Posten mit kurzem Ablaufdatum
Der parteilose Justizminister Wolfgang Brandstetter ist am Mittwochvormittag von Bundespräsident Alexander Van der Bellen als neuer Vizekanzler angelobt worden. Zudem wurde Harald Mahrer (ÖVP) als neuer Wirtschaftsminister vereidigt. Sie übernehmen die Posten von Reinhold Mitterlehner (ÖVP). Van der Bellen nutzte seine Rede in der Hofburg für einen Appell an die staatspolitische Verantwortung.
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Bis zu einem „gewissen Grad“ könne er nachvollziehen, dass es für die beiden Koalitionspartner „nicht einfach ist, bis zum Wahltag weiterzuarbeiten, als wäre nichts geschehen“, sagte Van der Bellen. Erst am Tag davor hatten sich die Parteien im Nationalrat auf einen Wahltermin am 15. Oktober geeinigt - vermutlich noch am Mittwoch wird die Opposition den Neuwahlantrag im Parlament einbringen.
Angelobung durch den Präsidenten
In einer kurzen Zeremonie in der Hofburg hat Bundespräsident Van der Bellen Mittwochvormittag Brandstetter und Mahrer in ihren neuen Ämtern in der Bundesregierung angelobt.
„Gerüttelt Maß“ an Verantwortung
Die Bevölkerung erwarte sich aber zu Recht, dass die amtierende Regierung in den kommenden fünf Monaten ihre Aufgaben wahrnehme. Es brauche somit von allen Parteien „ein gerüttelt Maß an staatspolitischer Verantwortung“, der „September 2008“ solle sich „budgetär nicht wiederholen“, sagte Van der Bellen bei der Angelobung in der Hofburg.

APA/Hans Punz
Mahrer ist neuer Wirtschaftsminister, Brandstetter übernahm zusätzlich zum Justizressort das Amt des Vizekanzlers
Ebenso müssten die Handelnden das Ansehen Österreichs in Europa und der Welt im Auge behalten. Aufgabe des Bundespräsidenten sei es, gerade in turbulenten, schwierigen Zeiten darauf zu achten, dass die Stabilität und die Gesamtinteressen des Landes nicht aus dem Auge verloren werden, sagte Van der Bellen. Er erwarte sich überdies Respekt und Wertschätzung im Wahlkampf.
Brandstetter als „Vermittler zwischen den Fronten“
Er sei sich der von Van der Bellen eingemahnten staatspolitischen Verantwortung bewusst, sagte Brandstetter kurz nach seiner Angelobung - und bevor er im Parlament auf der Regierungsbank rechts neben Kanzler Christian Kern (SPÖ) Platz nahm. Als Vizekanzler wird Brandstetter in den kommenden fünf Monaten gemeinsam mit Kern eine Regierung mit Ablaufdatum führen.
„Wir leben in einer innenpolitisch ungewöhnlich turbulenten Zeit. Und manchmal ist es so, dass ungewöhnliche Zeiten ungewöhnliche Maßnahmen verlangen“, sagte Brandstetter anschließend in seiner Antrittsrede im Parlament. Auch seine Berufung zum Vizekanzler sah der parteilose Justizminister als eine solche Maßnahme - und bedankte sich beim Außenminister und designierten ÖVP-Obmann Sebastian Kurz „für das Vertrauen, das er in mich setzt“.
Platzhalter für Kurz?
Bereits zuvor hatte Brandstetter im Ö1-Morgenjournal recht unverblümt festgestellt, dass er selbst kaum Entscheidungsgewalt habe. „In letzter Konsequenz“ müssten die Entscheidungen „mit Rückendeckung der beiden Parteiobmänner, dem designierten Parteiobmann Sebastian Kurz und dem Bundeskanzler“, entschieden werden, sagte der Justizminister - Audio dazu in oe1.ORF.at.
Sei es völlig falsch, ihn als Platzhalter für Kurz zu sehen, wurde Brandstetter im Radio gefragt. „Das kann man durchaus so sehen“, so seine Antwort. Jetzt gehe es darum umzusetzen, „was noch umzusetzen ist“ - und nicht um ein Wunschkonzert, so der Justizminister weiter. Die Regierung müsse versuchen, „im Sinne einer Abwicklung das noch zu erledigen, was zu erledigen ist“.
Brandstetter: Parteiunabhängigkeit als Vorteil
Die Regierung sei gescheitert, weil das Vertrauen gefehlt habe, sagte Brandstetter in der ZIB2. Seine Parteiunabhängigkeit sieht er als Vorteil.
Am Dienstagabend in der ZIB2 hatte Brandstetter die Umsetzung einiger bereits auf Schiene befindlicher Projekte als die Voraussetzung genannt, unter der er das Angebot Kurz’ angenommen habe. Und er gab sich optimistisch, dass das auch gelingen werde: Einige Vorhaben ließen sich ganz schnell und einfach realisieren, „ratzfatz“, so Brandstetter in der ZIB2. Jetzt, wo es eine Neuwahl gebe, werde „die Vernunft wieder einkehren“.
Nächtlicher Gesinnungswandel
Ähnlich erklärte der Justizminister, der noch zu Wochenbeginn das Amt von sich gewiesen hatte, seinen Gesinnungswandel bereits am Dienstagvormittag im Parlament: Kurz habe ihn gefragt, ob er mithelfen wolle, die Regierungsvorhaben als Vizekanzler auf den Weg zu bringen. „Da habe ich gesagt: Ja, wenn es wirklich darum geht, Projekte auf den Weg zu bringen.“ Persönliche Ambitionen auf andere Ämter wies Brandstetter zurück.

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Brandstetter erklärte im Parlament, warum er nun doch den Vizekanzler macht
Kurz hatte die Wahl Brandstetters damit begründet, dass dieser nie in Koalitionsstreitereien involviert gewesen sei. Die SPÖ wünschte sich zwar bis zuletzt, dass der ÖVP-Chef selbst den Posten übernehme. Am Ende akzeptierte der Koalitionspartner aber Brandstetter. Kanzler Kern kündigte jedoch im Gegenzug an, bis zur Neuwahl auch abseits der Regierung nach Mehrheiten im Parlament zu suchen: de facto ein freies Spiel der Kräfte.
Verweis auf Kurz’ vollen Terminplan
Brandstetter zeigte Dienstagabend Verständnis für Kurz’ Entscheidung, nicht selbst an die Regierungsspitze aufzurücken. Er könne gut nachvollziehen, dass Kurz „das nicht machen kann“, schon allein wegen dessen zahlreicher Termine als Außenminister, sagte Brandstetter in der ZIB2.
Für den Politikwissenschaftler Peter Filzmaier stehen hinter der Weigerung Kurz’ allerdings auch wahltaktische Gründe. Das Nebeneinander an der Regierungsspitze „schafft Bilder“, sagte der Politologe in der ZIB2. Da sei einer der Kanzler und einer der Vize. Einen solchen Stempel aufgedrückt zu bekommen sei im Wahlkampf eher eine ungünstige Voraussetzung.
Regierungskoordinator als Wirtschaftsminister
Weitaus weniger umstritten gestaltete sich die Nachbesetzung des Wirtschaftsministers. Mahrer war bereits bisher Wirtschaftsstaatssekretär - in seiner Rolle als Regierungskoordinator ist er auch mit den koalitionären Fallstricken vertraut. In der ÖVP war Mahrer überdies als „Spiegel“ der jeweiligen Bildungsministerin tätig. Ihm eilt dabei der Ruf voraus, pragmatisch und offen an das Bildungsthema heranzugehen.
Mit der damaligen Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) vereinbarte er die Grundzüge der allerdings nach wie vor erst rudimentär umgesetzten Bildungsreform. Mit ihrer Nachfolgerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) zurrte er zuletzt das Schulautonomiepaket fest. Trotz bevorstehender Einigung mit der Lehrergewerkschaft steht dessen Verabschiedung allerdings noch in den Sternen.
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