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„Die sanfte Landung des dunklen Vogels“

Gedichte in Zigarettenlänge, ekstatisch vollgekritzelte Notizbücher, Hymnen auf Völlerei und Askese: Das Literaturmuseum im Wiener Grillparzerhaus widmet sich dem „Rausch des Schreibens“ und erzählt in einer penibel bestückten Sonderausstellung „von der Körpergebundenheit der Literatur“, so Museumschef Bernhard Fetz.

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Von Musil bis Bachmann, von Jonke bis Kafka, von Mayröcker bis Falco, von Trakl bis Bauer reicht die Palette an Autoren, deren Schreibprozess sich in der einen oder anderen Weise mit Süchten, entrückten Zuständen und Manien in Verbindung bringen lässt. „Die Ekstasen der Inspiration sind launisch“, sagt Johanna Rachinger, Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek.

Bild und Zitat von Georg Trakl

ORF.at/Simon Hadler

Selbstporträt von Georg Trakl

Gut für die Muse, schlecht für die Gesundheit. Georg Trakl (1887 - 1914) etwa, einer der wichtigsten Dichter des Expressionismus, gehört dem „Club 27“ an, gemeinsam mit Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison und vielen anderen: Sie alle richteten sich mit Drogen und Alkohol zugrunde, sie alle starben mit 27. Trakl nahm Chlorophorm, Opium und was er sonst noch in die Hände bekam. Sein Pech: Er hatte eine Apothekerlehre gemacht und Pharmazie zu studieren begonnen, hatte also Zugang zu allem, immer. Eine Überdosis Kokain raffte Trakl dahin.

„Böse, besoffen, aber gescheit“

Das Trinken war noch Trakls geringstes Problem; war er nur besoffen, empfand er sich als nüchtern, wie er einmal selbst niederschrieb: „Ich habe in der letzten Zeit ein Meer von Wein verschlungen, Schnaps und Bier. Nüchtern." Der Alkohol trieb auch Joseph Roth an. Er hielt zum Verhältnis von Schreiben und Maßlosigkeit fest: „Ich kann mich nicht im Literarischen kasteien ohne im Körperlichen auszuschweifen.“ Und: „Das bin ich wirklich: böse, besoffen, aber gescheit.“

Zeichnung von Joseph Roth

ORF.at/Simon Hadler

Joseph Roth: Zum Achterl gleich den Doppler

Gerne erzählt auch ein anderer Roth - Gerhard -, wie er mit „Wolfi“ Bauer, einem seiner besten Freunde, durch die Beisln von Graz bis Las Vegas zog. Roth wird heuer 75 und schreibt weiterhin ein in den Feuilletons abgefeiertes Buch nach dem anderen. Bauer überlebte seinen Lebenswandel nicht, er starb im Alter von 64 an den Folgen eines Herzinfarkts. Überhaupt erst 35 Jahre alt war der Dramatiker Werner Schwab, als man ihn mit 4,1 Promille im Blut auffand, gestorben an einer Alkoholvergiftung.

Walter Benjamin im „Haschisch-Rausch“

Walter Benjamin wiederum war nicht nur Kulturtheoretiker und Philosoph (Passagen-Werk, „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“) und als solcher bis heute Pflichtlektüre an geisteswissenschaftlichen Instituten, sondern auch Kiffer, seinerseits inspiriert von Hermann Hesse. In einem „Drogenprotokoll“, verfasst an einem herbstlichen Samstag im Marseille des Jahres 1928, schrieb er: „Einen letzten Anstoß, Haschisch zu nehmen, gaben mir gewisse Seiten im ‚Steppenwolf‘, die ich heute Früh gelesen hatte.“ Benjamin verfasste sogar „Die Geschichte eines Haschisch-Rausches“.

Ein offenes Buch

ORF.at/Simon Hadler

Rechts im Bild: Walter Benjamins „Die Geschichte eines Haschisch-Rausches“

Am ehesten hineinfühlen in das Thema kann man sich in einem Filmdokument, von dem im Literaturmuseum Ausschnitte zu sehen sind: der Verfilmung von Peter Roseis „Wer war Edgar Allan?“ mit Paulus Manker in der Hauptrolle. Manker als junger Wilder, der sein Dandy-Ego mit allen möglichen und unmöglichen Substanzen im Tschocherl zu zerstören trachtet - absolut sehenswert. Dazu das Zitat aus dem Buch, das übrigens Roseis erster großer Erfolg war: „Warten auf die Finsternis, auf die sanfte Landung des dunklen Vogels: der Ätherrausch!“

„Ganz Wien/Ist heut auf Heroin“

Einer darf im Kanon der dichten Dichter nicht fehlen, auch wenn er auf den ersten Blick nicht da hergehört: Falco, der spätestens seit seinem Engagement für die Schule der Dichtung nicht nur als Hitparadenstar und begnadeter Songwriter, sondern auch als Poet galt. Er hielt das Lebensgefühl der wilden 80er im Song „Ganz Wien“ fest: „Ganz Wien/Ist heut auf Heroin/Ganz Wien/Träumt mit Mozambin/Ganz Wien, ganz Wien/Greift auch zu Kokain.“

Statt in Seitenzahlen in Zigaretten gerechnet

Aber es müssen nicht immer gleich harte Drogen wie Heroin oder Alkohol sein, bisweilen versuchten Schriftstellerinnen und Schriftsteller, der Inspiration mittels Zigaretten nachzuhelfen. Weder mit dem Schreiben noch mit dem Rauchen könne er aufhören, stellte etwa Robert Musil die Analogie zwischen seinen akribischen Aufzeichnungen über jede gerauchte Zigarette und dem Anwachsen seines Romanprojekts „Der Mann ohne Eigenschaften“ im Tagebuch fest. „Ich behandle das Leben als etwas Unangenehmes, über das man durch Rauchen hinwegkommen kann“, lautet eines seiner bekannten Zitate, das auf den labyrinthischen denkmalgeschützten Bücherregalen des Sonderausstellungsraums prangt.

Ingeborg Bachmann maß ihre Texte sogar in Zigarettenlängen, die sie fürs Verfassen brauchte, und nicht in Seitenanzahlen. In der Ausstellung sind - auch das zeugt von Manie - 14 korrigierte Entwürfe für ein Gedicht Bachmanns zu sehen - stilecht mit Zigarettenbrandloch.

Der Motor der Literatur

Was macht das Schreiben zum Rausch? Was ist der Motor für Literatur? Diesen und ähnlichen Fragen spürt die Sonderausstellung „Im Rausch des Schreibens“ nach.

Im Schreibrausch, ganz ohne Substanzen

In der Ausstellung geht es nicht nur um Drogen, sondern auch um den Schreibrausch an sich, eindrucksvoll belegt in den unlesbar vollgekritzelten Notizen Gert Jonkes oder in Friederike Mayröckers gebückter Haltung über ihrer Schreibmaschine Hermes Baby, in der sie sich nach eigenen Angaben fühlt wie Glenn Gould über dem Klavier. Und während bei den einen gerade die Handschrift zum Ausdruck der Schreibwut wird, ist es für Elfriede Jelinek, als wäre der Computer mit seiner Tastatur geradezu für ihre Art zu arbeiten erfunden worden.

Dass aber auch die Kasteiung selbst zum Exzess werden kann, wird anhand von Kafkas „Hungerkünstler“ dargestellt - der Vegetarier Kafka machte das körperliche Einverleiben wiederholt literarisch zum Thema. Und selbst das Ausmerzen von Druckfehlern kann - wie bei Karl Kraus’ „Fackel“ - zur Sucht werden.

Der Highlander unter den Literaten

Die Ausstellung möchte dabei nicht ein Klischee bedienen und „Schriftsteller pathologisieren“, so Fetz. Im Gegenteil sei es doch überraschend, wie schnell sich in den vergangenen Dekaden das Verhältnis zum Körper hin zur Restriktion geändert habe, und die Schau sei insofern auch eine Reverenz „an die Rauschkultur des 20. Jahrhunderts“. „Man könnte sagen, die Gesellschaft ist in kurzer Zeit vom Rausch zur Nüchternheit gekommen.“ Intensiv nachgegangen wird all diesen Phänomenen auch im hervorragenden Begleitbuch zur Ausstellung, das im Zsolnay Verlag erschienen ist.

Von wegen Ernüchterung. Der Highlander der heimischen Literatur fehlt in dieser Ausstellung wohl deshalb, weil er seiner zeithistorischen, kulturgeschichtlichen Einordnung noch harrt: Thomas Glavinic. Und zwar fehlt er nicht wegen seiner Rock-n-Roll-Attitüde in „Das bin doch ich“ und in einem Aufsatz über seine Party zum 30. Geburtstag; sondern wegen seines wirklich lesenswerten Interviews, das heuer eine gesamte Ausgabe des „Fleisch“-Magazins füllte. Ein Schriftstellerleben mit Drogen? Da steht alles drin, und noch viel mehr.

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