Ausschnitte aus einem Jahr Kern
Der 1. Mai steht auch heuer ganz im Zeichen der Feierlichkeiten der SPÖ zum „Tag der Arbeit“. Dabei betrat erstmals Christian Kern als Kanzler und Bundesparteichef auf dem Wiener Rathausplatz die Tribüne und ergriff das Wort. Unvergessen ist die Mai-Kundgebung des vergangenen Jahres, bei der Kerns Vorgänger Werner Faymann mit Pfiffen und Buhrufen konfrontiert war.
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Was damals noch keiner wusste: Damit war das Ende der Ära Faymann gewissermaßen besiegelt. Faymann trat nur wenige Tage später überraschend zurück. ÖBB-Chef Kern übernahm neben dem Kanzleramt auch die Führung einer Partei, die damals in der Wählergunst auf knapp über 20 Prozent abgerutscht war. Sie wieder auf Konsolidierungskurs zu bringen, schrieb sich Kern von Anfang an auf die Fahne.
Entschuldigung bei SPÖ-Wählern
Sein Antrieb sei die „Inhaltslosigkeit“ der Politik gewesen, sagte der frischgebackene Kanzler bei seinem ersten Medienauftritt. Würde man so weitermachen mit „diesem Schauspiel der Machtversessenheit und Zukunftsvergessenheit“, würde es nicht mehr lange bis zum „endgültigen Aufprall“ dauern. Die SPÖ müsse „die Fenster aufmachen“ und „frische Luft reinlassen“, so Kern. Spekulationen, wonach er und Medienmanager Gerhard Zeiler „ein Komplott“ gegen Faymann geschürt hätten, tat Kern als „‚House of Cards‘ für Arme“ ab.

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Wiens Bürgermeister Michael Häupl und der damalige Bundeskanzler Werner Faymann 2016 auf der 1.-Mai-Tribüne
Einige Monate später entschuldigte sich Kern sogar öffentlich bei abtrünnigen SPÖ-Wählern: „Nicht ihr habt euren Weg verlassen, wir haben unseren Weg verlassen. Es ist nicht eure Schuld, es ist unsere“, sagte Kern bei seiner Grundsatzrede Mitte Jänner in Wels. Dort präsentierte er seinen „Plan A“, also jenes Konzept, mit dem er den von ihm schon zu Beginn seiner Amtszeit versprochenen „New Deal“ umsetzen will.
„Semipopulismus“ und „FPÖ light“?
Kern erntete dafür zwar Beifall, doch der interne Richtungsstreit lief weiter. In der Flüchtlingspolitik etwa warfen Kritiker dem SPÖ-Chef einen Schwenk nach rechts vor. Kritik gab es für Vorstöße, Sozialleistungen für Ausländer einzuschränken und bei Arbeitsmarktprogrammen eine „Ausländerbremse“ einzuführen. Zuletzt stimmte die SPÖ einer Beugehaft für abgelehnte Asylwerber zu, die bei der Abschiebung nicht kooperieren.
1. Mai als SPÖ-Stimmungstest
Im Vorjahr trat Werner Faymann nach Protesten am 1. Mai als Parteichef der SPÖ und Bundeskanzler zurück. Trotz des Debakels von Michael Häupl auf dem Wiener Parteitag wurde für dieses Jahr Geschlossenheit angekündigt.
„Immer öfter sind auch Sozialdemokraten Erfüllungsgehilfen rechter Politik geworden“, kritisierten führende Wiener SPÖ-Politiker in einem Brief. Zuletzt postierten sich Mitglieder der Sozialistischen Jugend (SJ) und des Verbands Sozialistischer StudentInnen (VSSTÖ) gegen den Kanzler beim Landesparteitag der Wiener SPÖ. „Christian, Vorsitzender welcher Partei bist du eigentlich?“ oder „Christian du Werner. Gegen die Festung Europa“ stand auf Plakaten - mehr dazu in wien.ORF.at.
„FPÖ light“, kommentierte der „Standard“, „Semipopulismus“ ortete die „Presse“. Dass die Österreicher „die Dummen sind und die zweite Wange auch noch hinhalten, wenn andere keine europäische Solidarität üben und nicht sich an die Regeln halten, ist - mit Verlaub - zu viel verlangt“, rechtfertigte Kern seinen Kurs in der Flüchtlingspolitik am Mittwoch in der Ö1-Sendung „Klartext“.
„Jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf“
Auch das Thema CETA war blaues Terrain, bis Kern kam. Der SPÖ-Chef ließ im September eine Mitgliederbefragung durchführen, die gegen das Freihandelsabkommen mit Kanada ausging. Kern sprach sich zur Überraschung seiner Genossen doch dafür aus, besorgte Klarstellungen in Brüssel und stimmte dann CETA zu. Erst am Donnerstag wurde im Nationalrat das Anti-CETA-Volksbegehren behandelt, das unter anderen ein SPÖ-Abgeordneter eingefädelt hatte.

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Kern verwandelt in Wels seinen „New Deal“ in seinen „Plan A“
Kern konterte mit einem Seitenhieb gegen die Medien: „Jeden Tag wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Es ist im Moment kein Thema. Es tut mir leid, auch wenn in den Medien ein anderer Eindruck formuliert wird“, denn die Ratifizierung des Abkommens werde wohl noch Jahre dauern. Die SPÖ sei auch nicht gegen Freihandel, fair müsse er nur sein.
Wirtschaftspolitisch links von Kreisky
Von einem Rechtsruck könne keine Rede sein, sagte Kern vergangene Woche in einem Interview mit der „Presse“. Wirtschaftspolitisch stehe die SPÖ heute sogar links von (Ex-SPÖ-Kanzler Bruno) Kreisky. Er spricht sich für die Abkehr vom Sparkurs in der EU und für mehr öffentliche Investitionen aus. Von seinen Gegnern wird diese Art der Stimulierung der Wirtschaft jedoch als Schuldenmacherei gebrandmarkt.
„Lassen wir einmal diese Gefechte weg“, so Kern, „Faktum ist, dass wir heuer so viel wie noch nie an öffentlichen Investitionen haben: 5,3 Mrd. Euro, das sind 800 Mio. Euro mehr als im Vorjahr.“ Kern betont gern Österreichs Rolle als Forschungsstandort und weist auf die Forschungsprämie hin, die von der Regierung demnächst von zwölf auf 14 Prozent erhöht werden soll. „Das wird rechtzeitig am Start sein“, sagte Kern.
Ruhig geworden ist es zuletzt um die Forderung Kerns nach einer Wertschöpfungsabgabe, um die Finanzierung der Sozialsysteme abzusichern und die Arbeitskosten zu entlasten, indem auch Gewinne als Basis für die Sozialbeiträge herangezogen werden. Auch beim Thema Mindestlohn sei es wichtig, drauf zu bleiben, so Kern, denn sich das zu leisten, heiße nicht, „in römischer Dekadenz“ zu leben.
„95 Prozent der Politik ist Inszenierung“
Gern gibt sich Kern volksnah, indem er auf diversen Social-Media-Kanälen Fotos von sich im Leiberl statt im Maßanzug als kickenden oder joggenden Kanzler postet. Zuletzt inszenierte er sich medienwirksam als Pizzalieferanten. Es gehe um Aufmerksamkeit für die Anliegen der SPÖ, verteidigte sich Kern. Im Übrigen habe ihm die Rolle „höllischen Spaß“ gemacht. „95 Prozent der Politik, die geboten wird, besteht aus Inszenierung“, so Kern.

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Kern über seine Rolle als Pizzalieferant: „Es hat höllischen Spaß gemacht“
Offenbar hat Kern damit Erfolg und der SPÖ Aufwind verschafft. In Umfragen konnte die SPÖ zwischenzeitlich die FPÖ auf Platz zwei verdrängen, derzeit liegt sie wieder knapp unter 30 Prozent auf dem zweiten Platz. Für die nächste Nationalratswahl würde Kern zwar eine Koalition mit den Grünen und NEOS bevorzugen, wie SPÖ-Geschäftsführer Georg Niedermühlbichler wissen ließ.
Doch für viele Kommentatoren ist klar: Die FPÖ wird als Senior- oder Juniorpartner an der nächsten Regierung beteiligt sein. Die SPÖ arbeitet zurzeit an einem Kriterienkatalog, mit dem sie mögliche Koalitionen mit anderen Parteien klären will. Als Vorbereitung auf Rot-Blau auf Bundesebene will Kern den Katalog aber nicht verstanden wissen.
„Sie müssen sich noch gedulden“
Auch Gerüchte über eine vorgezogene Neuwahl bestreitet Kern - trotz wahlkampfartiger Touren wie zuletzt durch Wien - stets: „Ich bin seit 17. Mai im Amt des Bundeskanzlers, seit spätestens 20. Mai lese ich, dass wir im Wahlkampf sind. Sie werden sich noch eineinhalb Jahre gedulden müssen, dann werden Sie wirklichen Wahlkampf erleben“ - soll heißen, dass Kern vom regulären Wahltermin im Herbst 2018 ausgeht.
Die letzte Koalition, die die gesamte Legislaturperiode ausgenützt hatte, wurde übrigens von Faymann von 2008 bis 2013 angeführt. Auf die Frage, ob sich Kern bei seinem Premierenauftritt am Montag Huldigungen erwartet, antwortete er: „Das habe ich sehr schnell gelernt, das mit den Huldigungen ist eine bittere Enttäuschung. Die Palmenwedler sind meistens in der Minderheit.“
„Gegner nicht in eigenen Reihen“
Unmutsäußerungen wie für Faymann blieben Kern am Montag erspart. Der SPÖ-Chef zeigte sich dann in seiner Rede kämpferisch: „Wir werden um jeden Zentimeter Boden kämpfen, dass wir den Schlüssel zum Bundeskanzleramt nicht den Blauen übergeben.“ Angesichts der jüngsten Turbulenzen in der Wiener SPÖ sagte Kern, dass die wahren Gegner „nicht in den eigenen Reihen“ zu suchen seien. Es sei „eine Frage des Respekts, dass wir uns nicht mit uns selbst beschäftigen, sondern mit den Sorgen und Nöten der 95 Prozent, die wir zu vertreten haben“.
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