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Vielfalt dank Konturlosigkeit

Der Triumph des französischen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron in der ersten Wahlrunde lenkt den Blick auch auf seine Bewegung En Marche. In nur einem Jahr entwickelte sich der Apparat hinter dem 39-jährigen ehemaligen Wirtschaftsminister zu einem Schwergewicht in der Politiklandschaft. Gleichzeitig ist sie für Macron ein großer Unsicherheitsfaktor.

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Erst im April des Vorjahres gegründet, hat En Marche heute laut eigenen Angaben 230.000 Mitglieder. Um einen klassischen Parteiapparat handelt es sich nicht - Kommentatoren zufolge führte Macron En Marche bis dato eher als Start-up denn als politische Partei. Passend dazu ist die Bewegung außergewöhnlich bunt: Macron fischte nicht nur im Lager seiner ehemaligen Partei, den Sozialisten, auch enttäuschte Anhänger anderer Gruppen von rechts- bis linksaußen stellten sich hinter ihn.

Zielgruppe 25 und 70 plus

Wenig überraschend erwiesen sich die Jungen - wenn auch nicht die ganz Jungen - als einer der Eckpfeiler seiner Kandidatur. Während Macron laut Daten von Ipsos bei der jüngsten Wählergruppe der 18- bis 24-Jährigen nur von 18 Prozent gewählt wurde und damit auf Platz drei landete, konnte er bei den 25- bis 34-Jährigen punkten. Unter ihnen war Macron damit der beliebteste Kandidat.

Grafik zu Stimmenanteilen nach Altersgruppe

Grafik: ORF.at; Quelle: Ipsos

Überraschender ist, dass sich auch die ältere Generation von Macrons Aufruf zur Erneuerung ansprechen ließ: Unter den 60- bis 69-Jährigen gaben ihm 26 Prozent ihre Stimme, bei Menschen über 70 waren es sogar 27 Prozent. Seinen stärksten Rückhalt genoss Macron dementsprechend auch unter den Pensionisten, bei denen ihn 26 Prozent wählten.

Intellektuelle und Unternehmer

Auch Prominente deklarieren sich öffentlich als „Macronisten“, wie französische Medien die Anhänger des 39-Jährigen nennen. Zu ihnen gehören laut „La Liberation“ unter anderen Intellektuelle wie Jacques Attali, Wirtschaftswissenschaftler und ehemaliger Berater von Ex-Präsident Francois Mitterand, sowie Bernard Kouchner, Mitbegründer der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF).

Französischer Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron vor dem Slogan "En Marche!"

APA/AFP/Eric Feferberg

Macrons Auftritte füllten in den vergangenen Wochen immer wieder die Hallen

Wenig überraschend sind die engen Verbindungen des ehemaligen Investmentbankers Macron zur Wirtschaft: Zahlreiche Unternehmer, darunter Claude Bebear, Gründer der Versicherungsgruppe AXA, und Pierre Berge, Mitbegründer des Modehauses Yves Saint Laurent und Anteilsbesitzer der französischen Zeitung „Le Monde“ bekundeten ihre Unterstützung.

Etwas Passendes für jeden

Dass es Macron gelungen ist, eine so vielfältige Bewegung hinter sich zu vereinen, ist wohl auch seinem an vielen Stellen konturlosen Wahlkampf geschuldet. Macron, einst Zögling des scheidenden Präsidenten Francois Hollande, gab er sich gemäßigt sozialliberal, beteuerte aber stets, weder rechts noch links zu sein. Stattdessen setzte er auf Patriotismus und ein Bekenntnis zur EU.

Grafik zu den Mehrheiten nach Departements

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Auch seine allgemein gehaltenen und oft zahnlos bis diplomatisch gehaltenen Wahlversprechen wie die Forderung nach einem Ende des Reformstaus, Einsparungen und Maßnahmen für die Ankurbelung der Konjunktur dürften zu seinem breiten Profil beigetragen haben. Letztlich platzierte er sich auch dank des äußerst linken Sozialisten Benoit Hamon und des von Skandalen geplagten Konservativen Francois Fillon so weit in der Mitte, dass er nicht nur in seiner politischen Heimat punkten konnte, sondern vielen Lagern ein Angebot machte.

Zerreißprobe für Sozialisten

Auch wenn Macron bei der Stichwahl sowohl von links als auch von rechts profitierte, den weitaus größten Teil seiner Unterstützer machten ehemalige Sozialisten aus, die noch während des Wahlkampfes ihrer Partei den Rücken kehrten und zu En Marche wechselten. Bis jetzt waren das rund 50 Abgeordnete.

Dass sich die Zerreißprobe bei den Sozialisten angesichts des schwachen Abschneidens bei der Wahl fortsetzen wird, erscheint vielen Beobachtern äußerst wahrscheinlich. Derzeit bildet sich ohnehin ein breites Bündnis aus Sozialisten, Konservativen und Grünen, das zur Wahl Macrons ausruft, um eine Präsidentschaft Marine Le Pens vom Front National (FN) zu verhindern.

Blick auf die Parlamentswahl

Interessant wird dann die Frage, wie viele Personen Macron aus Kalkül und Pragmatismus und wie viele aus Überzeugung wählen. Denn der Präsidentschaftskandidat steht, sollte er gewählt werden, vor einer enormen Hürde: Um als Präsident in innen- und wirtschaftspolitischen Fragen tatsächlich handlungsfähig zu sein, braucht er auch eine Mehrheit in der Nationalversammlung.

Politikwissenschaftler Daniel Vernet

Daniel Vernet, Politikwissenschaftler und ehemaliger Chefredakteuer der Zeitung „Le Monde“, kommentiert das Wahlergebnis in Frankreich.

Allerdings ist En Marche als junge Partei mit ungewöhnlicher Struktur derzeit kaum verankert. Macron müsste alsbald seine Pläne umsetzen und für jeden der 577 Sitze in der Nationalversammlung einen Kandidaten aufstellen. Die Hälfte der Kandidaten soll der Zivilgesellschaft entstammen. Gelingt ihm keine Mehrheit, könnte er zwischen Sozialisten und Konservativen zerrieben werden. Daran könnte auch der als Reformer gestartete Macron scheitern.

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