Themenüberblick

Nichts für schwache Nerven

Die Krimis und Thriller dieser Saison könnten unterschiedlicher nicht sein. Vom magisch-realistischen Mafia-Thriller über Skandinavien-Krimis (die aber ganz anders sind als sonst) bis zum historischen Wien-Thriller reicht die Palette.

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Magisch-realistischer Mafia-Thriller

Norma hat ein Geheimnis, das sie mühevoll unter einem Turban zu verbergen versucht: Ihre Haarpracht wächst unnatürlich schnell. Die einzig Eingeweihte war ihre Mutter, die jetzt angeblich Suizid begangen haben soll. Daran will die Titelheldin aber nicht glauben. Sie versucht herauszufinden, warum die Mutter wirklich starb, und kommt so einem verbrecherischen Clan auf die Spur, dessen Machenschaften mit Leihmutterschaft und - ja - Haarverlängerung zu tun haben. Eine packende, weil mit viel Suspense erzählte Lektüre mit feministischer Message – verfasst von Sofi Oksanen, dem Popstar der nordischen Literatinnen. (ppfo, für ORF.at)

Sofi Oksanen: Die Sache mit Norma. Kiepenheuer & Witsch, 352 Seiten, 22,70 Euro.

Dunkel, dunkler, Polarnacht

Die Spannbreite zwischen literarischen Krimis (für viele zu fad) und reißerischen Thrillern (für viele zu schlecht geschrieben) ist groß. Eine gute Mischung aus sprachlichem Anspruch und packender Handlung bietet der düstere skandinavische Polarnachtkrimi „Und morgen werde ich dich vermissen“ von Heine Bakkeid. Da gibt es einen Ermittler, der mit seiner Vergangenheit hadert; einen Vermissten; eine Leiche, die dann doch nicht der Vermisste ist; ganz wenig Licht; und eine karge Insel. Der Spürhund erwacht im Zauderer und Zweifler, als Leser schließt man sich ihm gerne an. (hadl, ORF.at)

Heine Bakkeid: „Und morgen werde ich dich vermissen“. Rowohlt, 416 Seiten, 15,50 Euro.

Bücher

ORF.at/Lukas Krummholz

Oldtimer in Frankreich

Der schottische Autor Martin Walker lässt seinen Dorfpolizisten Bruno mal wieder in Saint-Denis, einem kleinen Ort im französischen Perigord, ermitteln. Diesmal finden dort eine Rallye und eine Oldtimerparade statt. Zwei Sammler tauchen auf und machen sich auf die Suche nach einem seltenen im zweiten Weltkrieg verloren gegangenen Auto. Brunos neunter Fall ist ein atmosphärischer Krimi, der Lust darauf macht, den Perigord zu besuchen. (stup, für ORF.at)

Martin Walker: Grand Prix. Der neunte Fall für Bruno Chef de Police. Diogenes, 384 Seiten, 24,70 Euro.

Die lieben Erben

Bekannt wurde die finnische Krimiautorin Leena Lehtolainen mit ihrer Serie über die Ermittlerin Maria Kallio. Ihre zweite Reihe, über den weiblichen Bodyguard Hilja Ilverskero, ist ungewöhnlicher und bemerkenswerter. Nun ist mit „Schüsse im Schnee“ Band vier erschienen. Ilverskero soll eine Greisin vor ihren Erben schützen - im tief verschneiten Herrenhaus am Ende der Welt, irgendwo in Finnland. Ein leichtes Unterfangen? Nur auf den ersten Blick, wie sie bald feststellen muss. (hadl, ORF.at)

Leena Lehtolainen: Schüsse im Schnee. Kindler, 384 Seiten, 20,60 Euro.

Französische Leichtigkeit wirft Schatten

Die eigenwillige Ex-Kommissarin Delphine ist nach ihrem Abschied von der Pariser Polizei in ihre alte Heimat, einen Küstenort in der Nähe von Biarritz, zurückgekehrt. Dort trifft sie sich wöchentlich mit ihrer betagten Freundin Aurelie, die eines Tages tot aufgefunden wird. Gemeinsam mit dem 15-jährigen Karim beginnt Delphine, Nachforschungen anzustellen, die sie zurück in den Zweiten Weltkrieg führen. Präzise recherchierte historische Bezüge und französisches Lokalkolorit machen „Hotel Atlantique“ zur anspruchsvoll-unterhaltsamen Urlaubslektüre. (neuf, ORF.at)

Valerie Jakob: Hotel Atlantique. Wunderlich, 480 Seiten, 20,60 Euro.

Bücher

ORF.at/Lukas Krummholz

Aufruhr in Sizilien

Commissario Montalbano ist wetterfühlig und launisch geworden mit der Zeit. Immerhin sind es schon 23 Jahre, die Camilleris Kommissar auf Sizilien ermittelt. Auch im 19. Band zeigt der 91-jährige italienische Bestsellerautor Feingefühl, wenn es um wendige Dialoge und dynamische Erzählweise geht. Das Team um Montalbano bringt dabei erneut die düsteren Machenschaften organisierten Verbrechens ans Tageslicht: So versetzen diesmal eine Liebesaffäre, Waffenhandel und krimineller Kunsthandel Sizilien in Aufruhr. (stup, für ORF.at)

Andrea Camilleri: Die Spur des Lichts. Commissario Montalbano stellt sich der Vergangenheit. Lübbe, 269 Seiten, 20,60 Euro.

Eine Neuentdeckung Edgar Allan Poes

Einen verdienstvollen Prachtband legt der dtv-Verlag vor: Eine Neuübersetzung der wichtigsten Geschichten von Edgar Allan Poe. Heute wird Poe von Emos und Gothics auf tumblr als Fürst der Finsternis gefeiert. Für diese Generation an Fans sollte sich der editorische Aufwand lohnen, inklusive Einordnung durch Poe-Entdecker Charles Baudelaire. Denn hier wird herausgearbeitet (gerade auch durch die neue Übersetzung von Andreas Nohl), dass Poe keine gruseligen Schauerromane schrieb, sondern seiner Zeit voraus war, ein Vorreiter der Moderne, der Gefühle sezierte, anstatt auf billige Gruseleffekte zu setzen. (hadl, ORF.at)

Edgar Allan Poe: Unheimliche Geschichten. Herausgegeben von Charles Baudelaire. dtv, 424 Seiten, 28,80 Euro.

Aufklärung aus dem Keller

Der siebente Fall für das Sonderdezernat Q führt Kommissar Carl Mörck zu einem brutalen Mordfall in Kopenhagen, der viele Jahre zurückliegt. Neben spannender Thriller-Unterhaltung liefert der dänische Bestsellerautor Jussi Adler-Olson wieder eine kritische Gesellschaftsstudie mit einfühlsam gezeichneten Charakteren. Der kauzige Kommissar und seine Mitarbeiter operieren vom Keller des Polizeipräsidiums aus und rollen auf unkonventionelle Weise ungelöste Fälle neu auf. (neuf, ORF.at)

Jussi Adler-Olsen: Selfies. dtv, 592 Seiten, 23,70 Euro.

Bücher

ORF.at/Lukas Krummholz

Alter schützt vor Bosheit nicht

Wer von den immer sehr ähnlichen Pathologinnenthrillern und endlosen Kommissarserienkrimis genervt ist, dem oder der sei ein ungewöhnlicher Roman empfohlen, der in Großbritannien zum Bestseller wurde: „Das alte Böse“ von Nicholas Searle. Zwei über 80-Jährige lernen einander über ein Dating-Portal im Internet kennen und - zumindest scheint es so - verlieben sich. Doch als er bei ihr einzieht, entpuppt er sich Schritt für Schritt als jemand anderer, als er zu sein vorgibt. Es lauert tödliche Gefahr. Alter schützt vor Bosheit nicht. Ein wunderschönes Cover übrigens. (hadl, ORF.at)

Nicholas Searle: Das alte Böse. Kindler, 368 Seiten, 20,60 Euro.

Zwei ungleiche „Bullenbrüder“

Gleich drei Genres vereint „Bullenbrüder“ in sich: Krimikomödie, Privatschnüffler-Story und ein klassischer Ermittler-Roman samt psychologischer Innenschau. Denn einer der beiden Brüder ist Detektiv, der andere Kommissar, der eine unkonventionell (um ein nettes Wort dafür zu verwenden), der andere brav und fad. Das Schicksal will es, das Zweiterer einen Fall lösen muss, in den Ersterer mehr Einblick zu haben scheint, als er sollte. Und wenn die beiden zusammenarbeiten, läuft gar nichts glatt. Schon gar nicht, wenn der Sohn des lokalen Unterweltbosses mit jeder Menge Koks tot im Aufzug liegt. (hadl, ORF.at)

Edgar Rai und Hans Rath: „Bullenbrüder“. Wunderlich, 320 Seiten, 20,60 Euro.

Kommissar auf Kokain

Viele Skandinavien-Krimis kommen etwas betulich daher. Eine erfrischende Ausnahme ist „Die Fährte des Wolfes“ von Markus Lutteman und Mons Kallentoft. Die beiden schreiben über den neuen Jungen in der Sonderkommission, eigentlich ein Streber - jedoch mit einer unerwarteten Seite: Des Nachts frönt er dem Clubleben Stockholms, jede Menge Partydrogen inklusive. Das geht nicht gut zusammen und droht zu eskalieren, als er einen vierfachen Mord in einem Massagesalon klären soll; flott und spannend. (hadl, ORF.at)

Markus Lutteman und Mons Kallentoft: Die Fährte des Wolfes. Tropen, 450 Seiten, 17,50 Euro.

Die düsteren Seiten Wiens

Auf Drogen ist auch der Ermittler im nächsten Krimi, aber ganz anders. Wir schreiben das Jahr 1919. Inspektor Emmerich ist von einem Granatsplitter verletzt worden und bekämpft die Schmerzen mit Heroin. Als irgendwo in den düsteren Ecken des vom Krieg gezeichneten Wien eine Leiche gefunden wird, heißt es sofort: Selbstmord. Aber Emmerich will nicht so recht daran glauben und beginnt zu ermitteln. Kein billiges Lokalkolorit, sondern historische Akuratesse; kein billiges Heischen nach Pointen und Thrill, sondern eine echte Handlung, mit überraschenden Wendungen; ein durchkomponierter, spannender Roman - und, das ist das beste daran, der erste Teil einer ganzen Reihe der Vorarlberger Autorin Alex Beer. (hadl, ORF.at)

Alex Beer: Der zweite Reiter. Limes, 384 Seiten, 20,60 Euro.

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