Wechselseitige Vorwürfe
Der Wahlkampf für die vorgezogene Nationalratswahl am 15. Oktober wirft seine Schatten voraus. Anlass ist eine vom ÖVP-Finanzministerium beauftragte Studie zu möglichen Auswirkungen einer Einführung des Hartz-IV-Modells in Österreich, die für harsche Kritik beim Koalitionspartner SPÖ sorgte.
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Den Anfang machte SPÖ-Sozialminister Alois Stöger, der Samstagvormittag in einer Aussendung eine „Zerstörung des Sozialsystems“ monierte. „Die Einführung von Hartz IV in Österreich bedeutet Armut und soziale Ausgrenzung“, warnte Stöger. „Menschen in die Armut zu treiben hat nichts mit verantwortungsvoller Sozial- und Wirtschaftspolitik zu tun.“ Statt Tempo bei der Langzeitarbeitslosen-„Aktion 20.000“ zu machen, blockiere die ÖVP, um anscheinend die Möglichkeiten einer Einführung von Hartz IV in Österreich vorzubereiten.
Er werde nicht zulassen, „Arbeitssuchende mit Hartz IV zu bestrafen, ihnen beinahe das gesamte Ersparte, das Haus und die Eigentumswohnung, das Auto und den Bausparer wegzunehmen“, erklärte Stöger. Hartz IV in Deutschland sei „ein mahnendes und abschreckendes Beispiel für uns“.
Kaiser kritisiert „Kurz’sche Sozial-Abrissbirne“
Wenig später zog der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) nach, kritisierte den „Feldzug gegen sozial Schutzbedürftige“ und ritt eine verbale Attacke gegen den neuen ÖVP-Chef Sebastian Kurz, als er von einer „Kurz’schen Sozial-Abrissbirne“ sprach. Auch Gewerkschafter und SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch warf der „Kurz-ÖVP“ vor, mit Hartz-IV-Ideen „auf die Schwächsten hinzuhauen“.
Kritik kam auch aus den Reihen der Opposition: FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl befand, „mit den Hartz-IV-Visionen aus dem Finanzministerium hat sich die ÖVP vom Volk verabschiedet“ und unterstellte Kurz’ Team „weltfremde Elitenpolitik“. Aber auch der SPÖ traut Kickl nicht, es könne durchaus sein, dass ÖVP und SPÖ nach der Wahl „dieses Sozialkürzungsprogramm beinhart durchziehen“, zumal die Staatskassen leer seien.
Finanzministerium: „Nicht geplant“
In der Studie des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung wird davon ausgegangen, dass nach Bezug des Arbeitslosengeldes statt der Notstandshilfe die bedarfsorientierte Mindestsicherung als staatliche Unterstützung folgt. Das Einsparungspotenzial für den Bund läge bei einer Milliarde Euro jährlich. Gleichzeitig wird aber auch auf einen beträchtlichen Anstieg der Armutsgefährdung hingewiesen.
Schlagabtausch um Studie aus Finanzministerium
Laut der vom Finanzministerium in Auftrag gegebenen Studie könnten Kosten eingespart werden. Allerdings wären auch deutlich mehr Menschen von Armut bedroht.
Das Finanzministerium betonte gegenüber ORF.at, dass es sich bei besagtem Papier um eine vor zwei Jahren in Auftrag gegebene Studie handle. Ein Modell nach dem Vorbild von Hartz IV „war und ist in Österreich nicht geplant“. Derartige Studien seien aber grundsätzlich nichts Außergewöhnliches. Das Finanzministerium prüfe laufend Effizienzpotenziale.
Köstinger: „Musterbeispiele für alten Politikstil“
Auch die ÖVP wehrte sich gegen Vorwürfe, sie wolle ein Hartz-IV-artiges Modell in Österreich einführen. „Das ist ein Musterbeispiel für alten Politikstil“, kritisierte ÖVP-Generalsekretärin Elisabeth Köstinger in einer Stellungnahme. „Wir werden uns an solchen Spielen und diesem Stil nicht beteiligen.“
Köstinger warf umgekehrt der SPÖ vor, „irgendeine Studie aus dem Finanzministerium“ über die Medien veröffentlicht zu haben, die der neue ÖVP-Chef Sebastian Kurz nicht nur nicht kenne, sondern von der er „nicht einmal wusste, dass es sie gibt“. Das strategische Ziel sei derzeit offensichtlich „alle gegen Sebastian Kurz“, ärgerte sich Köstinger. Man werde über das Programm, die Inhalte und Ziele „sachlich rechtzeitig informieren, ohne andere anzupatzen“, versicherte sie.
Kurz mit Seitenhieben gegen Wiens Stadtregierung
Kurz selbst gab keine Stellungnahme zu den Vorwürfen der Sozialdemokraten ab. Man bleibe der eigenen Linie treu und beantworte Angriffe nicht mit Gegenangriffen, hieß es aus dem Büro des ÖVP-Chefs. Indirekte Spitzen gegen die SPÖ gab es am Samstag allerdings auch von Kurz.
Der ÖVP-Bundesobmann erklärte am Samstag, sein politisches Programm Anfang September präsentieren zu wollen. Inhalte nannte er noch nicht, dafür aber jene Politikfelder, in denen er Handlungsbedarf ortet - konkret die Bereiche Wirtschaftsstandort, Sicherheit bzw. Migration und Sozialsystem.
„Wir investieren immer mehr, aber die Qualität steigt nicht“, sagte Kurz mit Blick aufs Sozialsystem zur APA - und schickte eine Spitze gegen die rot-grüne Wiener Stadtregierung hinterher, als er die Gangbetten in Wiener Spitälern und die langen Wartezeiten auf wichtige Untersuchungen kritisierte. Als weiteres Handlungsfeld im Sozialbereich nannte Kurz unter anderem die „Zuwanderung ins Sozialsystem“ - ein weiterer Seitenhieb auf Wien, wo die Kosten für die Mindestsicherung und die Anzahl der Bezieher stetig in die Höhe gehen.
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