„Zutiefst persönliche Entscheidung“
Eva Glawischnig tritt mit sofortiger Wirkung von allen politischen Ämtern zurück und scheidet aus dem Nationalrat aus. Ihre Entscheidung sei eine „zutiefst persönliche“ gewesen, sagte die 48-Jährige am Donnerstag bei einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz im Parlament.
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Einen bestimmten Anlass für diese Entscheidung habe es nicht gegeben, so Glawischnig. Die Entscheidung sei in letzter Zeit gereift und durch die Neuwahlsituation zugespitzt worden. In letzter Zeit habe es „in aller Offenheit“ gewisse körperliche Warnsignale gegeben, so Glawischnig, etwa einen allergischen Schock. Bei ihrer Erklärung verwies Glawischnig auf ihre Familie und auf ihre zwei Söhne.
Als Mutter könne sie ihre Gesundheit nicht aufs Spiel setzen. Das und der Umstand, als Spitzenpolitikerin 24 Stunden am Tag an sieben Tagen in der Woche verfügbar zu sein, habe sie bewogen, sich gegen dieses berufliche Engagement zu entscheiden.
Mahnung an Politik, Medien - Spitzen gegen Strache
Bei aller Freude, die ihr die Politik gemacht habe, „den Job des Parteichefs, der Parteichefin kann man nicht ewig machen. In Zeiten der medialen Zuspitzung reibt das jeden Menschen einfach auf.“ Sie habe vier ÖVP- und drei SPÖ-Chefs überlebt, „nur (FPÖ-Chef Heinz-Christian, Anm.) Strache teilt mein Dienstalter“, so Glawischnig: „Ich sehe noch nicht so alt aus, wie mein Dienstalter eigentlich sein sollte.“

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Glawischnig verwies bei der Pressekonferenz in Wien auf ihre Erfolge als Parteichefin
„Die politische und mediale Aggressivität hat wahnsinnig zugenommen“, so Glawischnig. An Politik und Medien appellierte sie, sich rückzubesinnen auf das, was wirklich relevant sei, und nicht das, „was man dramaturgisch brutal überspitzen kann“, mit denen man „Klicks, Aufmerksamkeit, Quote und die Ängste von Wählerinnen und Wählern mobilisieren kann“. Hier habe auch die Politik in den letzten Jahren übers Ziel hinausgeschossen.
Auch „einzelne Persönlichkeiten“ in der Medienbranche kritisierte sie, da diese das Klima in der Republik „regelrecht vergiften“ und journalistische Sorgfalt vermissen ließen - oder weil sie „einfach sexistische Machos sind“. An alle Social-Media-Nutzer appellierte sie weiters, die Debattenkultur zu verändern, damit nicht der Hass dominiert. Als Privatperson werde sie auch weiterhin gegen Hass im Netz mit Musterklagen vorgehen. Das will sie „mit aller Kraft weiterbetreiben“. Als „überzeugte Parlamentarierin“ warnte sie auch vor dem „Wunsch und Konzept des sogenannten starken Mannes“.
„Europas erster grüner Präsident“
„Als ich die Partei übernommen habe, gab es viele kritische Stimmen. Viele haben gesagt, die Grünen werden ein Drittel ihrer Wählerinnen und Wähler verlieren“, sagte Glawischnig zu Beginn ihres Statements. Es sei aber ganz anders gekommen, die Grünen seien in die erfolgreichste Phase ihrer Parteigeschichte in Österreich eingetreten.
Rückzug aus allen Ämtern
Glawischnig zieht sich mit sofortiger Wirkung als grüne Parteichefin und Klubobfrau zurück. Auch aus dem Nationalrat werde sie ausscheiden, sagte sie am Donnerstag.
Glawischnig verwies auf die 12,5 Prozent, die die Grünen bei der letzten Nationalratswahl erringen konnten. Zuwächse habe es auch bei den Landtagswahlen in Niederösterreich, Oberösterreich, Tirol, Vorarlberg, der Steiermark und Salzburg sowie bei der Europawahl gegeben. Zudem seien die Grünen in viele Landesregierungen eingezogen. Als Erfolg für sich verbuchte sich auch die Wahl Alexander Van der Bellens zum Bundespräsidenten, dem „ersten grünen Präsidenten Europas“. Das Projekt hätten die Grünen und sie maßgeblich betrieben.
Eine Spitze gab es von Glawischnig für den ehemaligen grünen Nationalrat und Europaabgeordneten Johannes Voggenhuber. Dieser habe ihr nur ein einziges Mal in ihrer Laufbahn gratuliert, 2004, als die Grünen den Einzug in den Kärntner Landtag geschafft und das Ende der Ära Jörg Haider eingeläutet hätten, so Glawischnig.
Nachfolge bleibt offen
Zu ihren möglichen Nachfolgerinnen oder Nachfolgern äußerte sich Glawischnig nicht. Sie verwies lediglich auf den erweiterten Bundesvorstand am Freitag in Salzburg. Eine persönliche Empfehlung verweigerte sie, verwies aber auf die Bedeutung von Frauen in politischen Führungspositionen.

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Von einer Ämtertrennung zwischen Partei und Mandat hält sie wenig, Glawischnig empfahl dazu einen Blick nach Deutschland. Die Entscheidung hierzulande für eine klare Parteispitze sei historisch relevant gewesen. Ihr Ansatz sei immer „mehr Sichtbarkeit von Weiblichkeit“ gewesen, meinte sie zur Frage, ob sie einen Mann oder eine Frau präferieren würde. „Führungskompetenz muss nicht immer in Anzügen und Slim Fit daherkommen“, sagte sie.
Zunächst einmal werden Glawischnigs Stellvertreter Ingrid Felipe und Werner Kogler interimistisch die Leitung der Grünen übernehmen. Die Tirolerin Felipe gilt auch als aussichtsreichste Nachfolgekandidatin. Die 38-Jährige gehört laut „Presse“ zum bürgerlichen Parteiflügel. Die studierte Betriebswirtin ist seit 2005 bei den Grünen, seit 2013 bekleidet sie das Amt der Zweiten Landeshauptmann-Stellvertreterin in Tirol. Chancen werden auch der derzeitigen Vizepräsidentin des EU-Parlaments und grünen Delegationschefin Ulrike Lunacek eingeräumt.
Van der Bellen dankt „engagierter Kämpferin“
Bundespräsident Alexander Van der Bellen sprach Glawischnig seine „außerordentliche Wertschätzung“ aus. Die Zusammenarbeit mit ihr sei von Vertrauen und tiefem Respekt geprägt gewesen. Glawischnig sei eine „engagierte Kämpferin“, unter anderem für die Umwelt, für den Klimaschutz und für die Gleichstellung von Frauen gewesen.
Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) wünschte Glawischnig via Facebook alles Gute für die Zukunft. Lob für die Grüne kam auch von Politikerinnen und Politikern aus der ÖVP und den Oppositionsparteien.
Von Global 2000 zu den Grünen
Glawischnig kam von der Umweltschutzorganisation Global 2000 zu den Grünen. 1996 stieg die gebürtige Kärntnerin zunächst in die Landespolitik ein, ehe sie in den Nationalrat wechselte. 2002 wurde sie stellvertretende Bundessprecherin der Grünen, von 2006 bis 2008 fungierte sie als Dritte Nationalratspräsidentin. Das höchste Parteiamt übernahm die Juristin 2008 von Van der Bellen.
Glawischnig war zuletzt parteiintern wegen des Ausschlusses der grünen Jugendorganisation - der Jungen Grünen - in die Kritik geraten. Anlass für den Rauswurf waren Auseinandersetzungen über die Unterstützung verschiedener grüner Listen bei der Wahl zur Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH).
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