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Der heilsame Geiz mit Rezepten

Ein scheinbar schlichter Modellversuch will dem steigenden Schmerzmittelkonsum in den USA beikommen. Das Patentrezept am Dartmouth-Hitchcock Medical Center lautet: Einfach weniger verschreiben. Die Sparsamkeit am Rezeptblock, so das Ergebnis der Studie, kommt Ärzten, Patienten, Krankenkassen und letzten Endes vor allem der Gesellschaft zugute.

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Die Opioid-Krise gilt als die schlimmste Drogenkrise der Amerikanischen Geschichte - seit dem Jahr 2000 starben in den USA 180.000 Menschen allein durch die Überdosierung legaler, aber verschreibungspflichtiger Medikamente. Im Gegensatz zu den Heroin- und Crack-Suchtepidemien der 70er und 80er Jahre, die ihre Opfer vor allem unter Afroamerikanern in armen Verhältnissen forderten, betrifft die aktuelle Drogenkrise auch Weiße und Bürger aus der gebildeten Mittelschicht.

Die Gefahr von Opioiden

Unter Opioiden versteht man Schmerzmittel, Methadon und Heroin. Die wichtigste Wirkung ist die Schmerzlinderung (Analgesie), sie können aber auch einen beruhigenden oder euphorisierenden Effekt haben. Zu den Nebenwirkungen zählt die verminderte Aufmerksamkeit. Bei Überdosierung lassen sie die Atmung stocken. Bei längerer Einnahme machen sie abhängig.

Der Grund: Verschreibungspflichtige Schmerzmittel werden von Ärzten oft allzu leichtfertig und in zu großer Menge verschrieben, und von den Patienten und deren Angehörigen ebenso leichtfertig und über einen zu langen Zeitraum eingenommen - bis eine Abhängigkeit eintritt. Seit dem Jahr 2015 versuchte die US-Regierung und Präsident Barack Obama der Krise mit einem staatlichen Überwachungsprogramm Herr zu werden, das derzeit in allen Staaten mit Ausnahme von Missouri Anwendung findet. Apotheken und Ärzten ermöglichen diese Programme den Zugang zu Patientendaten, um die Verschreibungsgeschichte überprüfen und eine mögliche Abhängigkeit erkennen zu können. Auch der Ärztewechsel, das „doctor hopping“, soll auf diese Weise unterbunden werden - mehr dazu in science.ORF.at.

Freizügiger US-Umgang mit Schmerzmitteln

Allerdings machen nicht alle, die die Medikamente verschreiben und verkaufen von dieser Möglichkeit auch Gebrauch. Nach wie vor werden Schmerzmittel in den USA wesentlich freizügiger verschrieben als etwa hierzulande, obwohl sie bekanntermaßen als Einstiegsdroge für Heroin dienen können.

Präsentation einer Kampagne gegen missbräuchliche Verwendung von Opioiden in Utah

AP/Rick Bowmer

Dr. Erik Christensen, Untersuchungsleiter am Utah Department of Health

Im Jänner startete das Gesundheitsministerium des Bundesstaates Utah, der in der landesweiten Statistik für Opioid-Tode sehr weit oben liegt, bereits eine medienwirksame Kampagne mit dem Titel „Stop the Opidemic“. Auf seiner Website bildete das Gesundheitsdepartment die handelsüblichen Präparate neben farbigen Piktogrammen ab, erklärte ihre gar nicht harmlosen Nebenwirkungen und ließ Abhängige und Hinterbliebene in YouTube-Clips zu Wort kommen.

Eine aktuelle Studie am Dartmouth-Hitchcock Medical Center in Lebanon, New Hampshire, versucht dem Phänomen der „Überverschreibung“ dagegen mit einer ganz praktischen Maßnahme beizukommen. Unter der Leitung des Chefchirurgen Richard J. Barth wurde ein Katalog erstellt, der genau auflistet, welches Schmerzmittel in welcher Menge bei einer bestimmten Operation verschrieben werden darf. Eine Entscheidung, die zuvor dem Gutdünken des behandelnden Arztes unterlag.

Gefährliche Bequemlichkeit der Ärzte

„Die meisten Ärzte sagen: ‚Ich will den Schmerz stoppen und will verhindern, dass die Patienten zurückkommen und Nachschub verlangen. Deswegen verschreibe ich gleich eine große Menge‘“, wird Studienleiter Barth in der „Washington Post“ zitiert. „Das Problem ist bloß: die Gesellschaft hat den Schaden.“

Als Resultat der neuen Regeln verschrieben die Ärzte des Krankenhauses um 53 Prozent weniger Schmerzmittel für Patienten, die sich ambulanten Behandlungen unterzogen. Und nicht einmal die so reduzierte Medikamentenmenge wurde tatsächlich aufgebraucht. Tatsächlich kam von 224 nach den neuen Richtlinien behandelten Patientin nur ein einziger zurück, um sich weitere Medikamente verschreiben zu lassen.

Offensichtlich, so Barths Schlussfolgerung, die er im „Annals of Surgery“-Journal veröffentlichte, waren in der Vergangenheit selbst von erfahrenen Chirurgen viel zu hohe Mengen an Schmerzmitteln verschrieben worden. „Ärzte sind es gewohnt, sich auf Daten zu verlassen. Wenn es klare Vorschriften gibt, halten sie sich auch daran“, so Barth, der glaubt, dass sein Projekt auch das Potenzial hat, die Situation landesweit zu verändern.

Trump wünscht sich günstigere Medikamente

Das Überwachungsprogramm für verschreibungspflichtige Medikamente PDMP (Prescription Drug Monitoring Program), das unter Obama eingeführt wurde, steht mit dem Regierungswechsel an der Spitze der USA allerdings in Frage. Es war eines der großen Wahlkampfversprechen des jetzigen US-Präsidenten Donald Trump, das Gesundheitsprogramm seines Vorgängers, im Volksmund „Obamacare“ genannt, aufzuheben. Statt einer Pflichtversicherung für alle, will er es den Amerikanern freistellen, ob sie sich versichern oder lieber aus eigener Tasche für ihre Behandlungen zahlen wollen.

Auch in Gesundheitsfragen setzt Trump auf den freien Markt: Um eine günstige Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, wünscht er sich künftig mehr Konkurrenzkampf in der Pharmabranche und damit geringere Medikamentenpreise. Auf diese Weise würden allerdings auch verschreibungspflichtige Medikamente wie Opioide in größeren Mengen erschwinglich. Vorausgesetzt, man findet einen Arzt, der sie verschreibt.

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