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„Hoffe, dass wir Nummer eins werden“

Die ÖVP werde ihren Koalitionspartner nicht überstimmen - zumindest nicht, solange auch die SPÖ die ÖVP nicht überstimmt. Das stellte Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) am Sonntag in der ORF-„Pressestunde“ klar. Schelling kritisierte Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) für dessen angekündigten Kurs in der Zeit bis zur Neuwahl im Oktober.

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Dem von Kern angekündigten freien Spiel der Kräfte erteilte er eine Abfuhr. Davon halte er „offen gesagt gar nichts“. Schelling verwies im Gespräch mit Martina Salomon vom „Kurier“ und Hans Bürger diesbezüglich auch auf das Koalitionsübereinkommen und erinnerte daran, dass auch Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) und Bundespräsident Alexander Van der Bellen ein freies Spiel der Kräfte im Nationalrat ablehnen.

Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) in der ORF-Pressestunde mit Hans Bürger (ORF) und Martina Salomon (Kurier)

ORF

Martina Salomon („Kurier“) und Hans Bürger (ORF) befragten Schelling

Brandstetter müsse „Rosenkrieg vermeiden“

Dass der von der ÖVP ernannte Justizminister Wolfgang Brandstetter das Amt des Vizekanzlers übernommen hat, begrüßte Schelling. Der designierte ÖVP-Chef Sebastian Kurz habe als Außenminister und OSZE-Vorsitzender „eine Menge zu tun“. Brandstetters Aufgabe sei es, abzuarbeiten, was noch auf dem Tisch ist, und einen „Rosenkrieg zu vermeiden“.

Angesprochen darauf, ob Schelling sich nicht lieber selbst als Vizekanzler gesehen hätte, sagte er, dass er „nie im Gespräch war“ und die Rolle nicht angestrebt habe. Dass eine Personalentscheidung des Regierungspartners nicht akzeptiert wird, bezeichnete Schelling als „Tabubruch“.

Fertige Pakete sollen beschlossen werden

Dass es bis zum Herbst keine Regierungsvorlagen mehr geben soll, hält Schelling für falsch. Aus seiner Sicht sollte der Ministerrat weiterhin stattfinden. „Das gesamte Regierungsprogramm hätte bis Juni abgearbeitet werden können und sollen“, sagte er im Hinblick auf noch offene Punkte im Programm.

Sein Ziel sei es nun, zumindest koordinierte gemeinsame Anträge ins Parlament zu bringen. Bis zur Wahl beschlossen werden sollten noch die Umsetzung der Geldwäscherichtlinie, der Beschäftigungsbonus, die Erhöhung der Studienbeihilfe, die „Aktion 20.000“ sowie die Frauenquote in Aufsichtsräten von börsennotierten Unternehmen.

Fehlende Zweidrittelmehrheit für Bildungsreform

Bei der im Nationalrat liegenden Gewerbeordnung brauche es noch eine Runde, offen seien noch die Abfederung der kalten Progression, das Fremdenrechtspaket und das Sicherheitspolizeigesetz. Das Budget und der Finanzrahmen würden jedenfalls fortgeschrieben, bis eine neue Regierung ein neues Budget beschließt.

Bei der Bildungsreform sei man nach Schellings Wissensstand aufgrund der Verhandlungen „weit gekommen“. Momentan fehle es aber an einer Zweidrittelmehrheit. Es liege an Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ), für diese im Parlament zu sorgen. „Was wir als Koalition machen mussten, haben wir getan“, sagte er und verwies auf die Grünen, die den „großen Ausbau der Gesamtschule“ fordern.

Nulltoleranz für Steuerbetrug

Schelling hat sich auch klar für Nulltoleranz bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug ausgesprochen. Im Zusammenhang mit den jüngsten Berichten über mutmaßlich dubiose Steuerpraktiken großer Konzerne auf Malta mache es ihn sehr nachdenklich, dass diese Praktiken eigentlich mitten in Europa stattfinden, so Schelling.

„Wir reden nicht von Panama, den Virgin Islands oder Mauritius, sondern von Irland, Luxemburg, Holland oder Malta“, sagte Schelling. Solange diese Konstruktionen aber legal seien, seien sie legal. Nur der Gesetzgeber könne das verändern, „was wir auch tun“.

Versteuerung „ab dem ersten Euro“

Nicht tolerierbar sei auch, dass beim grenzüberschreitenden Onlinehandel im Gegensatz zum stationären Handel erst ab 22 Euro eine Mehrwertsteuer anfalle. Er habe bei der EU-Kommission beantragt, dass ab dem ersten Euro Mehrwertsteuer zu verrechnen sei, denn im Regelfall könnten die Importe nicht genau kontrolliert werden, etwa auch auf Falschdeklarationen. Auch hier gebe es Nulltoleranz, immerhin sei die Mehrwertsteuer die größte Einnahmenquelle des Staates.

Bei der Finanztransaktionsteuer (FTA) komme man weiter, mit der Ausnahme, dass der erst seit drei Tagen im Amt befindliche neue französische Finanzminister ihn gebeten habe, dass er sich die Sache erst anschauen wolle. Frankreich sei bisher immer dabei gewesen. Grundsätzlich stehe das Projekt aber, es gebe Zusagen von der Slowakei, Slowenien und Belgien, da mitzumachen. Der nächste Schritt wäre, dass die EU-Kommission einen Gesetzestext vorschlägt und dann die Minister entscheiden, wann er in Kraft tritt.

Keine Hinweise auf mögliche Koalition

Auf Gedankenspiele zu möglichen Koalitionsvarianten nach der Nationalratswahl am 15. Oktober ließ sich Schelling im ORF-Fernsehen nicht ein. „Ich hoffe, dass wir mit der neuen Volkspartei die Nummer eins werden und den Kanzler stellen“, dann sei „das Spiel offen“. Jetzt sei aber der Wähler am Wort. Allerdings merkte Schelling auch an, dass die Präferenz von Bundeskanzler Kern, Rot-Grün-NEOS, weit von einer Mehrheit entfernt sei.

Der neue ÖVP-Name „Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei“ gefällt Schelling aus markentechnischer Sicht. „Es ist ein guter Weg, zu sagen, wir wollen uns öffnen“, sagte Schelling. Dass auf einem von Kurz in den Sonntagszeitungen geschalteten Inserat das Logo der ÖVP fehlt, störe ihn nicht: „Wir sind ja nicht im Wahlkampf“, meinte Schelling. Wenn der Wahlkampf losgehe, werde die ÖVP entsprechend sichtbar sein. Derzeit werde das ÖVP-Programm von Kurz als Wahlprogramm aufbereitet, Kurz werde dabei aber die Grundzüge nicht verlassen, meinte Schelling.

SPÖ und FPÖ vermissten Kurz

SPÖ und FPÖ haben in der „Pressestunde“ den designierten ÖVP-Chef Kurz vermisst. „Es wäre hoch an der Zeit, dass er seine inhaltlichen Vorstellungen in der Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik erläutert und sich der Öffentlichkeit stellt“, meinte SPÖ-Klubchef Andreas Schieder in einer Aussendung. Es sei „sehr schade“, dass Kurz der Einladung nicht gefolgt sei. Inhaltlich gab sich Schieder konstruktiv. Er hoffe auf die Umsetzung vieler gemeinsamer Projekte bis zum Sommer.

Für FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl musste Finanzminister Schelling die Flucht von Kurz vor kritischen Fragen „ausbaden“, wie Kickl erklärte. Der Oppositionspolitiker warnte davor, „auf den Schmäh einer ‚Neuen Volkspartei‘“ hereinzufallen. Auch das Team Stronach sprach von einem „Etikettenschwindel“. Für NEOS-Chef Matthias Strolz verharrt die Regierung in einer Koalitionsstarre, obwohl die Scheidung schon vollzogen sei. Das freie Spiel der Kräfte sei „eine große Chance für Österreich, die Zeit bis zum Sommer für dringend notwendige Maßnahmen zu nutzen“.

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