Mehr Freiheit kann mehr Stress bedeuten
Smartphone und Laptop - viel mehr Büro brauchen viele Arbeitnehmer für ihren Job nicht mehr. Viele Unternehmen bieten ihren Angestellten inzwischen die Möglichkeit, von zu Hause zu arbeiten. Obwohl der Wunsch nach räumlicher Flexibilität oft von den Arbeitnehmern ausgeht, sei die Gefahr von negativen Auswirkungen nicht zu unterschätzen, warnen die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingung (Eurofound).
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Zu den negativen Effekten zählen etwa Stress durch ständige Erreichbarkeit. Generell überwiegen laut einer gemeinsamen Studie von ILO und Eurofund jedoch die Vorteile: Der Großteil derjenigen, die mobil arbeiten, gaben an, dass sie Zeit sparen und autonomer in der Arbeitseinteilung seien. Firmen hätten motiviertere Mitarbeiter und müssten keine Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Die Gesellschaft profitiere, weil weniger Autos unterwegs seien. Menschen, die wegen Behinderungen oder heimischer Verpflichtungen nicht mobil seien, könnten dennoch arbeiten.
Die Organisationen haben die Lage in 15 Ländern verglichen - in zehn EU-Ländern sowie Argentinien, Brasilien, Indien, Japan und den USA. Während in Argentinien nur zwei Prozent der Menschen mobil arbeiten, sind es in Schweden 32 Prozent. Die Ländervergleiche sind allerdings problematisch: ILO und Eurofound haben keine eigenen Daten erhoben, sondern verweisen auf andere Studien, die sich aber auf verschiedene Jahre beziehen.
Grenzen zwischen Arbeitsmodellen verschwimmen
Laut der Österreichischen Wirtschaftskammer (WKÖ) gibt es für Österreich im Moment keine entsprechenden Zahlen. Das sei vor allem damit zu begründen, dass mobiles Arbeiten nur schwer zu kategorisieren sei und per Definition etwa auch Außendienstmitarbeiter, die nur sporadisch ihren Arbeitsplatz nutzten dazugezählt würden. Durch die zunehmende Digitalisierung und etwa die Möglichkeit, Besprechungen via Videokonferenzen abzuhalten, sei die Flexibilität aber eindeutig gestiegen. Die Grenzen zwischen verschiedenen Arbeitsmodellen verschwimmen zunehmend.
Laut ILO führt die Zunahme mobiler und flexibler Arbeitssituationen oft auch zu längeren Arbeitszeiten. Die beste Balance zwischen Vor- und Nachteilen erzielen Menschen, die nur zeitweise von zu Hause oder unterwegs arbeiten. Laut WKÖ sollten Firmen solche Angebote fördern, müssten aber Sorge dafür tragen, dass Mitarbeiter nicht unbezahlte Überstunden leisten. „Auch auf die Beschäftigung des Arbeitnehmers in seiner eigenen Wohnung ist das Arbeitszeitgesetz mit seinem vollen und uneingeschränkten Inhalt anzuwenden“, so die WKÖ.
Der Wunsch nach Telearbeit kommt laut WKÖ meist von den Arbeitnehmern, oft mit dem Ziel, so die Kinderbetreuung besser organisieren zu können. Bedingung für Telearbeit sei allerdings, dass diese überhaupt möglich ist, also die eigentliche Arbeit auch tatsächlich papierlos organisierbar ist und die Arbeitnehmer von außen auch ausreichend Zugang etwa zum Mail-System und zu Daten haben. Sollten wichtige oder besonders schützenswerte Dokumente für die tägliche Arbeit notwendig sein, untersagen viele Firmen zumindest für diese Bereiche Telearbeit aber auch komplett, zum Beispiel Banken.
Vertrauensverhältnis wichtig
Laut der Gewerkschaft GPA-djp spricht nichts Grundsätzliches gegen Telearbeit. Wichtig sei aber, dass entscheidende Punkte wie Haftungsfragen und die Übernahme der Kosten für Geräte und Internetanschluss ordentlich geregelt seien. Viele Mitarbeiter stellten ihre eigenen Geräte zur Verfügung, weil diese oft auch aktueller und schneller seien - bei etwaigen Problemen, etwa wenn das Gerät im Arbeitseinsatz kaputtgehe oder das Internet ausfalle, gebe es dann aber oft keine Lösung.
Auch die Arbeitszeit und die Erreichbarkeit der Mitarbeiter gehöre bei aller Flexibilität in einer Betriebsvereinbarung und im jeweiligen Arbeitsvertrag ganz genau geregelt. Gefährlich bei der Telearbeit ist laut Gewerkschaft die Tendenz zur „entgrenzten Arbeit". Gerade durch Smartphones, die mittlerweile rund die Hälfte aller Angestellten hätten, seien viele Mitarbeiter jederzeit und überall erreichbar, das belegten jüngste Studien. Pausen gehörten ebenfalls genau geregelt, schließlich gelte die Obsorgepflicht des Arbeitgebers auch für Mitarbeiter außerhalb des Büros.
Laut einer Studie der Arbeiterkammer (AK) Niederösterreich besitzt schon jeder Siebente Beschäftigte ein Diensthandy. Die ständige Erreichbarkeit von Beschäftigten in der Freizeit, im Urlaub und im Krankenstand steige „dramatisch“. Für Kollegen und Vorgesetzte seien fast 70 Prozent der Dienstnehmer auf dem Weg von und zur Arbeit erreichbar, abends und an Wochentagen 66 Prozent, im Krankenstand 60 Prozent, so die AK-Studie.
E-Mails im Urlaub
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine deutsche Studie, die sich der Erreichbarkeit per E-Mail gewidmet hat. Die Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ergab, dass fast jeder zweite Erwerbstätige in Deutschland nach Feierabend seine beruflichen E-Mails checkt. Etwa jeder Dritte hat in seinem letzten Urlaub mindestens einmal in die Dienstmails geschaut. Dabei wird die ständige Erreichbarkeit auch nach Feierabend von etwa jedem Dritten als „eher“ oder „sehr belastend“ empfunden.
Die ständige Erreichbarkeit hat noch mehr Schattenseiten. Erholungszeiten werden verkürzt oder unterbrochen, auch der Abstand zwischen Arbeit und nächtlicher Ruhe falle unter Umständen schmaler aus und könne zu Schlafstörungen führen. Eine ernste Konsequenz könne ein Erschöpfungszustand sein, so eine Studie der Initiative Gesundheit und Arbeit (iga). Stressbedingte Gesundheitsbeschwerden wie Bluthochdruck und psychische Beschwerden wie Ängstlichkeit, Schlafstörungen, Burn-out oder ernsthafte Krankheiten wie Depression seien schlimmstenfalls die Folge.
„Recht auf Abschalten“ im Gesetz
Einige Konzerne haben inzwischen Schutzmechanismen für ihre Mitarbeiter eingeführt, etwa ein Recht auf Nichterreichbarkeit. Während in einigen Firmen auf Eigenverantwortung gesetzt wird, gibt es bereits Modelle, in denen E-Mails in Randzeiten gar nicht erst zugestellt werden. In manchen Ländern ist das „Recht auf Abschalten“ bereits gesetzlich geregelt, etwa in den Niederlanden. In Frankreich ist ein entsprechendes Gesetz seit Jahresbeginn in Kraft.
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