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Der innere Konflikt eines Erfinders

In den 1860er Jahren hat Alfred Nobel begonnen, mit Nitroglycerin zu experimentieren, um dessen Transporteigenschaften zu verbessern. Das Resultat der Versuche war Dynamit, das in vielerlei Hinsicht Sprengkraft besaß und seinen Erfinder in einen inneren Konflikt trieb, von dem die Wissenschaft heute noch profitiert.

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Schwarzpulver war der erste und über Jahrhunderte wichtigste Explosivstoff, der als Schießpulver ebenso eingesetzt wurde wie als Sprengstoff und höchstwahrscheinlich im China des 11. Jahrhunderts erfunden wurde. Das explosive Gemisch übte als kriegsentscheidender Faktor erheblichen Einfluss auf die Menschheitsgeschichte aus. Seine Dominanz wurde erst gut 800 Jahre später durch einen ungleich zerstörerischeren Stoff gebrochen.

Erster synthetischer Sprengstoff

Im Jahr 1847 gelang dem italienischen Chemiker Ascanio Sobrero mit dem Nitroglycerin die Herstellung eines synthetischen Sprengstoffes, der die vielfache Sprengkraft von Schwarzpulver hatte. Doch Sobrero hielt das Nitroglycerin, das neben dem Zellulosenitrat der erste synthetische Sprengstoff überhaupt war, für weitaus zu gefährlich, um es jemals kommerziell nutzen zu können. Es explodierte bereits bei geringer Erschütterung und war damit für den Transport ungeeignet.

Nobels Initialzündung

Der junge schwedische Chemiestudent Alfred Nobel sah das anders. Nobel hat Sobrero im Rahmen eines Studienaufenthalts 1850 in Paris kennengelernt und wurde so auf den Stoff aufmerksam. Der Sohn aus reichem Haus war von Sobreros Entdeckung fasziniert und im Gegensatz zum Turiner Chemiker davon überzeugt, dass Nitroglycerin eine große Zukunft haben wird.

Doch bis es im großen Stil anwendbar wurde, mussten mehrere Probleme gelöst werden. Nitroglycerin entzündet sich nicht mittels Feuer, sondern bedarf hohen Drucks, um zu explodieren. Mit Nobels Erfindung der Initialzündung im Jahr 1863 konnte Nitroglycerin kontrolliert zur Detonation gebracht werden. Das Problem des gefährlichen Transports bestand weiterhin.

Tödliche Vorfälle

Nobels Anwesen im Süden von Stockholm wurde zum Labor und zur Versuchsanstalt, in der es bei der Produktion von Nitroglycerin immer wieder zu gefährlichen Zwischenfällen mit tödlichem Ausgang kam. Im September 1864 passierte die große Katastrophe. 125 Kilogramm des Sprengstoffs explodierten, zerstörten das Labor und rissen neben mehreren Angestellten auch Nobels jüngeren Bruder, den 21-jährigen Emil Oskar Nobel, in den Tod, was den Forschungen allerdings keinen Abbruch tat.

Der Weg in die Massenproduktion

Der Pragmatiker Nobel verlagerte die Produktion des Sprengstoffs auf ein Schiff, das inmitten des Mälarsees unweit von Stockholm ankerte, um die Gefährdung gering zu halten. Weil er mit seinen Versuchen in Schweden zunehmend in die Kritik geraten war, errichtete Nobel auch eine Produktion in Deutschland.

In der Nähe von Hamburg, an einem Standort direkt an der Elbe, um auch hier ein schwimmendes Labor betreiben zu können, wurde mit Nachdruck daran gearbeitet, Nitroglycerin im großen Stil herstellen zu können. Auch hier kam es zu schweren Unfällen, die viele Arbeiter das Leben kosteten. Bereits nach einem Monat, im Mai 1866, flog die Fabrik in die Luft, wurde aber rasch wieder aufgebaut. Nobel witterte das große Geschäft. Er setzte auch auf PR-Maßnahmen wie öffentliche Sprengungen, um von seinem Sprengstoff zu überzeugen.

Wundermittel für die Industrialisierung

Die Zeit der Industrialisierung war von großen Infrastrukturprojekten geprägt. In ganz Europa wurde auf Hochtouren an der Erschließung des Kontinents durch die Eisenbahn gearbeitet. Insbesondere der Bau von tunnelreichen Trassen und von Gebirgsstrecken könnte mit dem revolutionären Sprengstoff ungleich schneller vorangetrieben werden, so die Argumente. Doch Nobel dachte auch an den prosperierenden Bergbau als Einsatzgebiet für das Nitroglycerin – würde es sich bloß sicher transportieren lassen. Von Krieg und Terror war keine Rede.

Fossile Kieselalgen bringen Durchbruch

Der Durchbruch gelang Nobel letztlich im Jahr 1866. Auch wenn es Nobel immer ausdrücklich bestritten hat, soll der Legende nach bei der Entdeckung auch der Zufall eine Rolle gespielt haben. Nitroglycerin, das aufgrund einer Panne mit Kieselgur, einer porösen Substanz aus fossilen Kieselalgen, in Berührung gekommen war, wurde zu einer formbaren Masse, die trotz heftiger Erschütterungen nicht detonierte. Nobel nannte den nun transportfähigen Sprengstoff Dynamit – der Name leitet sich vom griechischen Wort für Kraft, Dynamis, ab.

Ab dem Jahr 1867 wurde der neue Sprengstoffe unter der Bezeichnung „Nobel’s Patent-Pulver Dynamit“ vertrieben und war zunächst auch als „Nobels Sicherheitspulver“ bekannt. Genau vor 150 Jahren, am 7. Mai 1867, erhielt Nobel in Großbritannien das Patent auf Dynamit. Patente in zahlreichen weiteren Ländern folgten noch im selben Jahr und bildeten die Grundlage für Nobels Vermögen, das der Wissenschaft noch seine Dienste erweisen sollte.

Explosiver Bestseller

Doch Nobel hatte zunächst weiterhin zu kämpfen. Sein Dynamit durfte nicht mit der Eisenbahn transportiert werden. Sprengstoffe wurden angesichts der vielen schweren Unglücke zunehmend mit Skepsis betrachtet. In Großbritannien wurde eine Schließung der gefährlichen Fabriken Nobels erwogen.

Doch das Dynamit fand reißenden Absatz. Mitte der 1870er Jahre produzierte das Werk in Krümmel an der Elbe bereits 3.000 Tonnen Dynamit pro Jahr. Europas wachsender Hunger auf Rohstoffe konnte mit Dynamit effizienter gestillt werden. Und bald zeigten sich auch die Schattenseiten der Innovation.

Der Terror der Dynamitarden

Im Deutsch-Französischen Krieg der Jahre 1870 und 1871 wurde auf beiden Seiten Dynamit eingesetzt und richtete Verheerendes an. Auch politische Aktivisten nutzten die Sprengkraft des Dynamits, um terroristische Anschläge zu verüben. In den 1880ern versuchten die Dynamitarden, mittels mehrerer Anschläge einen Aufstand der Arbeiterklasse herbeizuführen. Der russische Zar Alexander II. fiel 1881 einem tödlichen Attentat durch einen Dynamitarden zum Opfer. Der deutsche Kaiser Wilhelm I. überlebte einen Dynamitanschlag nur mit sehr viel Glück.

Wachsender innerer Konflikt

Nobel, der nach dem Dynamit für etliche weitere Erfindungen im Sprengstoffbereich wie etwa die Sprenggelatine gesorgt hat, bekam die Ambivalenz seiner Erfindungen zunehmend vor Augen geführt. Während sich sein Vermögen dank über 350 Patenten und Dutzender Fabriken in unzähligen Ländern vermehrte, wuchs auch Nobels innerer Konflikt. Nobel begann darüber zu reflektieren, mit welchen Augen ihn die Nachwelt sehen würde und was er hinterlassen würde. Nobel ist immer davon ausgegangen, dass sich Kriege erübrigen würden, wenn vernichtende Waffen im Hintergrund nur stark genug drohen – ein fataler Irrtum.

Bertha von Suttner als Inspiration

Ein intensiver Briefwechsel mit der österreichischen Friedensaktivistin Bertha von Suttner, die im Jahr 1876 eine Woche lang als Nobels Privatsekretärin gearbeitet hatte, gilt schließlich als wichtiger Impuls für Nobels Idee, jährlich Menschen auszuzeichnen, „die im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht haben“ - der Nobelpreis als eine Art Wiedergutmachung für die schreckliche Eigendynamik seiner Erfindungen. Nobel verstarb 1896 in Sanremo. Fünf Jahre später wurde der erste Nobelpreis vergeben. Im Jahr 1905 erhielt Bertha von Suttner den Friedensnobelpreis.

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