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„Mode ist altmodisch“

Wer eine Leidenschaft für androgynen Chic, breite Schultern und melodramatischen Glamour hat, kann sie in diesem Frühjahr ausleben und schon einmal beginnen, seinen Kleiderschrank nach verbliebenen „Modesünden“ zu durchforsten. Die 80er sind zurück und laut Modeexperten ist heuer keine Paillette zu viel, keine Farbe zu schrill und keine Schulter zu breit.

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Dicke Haarbänder, hüfthohe Spandexhosen und Bauchtaschen, Tiger- und Leopardenprints sowie der nicht enden wollende Einsatz von Glitzer. Die 80er Jahre kannten kaum modische Tabus. Lurex, Spandex und Lackleder waren die textilen Markenzeichen dieser Zeit und kamen in den Jahren von 1981 bis 1989 wahrscheinlich insgesamt häufiger zum Einsatz als in den anderen vergangenen Jahrzehnten zusammen.

Balenciaga Spring Summer 17 @bazaaruk March 2017 Issue by @carineroitfeld, photography by @bibicornejoborthwick

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Was sich im vergangenen Herbst angedeutet hat, erlebte im Frühjahr seinen Höhepunkt: Glänzende Lacklederoveralls, neonfarbene Leggins und kastenartige Blazer waren die Hauptthemen auf den Frühlingsmodenschauen von Balenciaga, Kenzo und Saint Laurent.

Klone einer vergangenen Modeära

Kenzo schickte Annie-Lennox-Klone auf den Laufsteg und Balmain präsentierte Kleider aus dem Metallgewebe Lame, die sofort an die ausgemergelte Michelle Pfeiffer in Brian de Palmas „Scarface“ erinnerten. Es folgten Fallschirmhosen bei Isabel Marant, Dauerwelle und pinkfarbenes Leder bei Marc Jacobs.

💓💞💗 Marc Jacobs Spring '17 by @_glen_luchford for @vogueparis #MJSS17

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Besonderes Augenmerk wurde auf die Schulterpartien gelegt. Während frau sie im vergangenen Frühling ganz herzuzeigen wagte, soll sie nun einerseits (einseitig) bedeckt werden und mit Rüschen oder Puffärmeln versehen sein. Andererseits dürfen Jacken und Blazer übertrieben kantige oder runde Formen annehmen. Leoparden-, Tiger- und sogar Zebramuster sind „Allrounder“, die sich in fast jeder Kollektion bekannter Designer finden lassen.

„Recyceln alter Ideen“

Dieses Wiederaufleben bleibt nicht kritiklos. Lidewij Edelkoort, eine respektierte Trendforscherin, die sich zweimal jährlich mit ihren Prognosen an die Mode- und Designwelt wendet, nannte bereits im Mai 2016 zehn Gründe dafür, warum das Modesystem veraltet sei. In Auszügen aus ihrem „Anti-Fashion Manifesto“, das sie im Dezember während der Voices – eine Art Modetagung des „Business of Fashion“-Magazins - vorstellte, beschrieb Edelkoort, warum die Kleiderindustrie heute „eine lächerliche und erbärmliche Parodie dessen ist, was sie einmal war“.

Harte Worte an die Branche, die vergangenen Saisonen wirkten zwischendurch aber tatsächlich etwas spannungsarm. Nachdem die 70er bereits bis an ihre Schmerzensgrenze ausgebeutet wurden, das Würgehalsband aus den 90ern ebenfalls schon ein Eins-zu-eins-Revival feierte, sind nun eben die 80er dran. Nur einige wenige Designer, wie etwa Shayne Oliver - Designer bei Hood by Air - und Vivienne Westwood vermieden in ihren Kreationen eine schale Nachahmung des Gestrigen.

Tassels and sequins. #MANSS17

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Aber selbst Westwood, Veteranin des Punk, schneiderte für den Frühling neben einem getunten „Flashdance“-Outfit ein feminines Jäckchen, das stark an die Husarenjacken ihres „Piratenlooks“ erinnert, den sie exklusiv für die Band Adam and the Ants in den 80ern entworfen hatte.

Mode braucht Veränderung und Innovation

Warum die Mode gerade in der Krise steckt, sei darin begründet, dass Modemacher „Bekleidung“ produzieren würden, anstelle von „Mode, die verändert, wie wir schreiten, stehen und flirten“, so die niederländische Forscherin. Heutzutage würden Designer lediglich „stylen“ und nur noch „alte Ideen recyceln, die nun die Laufstege heimsuchen“. „Mode ist altmodisch“ und es fehle an konzeptuellen Innovationen, an Veränderungen – und das würde zu einem Verlust der Kernidee von Mode führen, beklagt Edelkoort in ihrem Voices-Vortrag.

Abgesehen davon, dass die Mode - schon wieder - tot zu sein scheint und sich deshalb im Kreis dreht, zieht sich die Lust nach den 80s nicht nur durch die Kleiderindustrie, auch andere popkulturelle Zweige sind davon „betroffen“. Äußerst erfolgreich ist etwa die erste Staffel der Netflix-Serie „Stranger Things“, deren überirdische Handlung 1983 ansetzt. Ein Reboot des „Denver Clans“ (1981-1989) und ein Remake der Hitkomödie „Splash – Jungfrau am Haken“ (1984) sind bereits in Planung.

Realitätsflucht und Hang zur Leichtigkeit

Während Edelkoort die immer wiederkehrenden Motive stark kritisiert, gibt es vonseiten der Modemacher keine eindeutige Erklärung, warum Puffärmel und Bauchtaschen jetzt wieder auf dem Plan stehen. „Sollen wir es einfach Eskapismus nennen?“, fragt das „W“-Magazin. Für das Datenanalyseunternehmen Edited ist es Teil eines größeren Trends in Richtung Leichtigkeit.

"Luminescence" at Vivienne Tam FW17 . . . #style #fashion #fashionweek #vivennetam #fw17 #makeupartist #runway #nyfw

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Klar ist, dass nicht nur das Frühjahr ganz im Zeichen von breiten, nackten und mit Rüschen versehenen Schultern, praktischen Bauchtaschen und überdimensionalen Ohrringen steht, auch die Herbstmodenschauen präsentierten einen 80er-Chic. Obwohl eh schon einmal da gewesen und wenig überraschend: Die 80er sind - wieder - gekommen, um zu bleiben.

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