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Religionsstreit eskaliert

In Indien verschärft sich die Gewalt gegen Muslime. Als Anlass gilt ein Religionsstreit über Kühe, die bei der hinduistischen Mehrheit des Landes als heilig verehrt werden. Im Großteil Indiens ist es verboten, die Tiere zu töten. Die meisten Schlachter sind muslimisch. Es ist ein Stellvertreterkrieg, bei dem Minderheiten von Fundamentalisten unterdrückt werden.

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Zuletzt eskalierte die Situation erneut, als im Bundesstaat Rajasthan selbst ernannte Kuhschutztruppen eine Gruppe muslimischer Männer angriff. Eines der Opfer starb Anfang April im Krankenhaus. Die radikal-hinduistischen Angreifer hatten die Männer verdächtigt, Kühe zu einem Schlachthaus zu transportieren. Die Polizei fahndet nach fünf Hauptverdächtigen und ermittelt laut BBC nun wegen Mordes. „Wir sichten Videomaterial, um mögliche Angreifer zu identifizieren. Allem Anschein nach gehören sie zu einer Kuhschutztruppe“, so ein Polizeisprecher.

In vielen Teilen des Subkontinents sind diese Schutztruppen für Kühe, die sich selbst auch als Schutzmacht des Hinduismus ansehen, aktiv. Sie stellen etwa vor allem in grenznahen Gebieten Straßensperren auf und kontrollieren Lkws und andere Transportfahrzeuge. Ihre Ziele sind angebliche Kuhschmuggler, die Tiere zum Fleischverkauf ins Ausland bringen sollen. Allzu oft enden diese Kontrollen in schweren Übergriffen.

Lebenslang für Schlachtung

Diese Art der Selbstjustiz verschärft sich, seit die hindu-nationalistische Partei BJP mit Premierminister Narendra Modi im Jahr 2014 die indische Regierung übernahm. Die Gesetze zum Schutz der Kuh wurden verschärft. Modi war mit dem Versprechen angetreten, den Reformstau des Landes aufzulösen. Kritiker warnten damals schon, dass das Leben unter der BJP insbesondere für die Muslime deutlich schwerer werden dürfte - gilt die BJP doch als deutlich stärker hinduistisch geprägt als die Vorgängerregierung unter der Kongresspartei.

In jüngster Zeit wurde das auch sichtbar, immer wieder gibt es Prügelattacken und andere Übergriffe. Ein besonders schlimmer Fall ereignete sich 2015, als ein Lynchmob einen Muslim zu Tode prügelte, weil er verdächtigt worden war, Kuhfleisch konsumiert zu haben. Auch auf politischer Ebene verdichtet sich das restriktive Klima. Im vergangenen Monat wurde etwa im westlichen Bundesstaat Gujarat ein Gesetz verabschiedet, mit dem das Schlachten einer Kuh mit einer Strafe von bis zu lebenslanger Haft belegt werden kann.

Fleischerstreik in Uttar Pradesh

Im März übernahm die BJP auch die Regierungsgeschäfte im größten indischen Bundesstaat Uttar Pradesh. Anschließend gab es Razzien in zahlreichen Schlachthäusern. Der hinduistische Priester Yogi Adityanath hatte unmittelbar nach seiner Amtsübernahme damit begonnen, Schlachthäuser und Fleischgeschäfte zu durchsuchen und schließen zu lassen. Als Reaktion legten die mehrheitlich muslimischen Fleischhändler eine Woche lang die Arbeit nieder.

Eine Karte zeigt die Bundesstaaten Indiens

Grafik: ORF.at; Quelle: The Economist

Auch nahe der Hauptstadt Delhi kam es kürzlich zu ähnlichen Vorfällen. Im Vorfeld des Fests Navratri, an dem sich strenggläubige Hindus ausschließlich vegetarisch ernähren, zwang eine radikale Gruppe ihre Mitbürger zum Vegetarismus. Mehr als 500 Fleischgeschäfte und Restaurants wurden dazu gebracht, vorübergehend zu schließen - die Besitzer hätten sich „freiwillig“ gebeugt, wie es hieß. Jedoch gab es Protest: „Hier wird unter dem Deckmantel des Tierschutzes eine politische und religiöse Agenda durchgesetzt“, sagte Sanober Ali Qureshi, einer der größten Fleischverkäufer des Bundesstaats.

Polizei bleibt tatenlos

Muslime sind nicht die einzigen Opfer, die wegen angeblicher Verfehlungen gegenüber Kühen verfolgt werden. Auch die Minderheit der Dalit, die oft ausgegrenzten Nachkommen der Ureinwohner Indiens, gerieten wiederholt ins Visier von militanten Hindus. Vergangenes Jahr wurden vier Dalits in Gujarat misshandelt, ausgezogen, an ein Auto gebunden und geschlagen. Die Kuhschützer hatten ihnen vorgeworfen, eine Kuh getötet zu haben, nachdem sie ihre Opfer beim Häuten eines verendeten Tieres antrafen. Denn für das Entsorgen von Tierkadavern sind die Dalits zuständig. Ein Video der Gewalttat verbreitete sich im Internet, die Polizei ergriff aber keinerlei Maßnahmen.

Premierminister Modi, selbst Hindu-Nationalist, blieb lange Zeit stumm. Vergangenes Jahr äußerte er sich schließlich kritisch zu den Übergriffen der Schutztruppen und ordnete Untersuchungen an - die Übergriffe konnten damit jedoch nicht unterbunden werden.

Fleischparadoxon Indien

Die militanten Kuhbeschützer setzen sich meist aus Mitgliedern radikaler Hindu-Gruppen zusammen, etwa dem Welt-Hindu-Rat „Vishwa Hindu Parishad“. Die Organisationen pflegen laut BBC selbst enge Beziehungen zu Modis BJP und glauben, dass „Mutter Kuh“ und damit der Hinduismus selbst gefährdet seien.

Dabei hat Indien mehr als 100 Millionen Rinder. Und mit rund zwei Millionen Tonnen jährlich ist es einer der größten Rindfleischexporteure der Welt, Tendenz laut US-Landwirtschaftsbehörde (USDA) steigend. An Indiens Umgang mit dem Rindfleisch zeigt sich aber auch das widersprüchliche Verhältnis dazu. Denn die hohen Exportzahlen betreffen allein das Fleisch des Wasserbüffels, nicht der Kuh.

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