Kurz erneuert Kritik
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat klargestellt, dass die EU nicht an ein Ende der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei denkt. „Der Beitrittsprozess geht weiter. Er wird nicht suspendiert oder beendet“, sagte Mogherini am Freitag nach Beratungen der EU-Außenminister in Malta. Derzeit gebe es aber keine Arbeiten an der Eröffnung neuer Verhandlungskapitel.
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Mogherini erteilte damit der Forderung von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) nach einem Ende der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara eine Absage. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu habe erklärt, dass die Türkei an einer Fortsetzung der EU-Beitrittsgespräche interessiert sei. Die Türkei wisse, welche Prinzipien dafür zu erfüllen seien, sagte Mogherini. Sie nannte etwa die Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit und Medienfreiheit.
EU erwartet Umsetzung der Empfehlungen
Auf die Frage, ob die Türkei nach den geplanten Verfassungsänderungen noch die politischen Kopenhagener Kriterien für einen EU-Beitritt erfülle, sagte Mogherini, das hänge von der Art und Weise ab, wie die Türkei die geplanten Verfassungsänderungen umsetze. Einige würden wohl früher kommen, andere erst später.

APA/Außenministerium/Dragan Tatic
Kurz mit der EU-Außenbeautragten Mogherini
Die EU anerkenne das Recht eines Staates, über sein Regierungssystem selbst zu entscheiden. Die EU erwarte, dass die Türkei die Empfehlungen der Venedig-Kommission des Europarates sowie der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) berücksichtige. Die EU habe Interesse an einer stabilen und wirtschaftlich erfolgreichen Türkei, sagte Mogherini. Die türkischen Bürger und die Zivilgesellschaft der Türkei stünden dabei im Zentrum, auch bei den Beitrittsverhandlungen.
Kurz sieht sich in Forderung bestätigt
Kurz erklärte indes, er sehe sich in seiner Forderung nach einem Ende der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei bestätigt. „Die Diskussion ist deutlich anders abgelaufen als vor einem Jahr“, sagte Kurz. „Es gibt mehr und mehr Außenminister, Regierungschefs, aber auch Abgeordnete im Europäischen Parlament, die ihre Haltung zur Türkei ändern. Und das ist auch notwendig, denn die Türkei hat sich in den letzten Monaten und Jahren immer weiter weg von Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechten entwickelt.“
„Viele haben mich vor einem halben Jahr noch stark kritisiert, als ich gefordert habe, dass die Europäische Union das Verhältnis zur Türkei verändern muss, und haben die Hoffnung gehabt, dass sich die Türkei zum Positiven entwickeln würde.“ Diese Hoffnung sei zerschlagen worden, denn das türkische Verfassungsreferendum sei „ein weiterer Schritt dazu, dass sich die Türkei zum Negativen entwickelt und immer mehr Macht bei Präsident (Recep Tayyip) Erdogan zentriert wird. Daher gab es jetzt auch eine Diskussion, die schon ganz anders geklungen hat, als die Diskussion beim letzten Gymnich (EU-Außenministerrat, Anm.) in Bratislava, wo ich damals mit meiner Haltung noch sehr alleine war“, sagte Kurz.
Beschlossen worden sei aber in Valletta noch nichts, denn bei informellen Räten geschehe das grundsätzlich nicht. Kurz betonte, für ihn sei die „rote Linie“ bei der Türkei „schon längst überschritten“: „Die rote Linie ist für mich auch überschritten, wenn Andersdenkende eingeschüchtert werden, Journalisten eingesperrt werden, Oppositionelle verfolgt werden. Das sind alles rote Linien, die überschritten wurden. Die Einführung der Todesstrafe wäre nur eine weitere.“
Türkei: Österreich soll „falsche Politik“ aufgeben
Cavusoglu selbst äußerte sich Freitagabend zur Kritik von Kurz. Österreich sollte seine „falsche Politik“ betreffend die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei aufgeben, sagte der türkische Minister. Er habe eine „positive Atmosphäre“ bei führenden europäischen Politikern bezüglich der Verhandlungen über eine Aufnahme seines Landes in die EU verspürt, erklärte Cavusoglu. Der Dialog zwischen beiden Seiten werde fortgesetzt werden.
Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin sagte, die Türkei wolle „den EU-Beitritt weiterhin als strategisches Ziel sehen“. Allerdings: „Wenn die Europäer wirklich eine Besserung wollen, müssen sie etwas gegen diese Terroristen tun.“ Ankara wirft den EU-Staaten seit Langem vor, kurdischen Extremisten und Beteiligten am Putschversuch vom vergangenen Juli Zuflucht zu gewähren. Erdogan selbst bekräftigte den Willen seines Landes zum Beitritt zur EU. Die Tür der Türkei stehe offen, die EU müsse „zusehen“, wie sie die Beziehungen zur Türkei „weiterentwickeln“ könne.
Indirekte Kritik an Kurz aus Berlin
Indirekte Kritik am Vorstoß von Kurz kam aus Deutschland: Außenminister Sigmar Gabriel sagte, Österreich stehe weiter alleine da mit dem Wunsch, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu stoppen. „Da hat es fast niemanden gegeben, der die Beitrittsverhandlungen abbrechen will. Selbst der österreichische Kollege hat diese Forderung nicht erhoben“, sagte Gabriel.
In Hinblick auf Kurz stellte Gabriel fest: „Er ist da härter als alle anderen. Das hat, glaube ich, aber viel mit österreichischer Innenpolitik und wenig mit der Türkei zu tun.“ Man müsse aber zugeben, dass die Lage „superkompliziert“ sei. "Kein Mensch glaubt, dass man einfach so weitermachen kann angesichts des Referendums, der Massenverhaftungen, der Verhaftung von Journalisten, nicht nur des deutschen Journalisten (Deniz Yücel, „Die Welt"; Anm), angesichts der Ankündigung, die Todesstrafe wieder einzuführen.“ Auf der anderen Seite wüssten alle, dass nichts besser werde, „wenn wir gar nicht mehr miteinander reden“.
Für den luxemburgischen Außenminister Jean Asselborn sind die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei indes bereits gestorben. „Seit dem Referendum ist die alte Türkei, wie wir sie gekannt haben, die freie Türkei, die prowestliche Türkei, die rechtsstaatliche Türkei gestorben. Und de facto damit auch der Beitrittsprozess“.
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