

Briten am Zug

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sieht die britische Regierung am Zug, einen Zeitpunkt für den Beginn der „Brexit“-Verhandlungen zu nennen. „Der Staub in Großbritannien muss sich jetzt legen“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. Die EU sei seit Monaten bereit für die Verhandlungen.

EU-Ratspräsident Donald Tusk warnte vor einem Scheitern der „Brexit“-Verhandlungen. Es sei nun unklar, wann die Austrittsgespräche mit London beginnen könnten, schrieb Tusk im Kurznachrichtendienst Twitter. Klar sei aber, „wann sie enden müssen“. Es müsse verhindert werden, dass kein Austrittsabkommen zwischen beiden Seiten zustande komme, weil die Verhandlungen gar nicht erst geführt würden.

Datum des Verhandlungsstarts unsicher

Nach Einschätzung der EU-Kommission wackelt der Termin für den Start der „Brexit“-Gespräche. Es sei nicht sicher, ob die Gespräche wie geplant am 19. Juni beginnen können, sagte der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger. Er erwartet nach der Wahl mehr Unsicherheit bei den „Brexit“-Verhandlungen. Bei einem schwachen britischen Verhandlungspartner bestehe das Risiko eines schlechten Ergebnisses, warnte Oettinger.

Für den EU-Unterhändler Michel Barnier hängt der Start der „Brexit“-Verhandlungen von der innenpolitischen Entwicklung in Großbritannien ab. Die Austrittsgespräche „sollten beginnen, wenn das Vereinigte Königreich bereit ist“, schrieb Barnier am Freitag im Kurznachrichtendienst Twitter. Der Zeitplan und die Positionen der EU seien klar. Barnier bot London Gespräche darüber an, „zu einer Vereinbarung zu kommen“. Er forderte alle Seiten auf, an einer Einigung zu arbeiten.

Harter oder weicher „Brexit“?

May hatte die vorgezogene Wahl im April damit begründet, dass Großbritannien eine „starke und stabile“ Regierung in komplizierten „Brexit“-Zeiten brauche. Deshalb wollte sie die Regierungsmehrheit ihrer Konservativen im Unterhaus vergrößern. Mays Ziel war es, sich sowohl in ihrer Partei als auch im Land mehr Rückhalt für die Verhandlungen über den EU-Austritt zu sichern.

May steht für einen harten „Brexit“, das heißt, sie stellt die Kontrolle der Grenzen über eine Beteiligung Großbritanniens am europäischen Binnenmarkt. Labour will einen weicheren „Brexit“ und eng mit der EU zusammenarbeiten. Aber die Entscheidung der Briten vom vergangenen Jahr, aus der EU auszutreten, will auch Labour-Chef Jeremy Corbyn nicht rückgängig machen. Einzig die Liberaldemokraten wollen den „Brexit“ noch verhindern, das gilt jedoch als aussichtslos.

Die ersten großen Hürden

Die EU will drei hoch komplizierte Themen rasch klären. Erstens verlangt sie Garantien, dass die rund 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien mit allen Rechten so weiterleben können wie bisher. Zweitens will sie eine Schlussrechnung für die britische EU-Mitgliedschaft aushandeln, die nach inoffiziellen Zahlen bis zu 100 Milliarden Euro betragen soll. Drittens soll eine harte Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland vermieden werden.

May erhob den „Brexit“ im Wahlkampf zwar zum Topthema, blieb aber in Einzelheiten sehr vage. Auch May will eine rasche Vereinbarung über die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien und der Briten in der EU, eine große Zahlung an Brüssel lehnt sie ab. Und sie will eine ganz andere Abfolge der Verhandlungen: Von Anfang an soll auch über ein Freihandelsabkommen für die Zeit nach dem Austritt geredet werden.

Pfund auf Talfahrt

Das britische Pfund befand sich nach Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen in der Nacht auf Freitag auf Talfahrt. Zuletzt erreichte der Kurs bei 1,2686 US-Dollar den tiefsten Stand seit Mitte April. Auch zum Euro verlor das Pfund etwas mehr als zwei Prozent an Wert. Der Kurs der britischen Währung lag in der Früh bei 1,1324 Euro und damit auf dem tiefsten Stand seit Mitte Jänner.

Die Londoner Börse legte am Freitag zum Handelsstart deutlich zu. Der britische Aktienindex FTSE 100 stieg in den ersten Handelsminuten um mehr als ein Prozent auf 7.529,09 Punkte. Analysten begründeten die Aktiengewinne mit der Pfund-Schwäche.

Britische Unternehmen drängten unterdessen auf die rasche Bildung einer funktionierenden Regierung. Für die Politiker müsse jetzt Priorität haben, ihre eigenen Angelegenheiten zu ordnen, die Märkte zu beruhigen und die heimische Wirtschaft zu schützen, forderte die Lobbygruppe CBI.

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