Raus aus dem Abgabendschungel
Viele sehen darin eine der wichtigsten Reformen seit der Unabhängigkeit Indiens 1947 - die Regierung in Neu-Delhi plant die Einführung einer landesweiten Mehrwertsteuer. Mit einer riesigen Steuerreform will das Land Dutzende Abgaben vereinheitlichen. Nicht nur der Handel dürfte dadurch deutlich einfacher werden - auch Indiens Wirtschaft könnte einen kräftigen Aufschwung erleben.
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„Goods and Services Tax“, kurz GST, heißt die geplante einheitliche Steuer auf Waren und Dienstleistungen, die das Leben vieler Unternehmer erleichtern und das größte Problem der indischen Wirtschaft lösen soll. Dieses zeigt sich täglich an den Grenzen zwischen den 29 Bundesstaaten des 1,3-Milliarden-Einwohner-Landes: Zu jeder Tages- und Nachtzeit stehen dort Tausende Lastwagen in kilometerlangen Schlangen.
Der Grund für den Dauerstau ist Indiens undurchschaubares Dickicht aus Zoll-, Steuer- und Transportabgaben, die jeder Bundesstaat selbstständig festgelegt hat. Hinzu kommen Steuern und Abgaben, die auf Bundesebene anfallen. Mehrwertsteuern, Herstellungssteuern, Servicesteuern und Oktroi-Abgaben für die Einfuhr von Waren sind nur einige davon.
Oft mehrere Steuern auf ein Produkt
Auf bestimmte Waren wie Autos und Alkohol gibt es weitere Abgaben, oft fallen mehrere der Steuern gleichzeitig an und können nicht gegeneinander aufgerechnet werden. Gütertransporte werden an jeder innerindischen Grenze gestoppt und zur Kasse gebeten. Laut der indischen Transportbehörde verbringt ein Lastwagenfahrer ein Sechstel seiner Arbeitszeit an den Grenzübergängen, um Steuer- und Zollformalitäten abzuwickeln.

Reuters/Sivaram V
Fahrer am Grenzübergang in Walayar im südindischen Kerala warten auf die Freigabe durch die Steuerinspektoren
In einer Volkswirtschaft bestehend aus mehr als einer Milliarde Konsumenten in 29 Bundesstaaten, in denen offiziell 22 verschiedene Sprachen gesprochen werden und rund neun Millionen Unternehmen agieren, macht dieses hochkomplexe Steuersystem den Handel innerhalb Indiens oft komplizierter, als er innerhalb internationaler Freihandelsabkommen ist.
Modi löst Reformversprechen ein
Jahrzehntelang pochten Unternehmer auf ein einfacheres und einheitliches Steuersystem, die letzten Hürden im Oberhaus und Unterhaus sind nun genommen: Ende März unterzeichnete der indische Präsident Pranab Mukherjee die entsprechenden Gesetze. Geplanter Startschuss für die landesweite Mehrwertsteuer ist der 1. Juli. Indien wird damit zu einem der größten Binnenmärkte der Welt.
Für Indiens Premierminister Narendra Modi hat die Einführung der landesweiten Mehrwertsteuer auch politisch großes Gewicht, sie gilt als Ausweis für die Reformfähigkeit seiner Regierung, wie die „Süddeutsche Zeitung“ kürzlich in einem Artikel berichtete. Die Steuer ist eines der Kernprojekte seines Versprechens, Indien zu modernisieren.
Mehr als zehn Jahre lang wurde eine Reform des Steuersystems durch politisches Tauziehen verhindert, jegliche Reformversuche wurden bisher durch Regierungen in den Bundesländern oder die Opposition im Parlament blockiert. Modis Partei, die hindu-nationalistische BJP, hat nun so viel Gewicht, dass sie die Reform durchsetzen kann.
„Kaskadensystem“ soll aufgebrochen werden
Neben der Vereinheitlichung der Steuern soll die Reform zudem das „Kaskadensystem“ aufbrechen. Einzelne Steuern sind in Indien nicht abzugsfähig, dadurch addieren sich Steuern von Zwischenhändler zu Zwischenhändler stetig auf. „Das fällt nun alles weg“, sagte der Ökonom Damodaran Rajasenan von der Cochin University im südindischen Kerala kürzlich gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“. „Weil die neue Steuer durchgängig abzugsfähig sein wird.“
Mit dem Wegfall des „Kaskadensystems“ werde auch das Korruptionsrisiko vermindert, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg kürzlich in einem Artikel berichtete. Auch durch die Umstellung auf ein Onlinesystem und den Umstand, dass künftig weniger Anlaufstellen involviert sein werden, wird es laut Experten weniger Möglichkeiten zur Korruption geben.
Trotzdem keine einheitliche Steuer
Eine wirklich einheitliche Steuer ist die GST aber trotzdem nicht. Sie vereinfacht zwar das Steuersystem, teilt sich aber dennoch in einen Anteil der Zentralregierung, der einzelnen Bundesstaaten und eine Mischform auf, wenn Waren von einem Bundesstaat in den anderen geliefert werden.
Noch ist nicht ganz klar, wie kompliziert die Abrechnung wirklich wird, wenn ein Unternehmen viel Handel zwischen Bundesstaaten betreibt. Zudem kann eine gezahlte Steuer nur angerechnet werden, wenn der Vertragspartner sie zuvor auch wirklich an den Fiskus abgeführt hat. Tut er das nicht, bleibt der Verkäufer auf den Kosten sitzen.
Neue Steuer soll Wachstum steigern
Beobachter rechnen dennoch damit, dass das indische Bruttosozialprodukt durch die Neuregelung wachsen wird. „Zwei Prozent sind nicht übertrieben“, sagte Ökonom Rajasenan der „Süddeutschen Zeitung“. Ein im März veröffentlichter Forschungsbericht der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) zu Indiens geplanter Mehrwertsteuer hält sogar ein Wachstum zwischen 3,1 und 4,2 Prozent für möglich - abhängig von der Höhe des Steuersatzes. Laut indischer Regierung werden Waren und Dienstleistungen künftig in vier verschiedene Kategorien mit Steuersätzen von fünf, acht, zwölf und 28 Prozent fallen. Wie die Verteilung genau aussehen wird, ist bisher unklar.
Die größte Herausforderung sei nun, die Industrie bis Anfang Juli auf die neue Steuer vorzubereiten, sagte Hasmukh Adhia, Staatssekretär für Finanzdienstleistungen im indischen Finanzministerium, kürzlich in einem Fernsehinterview. In einem Zeitraum von nur drei Monaten will die Regierung die weltweit größte Steuerreform umsetzen.
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