Stinkende Krise in der ewigen Stadt
Roms Müllkrise hat sich in den letzten Wochen erneut zugespitzt: Zwei Staatsfeiertage sowie der Brand einer Mülldeponie haben dafür gesorgt, dass sich derzeit noch mehr Abfall auf den ohnehin schon verschmutzten Straßen, Plätzen und Gehwegen stapelt. Die Verschickung von Müllzügen ins niederösterreichische Zwentendorf soll erst einmal Erleichterung schaffen.
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Zur Wahl angetreten war Roms junge Bürgermeisterin Virginia Raggi im Sommer 2016 mit der Ankündigung, den „Augiasstall“ Rom auszumisten. Doch der Erfolg blieb ihr bisher verwehrt. Kaum wird es wieder wärmer, stapeln sich aufgeplatzte, stinkende Plastiksäcke in den Straßen ihrer Stadt und zeigen, dass auch Raggi die Herkulesaufgabe, Rom zu säubern, nicht gelingt.
Zwei Staatsfeiertage - der Tag der Befreiung, den man in Italien am 25. April begeht und der Tag der Arbeit am 1. Mai - haben zuletzt zusätzlichen Müll mit sich gebracht, während das städtische Müllentsorgungsunternehmen AMA die Arbeit ruhen ließ.
EU-Kommission leitet Verfahren ein
Am Dienstag vermeldete zudem die EU-Kommission, dass sie ein Verfahren gegen Italien einleiten wird, wegen nicht gelöster Probleme in der Abfallentsorgung. Das Land habe es verabsäumt, bis 2009 Mülldeponien nach den Vorgaben einer EU-Richtlinie umzubauen oder zu schließen. Noch immer verstoßen 44 Deponien gegen EU-Umweltgesetze. Und am augenfälligsten wird die Müllkrise eben an Italiens zugemüllter, prächtiger Hauptstadt.

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Die Rechtsanwältin Virginia Raggi ist seit Juli 2016 Bürgermeisterin von Rom
Für Raggi ist es also eine notwendige Zwischenlösung, wenn sie veranlasste, einen Teil des Abfalls gegen Bezahlung in Zwentendorf verbrennen zu lassen. Momentan treffen dort wöchentlich bis zu drei Güterzüge mit römischem Hausmüll ein. Rund 140 Euro werden von der italienischen Zeitung „Il Tempo“ als Summe kolportiert, die Rom pro Tonne verheizten Hausmüll an die EVN, den Betreiber des Heizkraftwerks Dürnrohr/Zwentendorf, bezahlt - eine teure Lösung, die sich auf Dauer wohl kaum durchhalten lässt.
„Wer Müll verbrennt, ist blöd“
Als Kandidatin der Fünf-Sterne-Bewegung muss sich Raggi an den Vorgaben von deren Gründer Beppe Grillo orientieren. Der ehemalige Komiker macht keinen Hehl aus seiner Haltung gegenüber konventioneller Müllentsorgung. Am 13. Mai behauptete er in seinem Blog: „Mülldeponien und –verbrennungsanlagen sind das Manna der heutigen Politik, und wir (die Fünf-Sterne-Bewegung) haben diesen Kurzschluss unterbrochen. Wir werden die Produktion von Abfall verhindern. Die Technologien, die uns dabei helfen, gibt es schon.“
Italiens Umweltminister, Gian Luca Galletti von der christdemokratischen Partei UdC, wies Grillos Kritik an der konventionellen Müllwirtschaft in einem Artikel der italienischen Tageszeitung „La Repubblica“ zurück: „Laut Grillo sind in Schweden, Österreich, Dänemark und Deutschland alle blöd, weil sie Müll verbrennen, obwohl ihr Anteil an Mülltrennung weit über dem unserer Hauptstadt liegt.“ Implizit wirft Galetti Grillo und seiner Partei Populismus vor. Sie operiere mit politischen Konzepten, die sich in der Praxis gar nicht durchsetzen ließen.
Fünf-Sterne-Bewegung
MoVimento 5 Stelle (M5S) entstand aus einer 2009 vom Kabarettisten Beppe Grillo gegründeten Bürgerbewegung. Die fünf Sterne stehen für Ambiente, Acqua, Sviluppo, Connettivita, Trasporti (Umwelt, Wasser, Entwicklung, Konnektivität und Verkehr). In Rom wurde M5S-Kandidatin Virginia Raggi 2016 als erste Frau zur Bürgermeisterin gewählt.
Raggi zum Beispiel hatte bei ihrer Wahl im Sommer 2016 versprochen, in Rom bis zum Jahr 2022 eine Recyclingrate von 70 Prozent durchzusetzen - derzeit sind es 44 Prozent - und die Stadt auf lange Sicht zur „Zero Waste City“, also zur müllfreien Stadt, umzurüsten. Im April 2017 legte sie einen Zwölfpunkteplan zur Müllvermeidung vor, der unter anderem die Umbenennung von „Müll“ in „Nachnutzungsmaterial“ vorschlägt. Diejenigen Betriebe und Privathaushalte, die weniger Müll produzieren und ihn ordentlich trennen, sollen zukünftig eine reduzierte Abfallentsorgungsgebühr zahlen. Die Abfallgebühr liegt in Rom derzeit rund 50 Prozent über dem italienischen Durchschnitt - was angesichts der chaotischen Situation für viele Bewohner wie Hohn wirkt.
Mistentsorgung und Mafia
Tatsächlich sitzt das strukturelle Problem, das die Stadt Rom mit ihrer Müllentsorgung hat, noch eine Schicht tiefer. Es ist kein Zufall, dass die AMA so teuer ist. Teile der AMA seien in Mafia-Händen, hieß es vergangenen Sommer immer wieder in den italienischen Medien. Gewinnbringende Aufträge, zum Beispiel im Recyclingbereich, seien an Privatunternehmen gegangen, während sich die mit öffentlichen Geldern finanzierte AMA um den teuren Abtransport des Restmülls kümmern müsse.
Und ausgerechnet gegen Raggis Umweltbeauftragte, die parteilose Paola Muraro, die zuvor als teuer bezahlte Beraterin für die AMA gearbeitet hatte, wurde wegen Amtsmissbrauchs und Bestechlichkeit während ihrer AMA-Tätigkeit ermittelt - bis diese im Dezember 2016 zurücktrat.
Ein halbes Jahr später steht es nicht besser um die AMA. Die beiden großen Halden vor Rom, Latina und Frosinone, nehmen laut einem Bericht der italienischen Tageszeitung „La Stampa“ derzeit weniger Müll an, da ihre Verbrennungsanlagen nicht mit voller Leistung arbeiten können. Und die Müllverbrennungsanlage in Rocca Cencia bei Rom ist nach einer Serie von Anrainerprotesten im Moment überhaupt nicht in Betrieb.

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Deponien als Zankapfel zwischen den Parteien
Erschwerend kommt hinzu, dass das Umland von Rom, anders als die italienische Hauptstadt selbst, vom Partito Democratico (PD) - also von den Gegenspielern der M5S-Partei aus dem Mitte-links-Feld - regiert wird. PD-Politiker und Präsident der Region Latium, Nicola Zingaretti, kündigte in „La Repubblica“ bereits an: „Rom soll sich seinen Müll behalten - wir sind bereit, auf die Barrikaden zu gehen.“
Und wahrscheinlich war es kein Zufall, dass Anfang Mai Plastik und Papier in einer großen Recyclinganlage in Pomezia, Latium, in Flammen aufgingen - die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits wegen Brandstiftung. Für die M5S und ihr Recyclingkonzept ist es jedenfalls ein herber Rückschlag, dass dieser große Recyclingstandort der Partnerfirma EcoX durch das Feuer komplett zerstört wurde.
Die Opposition räumt den Müll weg
Während Raggi und die Fünf-Sterne-Bewegung also an allen Fronten zu kämpfen haben, nutzen die Unterstützer der landesweit stärksten politischen Partei, PD, die Gunst der Stunde. In ihren auffälligen gelben Parteileiberl, mit Gummihandschuhen und Müllsäcken bewaffnet, säuberten sie am Muttertag werbewirksam die Stadt. Und natürlich machten auch diese Bilder - wie zuvor die Aufnahmen von überquellenden Tonnen, Ratten und Mäusen auf den Straßen Roms - die Runde auf Sozialen Netzwerken und sorgten für negative Publicity für Raggi und ihr Team.
Die wiederum suchen weiter nach einer Lösung. Bis sie die aber gefunden haben, wird Roms Müll, oder zumindest ein Teil davon, weiter Woche um Woche 1.000 Kilometer nach Zwentendorf rollen - und der niederösterreichischen EVN satte Gewinne bescheren - laut „La Repubblica“ 14 Millionen Euro pro Jahr.
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