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Nach tagelangen Scharmützeln nimmt ÖVP-Chef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner den Hut. In einer überraschend angekündigten „persönlichen Erklärung“ in der ÖVP-Zentrale gab er zu Mittag seinen Rücktritt bekannt. Das betrifft sowohl den Parteivorsitz als auch seine Regierungsämter. Die SPÖ hofft auf den Fortbestand der Koalition.

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Am Wochenende will die ÖVP einen Parteivorstand abhalten und die Weichen neu stellen. Als Vizekanzler und Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung will Mitterlehner mit 15. Mai gehen. „Ich fühle mich den Werten, ich fühle mich der Tradition verpflichtet“, sagte Mitterlehner. Er sei der 16. Parteiobmann der ÖVP. „Das ist immerhin der vierte Obmann innerhalb von zehn Jahren. Und schon der leichte Hinweis darauf: Das kann ein qualitatives Problem der jeweiligen Führungskräfte sein. Das könnte aber auch ein strukturelles Problem sein - oder auch die Notwendigkeit, unser Erscheinungsbild zu überdenken.“

„Bin kein Platzhalter“

Mitterlehner sagte, er werde nicht als Spitzenkandidat antreten. „Ich sage Ihnen das, weil das die Spitzen der Partei und auch der präsumtive Nachfolger schon monatelang wissen.“ Er wolle Zeitpunkt und Inhalt aller Schritte selbst bestimmen und habe den Rücktritt am Vorabend auch mit seiner Familie besprochen.

„Ich bin kein Platzhalter, der auf Abruf (...) agiert“, so Mitterlehner. Einerseits habe es eine Inszenierung der SPÖ gegeben, andererseits Reaktionen mit wechselseitigen Provokationen. Das mache „so keinen Spaß und keinen Sinn mehr“, so Mitterlehner: „Deshalb lege ich alle meine Funktionen in Partei und Regierung zurück.“ Es sei „unmöglich, einerseits Regierungsarbeit zu leisten und gleichzeitig die eigene Opposition zu sein“. Die ÖVP brauche jetzt „Entscheider“ mit allen Rechten und Pflichten, die eine Wahl rechtzeitig vorbereiten können - keine „Doppelfunktionen oder gar verdeckte Strukturen“.

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Mitterlehner nimmt den Hut

Der Vizekanzler und ÖVP-Chef kündigte seinen Rückzug an. Die ÖVP brauche jetzt „Entscheider“ mit allen Rechten und Pflichten, so Mitterlehner.

Kritik an Berichterstattung

Als einen Mosaikstein, der ihn zum Rücktritt gebracht habe, bezeichnete Mitterlehner eine ZIB2-Anmoderation vom Vortag, bei welcher der Filmtitel „Django - die Totengräber warten schon“ zitiert wurde. „Django“ ist Mitterlehners Spitzname aus Studientagen. Das sei der „letzte Punkt, ein kleiner Punkt, dass ich zum Selbstschutz, aber auch zum Schutz meiner eigenen Familie jetzt die Konsequenzen ziehen möchte“, so Mitterlehner.

Nach dieser Kritik entschuldigte sich ORF-Chefredakteur Fritz Dittlbacher via Statement: Man müsse „zur Kenntnis nehmen, dass dies von Mitterlehner als persönliche Kränkung verstanden wurde, dies tut uns leid“, so Dittlbacher.

Reinhold Mitterlehner betritt den Medienraum in der ÖVP-Zentrale

APA/Georg Hochmuth

Mitterlehner verkündete am Mittwoch seinen Rücktritt. Er äußerte Kritik und Dank.

Mitterlehner hatte aber nicht nur Kritik im Gepäck, Dank richtete er an seine Wegbegleiter in der Partei, an die Sozialpartner und den Koalitionspartner. Explizit nannte er auch seine engsten Büromitarbeiter. Diese hätten ihm „über Jahre die Treue gehalten – ich hoffe, es schadet ihnen nicht“. Mitterlehner verabschiedete sich mit den Worten Hermann Hesses, den er auch zu Anfang seiner Vizekanzlerschaft zitiert hatte. „Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.“

Kern bietet Kurz Partnerschaft an

Zuletzt hatte der Zustand der Koalition immer wieder für Rücktritts- und auch Neuwahlgerüchte gesorgt. Zumindest die SPÖ wünscht auch nach Mitterlehners Abgang keine Neuwahlen. Das sagte Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) am Mittwoch in einem Statement vor versammelter Presse. Dem möglichen Nachfolger, Außenminister Sebastian Kurz, bot Kern eine „Reformpartnerschaft“ an.

Kern betonte, im letzten Jahr habe die Regierung vieles weitergebracht, die Arbeit sei „mit Sicherheit herzeigbar“. Dass es immer wieder Querschüsse gab, habe es nicht leichter gemacht. Der Wechsel in der ÖVP sei in diesem Sinne vielleicht eine „Chance“.

Kurz, der zuletzt gesagt hatte, er wolle die Partei derzeit nicht übernehmen, gab sich am Mittwoch bedeckt. Der Außenminister zollte Mitterlehner Respekt und fügte hinzu: „Wenn er sagt, dass es so nicht weitergehen kann, weder in der ÖVP noch in der Regierung, dann hat er damit vollkommen recht.“ Zu seinen Plänen sagte Kurz nichts.

Van der Bellen bedauert Schritt

Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der sich am Nachmittag zu Wort meldete, forderte eine „zügige“ Lösung für die Regierung. Er habe mit „großem Bedauern“ Mitterlehners Rücktritt zur Kenntnis genommen. Nun müsse zeitnah Klarheit geschaffen werden, „wie es mit unserem Land weitergeht“. Van der Bellen schloss sich auch Mitterlehners Kritik am Umgangston in der Politik an. „Es braucht einen anderen Gesprächsstil, eine andere Kultur des Respekts.“

Bundespräsident Alexander Van der Bellen

ORF

Bundespräsident Van der Bellen übte Kritik am Umgang in der politischen Arena

Lange politische Karriere

Mit Mitterlehner verliert die ÖVP einen eingefleischten Sozialpartner. Der promovierte Jurist heuerte schon 1980 in der oberösterreichischen Wirtschaftskammer an, später kamen diverse Kammerfunktionen dazu, ab 2000 saß er bis zu seinem Regierungseintritt im Nationalrat.

2008 wurde er Wirtschafts- und Familienminister, im Dezember 2013 zusätzlich Wissenschaftsminister, dafür nicht mehr für Familienagenden zuständig. Seinen Job an der Regierungsspitze als Juniorpartner der SPÖ trat er 2014 an - nach dem überraschenden Abgang seines Vorgängers Michael Spindelegger.

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