Themenüberblick

Neue Machtverteilung auf Raten

Wirtschaftlich nach der Finanzkrise noch auf schwachen Beinen, politisch von Skandalen gerüttelt und von einem seit Monaten äußerst geschwächten und unpopulären Staatschef mehr verwaltet als geführt - so geht jenes Land, das Atommacht und UNO-Vetomacht ist und mit Deutschland als Motor der EU gilt, in die Präsidentschaftswahl. Deren Ausgang ist so ungewiss wie schon lange nicht.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Die Wahl von Frankreichs Staatsoberhaupt entscheidet nicht nur über den künftigen Kurs der „Grande Nation“, sie gilt auch als politische Weichenstellung für ganz Europa, geht ohne Zustimmung von Paris in der EU doch kaum etwas.

Große Nervosität

Nach dem jüngsten Terroranschlag auf den Pariser Champs-Elysees ist die Nervosität am Wahltag bei den Behörden jedenfalls besonders groß. Mit einem ungeheuren Aufgebot an Sicherheitskräften soll ein eventueller Anschlag am Wahltag verhindert werden. Alle Kräfte wurden mobilisiert, um die bereits abgestellten 50.000 Polizisten zu unterstützen. Auch Eliteeinheiten sind im Einsatz - und Medien spekulierten darüber, wie sich die Attacke auf den Wahlverlauf auswirken könnte.

Zwei aus elf

Insgesamt treten elf Kandidatinnen und Kandidaten im Rennen um die Nachfolge des seit Monaten äußerst unbeliebten Sozialisten Francois Hollande an. Gleich vier von ihnen lagen in Umfragen zuletzt nur wenige Prozent auseinander - die Chefin des rechtsextremen Front National (FN), Marine Le Pen, der linksliberale Ex-Wirtschaftsminister Manuel Macron, der Konservative Francois Fillon und der Linkspolitiker Jean-Luc Melenchon.

Menschen gehen an Wahlplakaten vorbei

AP/Christophe Ena

Vor allem die Städte sind derzeit mit Plakaten der Kandidaten zugepflastert

Aufgrund der Ausgangslage gilt es als nahezu ausgeschlossen, dass ein Kandidat bereits in der ersten Runde die nötige absolute Mehrheit erreicht. Entscheiden wird sich nach Überzeugung praktisch aller Beobachter am Sonntag daher lediglich, welche zwei Bewerber in die Stichwahl am 7. Mai einziehen.

Neue Spannung

Lange galten Macron und Le Pen als fixes Duo für die zweite Runde, zuletzt konnten aber Fillon, der durch Ermittlungen rund um die Anstellung seiner Frau abgestürzt war, und der EU-kritische Linkspolitiker Melenchon in Umfragen überraschend stark zulegen. Von vor allem symbolischem Wert ist die Frage, wer Sonntagabend an erster Stelle liegen wird. Platz eins für Le Pen wäre für alle anderen rechtspopulistischen Parteien in Europa jedenfalls ein positives Signal - ähnlich wie die Niederlage von Norbert Hofer (FPÖ) im Dezember gegen Alexander Van der Bellen in der Hofburg-Wahl als Rückschlag für Europas Rechtspopulisten interpretiert wurde.

Le Pen setzte auf ihre bekannten Themen: Sie kündigte - ähnlich wie US-Präsident Donald Trump - einen Einwanderungsstopp an. Sie will auf jeden Fall die Währungsunion verlassen und über einen Austritt aus der EU ein Referendum abhalten. Auch der Linkskandidat Melenchon versuchte neben einer offensiven Sozialpolitik mit einem Anti-EU-Kurs zu punkten. Am meisten stach hier der politische Newcomer Macron heraus, der auf einen dezidiert proeuropäischen Kurs setzt.

Neben Einwanderung und Europa waren Sicherheit und Wirtschafts- und Sozialpolitik die beiden beherrschenden Themen. Im Kampf gegen die Terrorgefahr setzen alle vier aussichtsreichen Kandidaten auf mehr Exekutive. Melenchon forderte zudem die Aufhebung des seit 2015 geltenden Ausnahmezustands.

Werben mit Senkung des Pensionsalters

Für den Alltag der Franzosen das wichtigste Themenfeld dürfte aber die Wirtschafts- und Sozialpolitik sein. Hier plädiert Fillon für eine Rosskur inklusive Abbaus von mehr als einer Million Beamter. Das gesetzliche Pensionsalter will er mittelfristig auf 65 Jahre anheben. Der sozialliberale Macron geht mit seinen Plänen weniger weit und will 120.000 Beamtenstellen streichen. Melenchon und Le Pen setzen dagegen auf die populistische, aber kaum finanzierbare Senkung des Pensionsalters von 62 auf 60 Jahre. Melenchon versprach auch, 200.000 zusätzliche Beamte einzustellen.

Frankreich hat sich bis heute nicht von den Folgen der Finanzkrise erholt. Wirtschaftlich gilt das Land für viele Beobachter als überreguliert und reformbedürftig - entsprechende Versuche hatte der abtretende Präsident Hollande wegen des heftigen Widerstands der Gewerkschaften jedoch rasch wieder abgeblasen. Parallel mit der wirtschaftlichen Krise verlor Paris auch politisch an Gewicht - vor allem gegenüber Berlin.

Machtfrage entscheidet sich im Juni

Egal wann Frankreichs künftiges Staatsoberhaupt feststeht und wer es wird: Wie mächtig die erste Frau oder der erste Mann im Land künftig sein wird, wird sich erst im Juni entscheiden - am 11. und 18. findet nämlich die Parlamentswahl statt. Denn obwohl der französische Staatschef sehr viel Macht hat, schrumpft sein Einfluss ohne eine Parlamentsmehrheit deutlich. Dann wäre er nämlich gezwungen, eine Regierung aus Politikern eines anderen politischen Lagers zu ernennen.

Eine solche Zweiteilung der Exekutive wird als „Kohabitation“ bezeichnet, der Premierminister wird dann deutlich wichtiger. Es könnte sogar eine Blockade des Landes drohen. Um das zu verhindern, wählt Frankreich Präsident und Parlament beide im Fünfjahresrhythmus und im Abstand von wenigen Wochen. Das erhöht die Chancen, dass ein neu gewählter Staatschef auch eine Mehrheit im Parlament bekommt.

Diesmal alles anders

Doch diesmal ist alles etwas anders. So tritt der Sozialliberale Macron unabhängig von den traditionellen Parteien an. Ob die Parlamentskandidaten seiner erst vor gut einem Jahr gegründeten Bewegung En Marche! selbst nach einem Erfolg Macrons genug Wahlkreise gewinnen könnten, ist fraglich. Auch im Falle eines Sieges der EU-Feindin Le Pen gilt eine Parlamentsmehrheit für den Front National als eher unwahrscheinlich.

Links: