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Reiseführer der anderen Art

Österreicher lieben Bier eiskalt, sie beweisen Stil und haben Charme, sind aber nicht sehr pünktlich. Außerdem muss mit erheblichen Gefahren durch Nazi-Untergrundorganisationen gerechnet werden, aber auch mit bitterer Armut und Geschlechtskrankheiten. Was US- und britische Besatzungssoldaten 1945 über Österreich wissen mussten, stand in einem Leitfaden, der nun erstmals übersetzt wurde.

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Erstellt wurde der Leitfaden „Austria – Österreich. A Soldier’s Guide – Ein Leitfaden für Soldaten“ im Jahr 1945, wobei Teile daraus bereits zwei Jahre zuvor erarbeitet wurden, als zunehmend deutlich wurde, dass sich die Alliierten auf einen Einsatz in Kontinentaleuropa gefasst machen müssen. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs lag die Kontrolle des Landes in den Händen der Alliierten. Es galt, die Heeresangehörigen auf den länger anhaltenden Einsatz als Besatzungssoldaten entsprechend vorzubereiten.

links: Karte Österreich und Nachbarländer, 1945 - rechts: Historisches Buchcover „A Soldier’s Guide“, 1945

Czernin Verlag

Zur besseren Erklärung der jüngeren Geschichte wurden den GIs auch die einstigen Grenzen der Monarchie verdeutlicht (links). Das Handbuch selbst passte in jede Soldatentasche.

Ausgearbeitet wurde das Handbuch von der „Information & Education Section“ des Mediterrenean Theater of Operations, United States Army (MTOUSA), die den Guide auch den britischen Kollegen zur Verfügung stellte. Wer die Verfasser waren, darüber kann heute nur noch spekuliert werden.

USA sahen Österreich als Opfer von Nazi-Deutschland

Die jetzigen Herausgeber des übersetzten Handbuches, Philipp Rohrbach und Niko Wahl, vermuten angesichts der auffällig positiven Einführung in die Sitten und Gebräuche des Alpenlandes, dass Exilösterreicher, die nach ihrer Flucht für die US-Armee tätig wurden, die Verfasser waren. Dass der Guide jetzt in übersetzter Form erscheint, ist auch dem Zufall zu verdanken.

Buchhinweis

Philipp Rohrbach und Niko Wahl (Hg.): Austria – Österreich. A Soldier’s Guide – Ein Leitfaden für Soldaten. Czernin Verlag, 80 Seiten, 15 Euro.

Rohrbacher und Wahl sind als Kuratoren der Ausstellung „SchwarzÖsterreich“, die sich mit Kindern afroamerikanischer Soldaten in Österreich beschäftigt hat, auf das Zeitdokument gestoßen und machen es nun in einer übersetzten Fassung, die auch den Originaltext beinhaltet, wieder zugänglich. Die Herausgeber erwähnen im Vorwort, dass sich der Leitfaden auch wie der erste Reiseführer der Zweiten Republik liest. Nicht nur das macht die Publikation bemerkenswert. Sie zeugt eindrücklich davon, dass die US-Army Österreich als Opfer Nazi-Deutschlands gesehen hat.

Historischer Irrtum

Die US-Amerikaner verstanden sich im Gegensatz zu ihrem Einsatz in Deutschland, das sie als besiegtes Land betrachteten, als Befreier des von Nazi-Deutschland militärisch okkupierten Österreichs, und saßen damit dem historischen Irrtum der Opferrolle auf. Was für die Zivilbevölkerung von großem Vorteil war. Der Guide hatte eine wohlwollende Schlagseite, was mitunter mit einer den Österreichern zugeschriebenen Naivität in Verbindung stand.

Die Nazis „versuchten, beinahe über Nacht, die Österreicher in ein Nazi-Deutschland-Modell zu pressen, ihnen ihre Unbekümmertheit zu nehmen und aus ihnen effiziente deutsche Roboter zu machen“, hieß es im Guide. Der Text legte nahe, dass sich unter den Österreichern zwar viele Täter befunden hätten, jedoch der Löwenanteil an Verbrechen Deutschen anzulasten sei. Ein Irrtum, der sich in den Köpfen festsetzte.

Österreicher und die Pünktlichkeit

Das Buch erzählt neben der Geschichte Österreichs ab dem Jahr 1918 („Zum Sterben zu groß und zum Leben zu klein“) und den politischen Wirren, die in den Zweiten Weltkrieg mündeten, ausgiebig von den Bewohnern des Landes, was zwangsläufig Skurriles, aber auch ewige Wahrheiten über Sitten und Gebräuche zutage fördert - und den Guide so nicht nur historisch interessant, sondern auch amüsant zu lesen macht.

Illustration GIs mit Österreichern, 1945

Czernin Verlag

Das erwartet die Besatzer in Österreich: Menschen, die sich freuen, aber auch düstere Gestalten mit üblen Absichten

So näherten sich die Autoren etwa dem Bild des Österreichers als Gemütlichkeitsweltmeister an: „Es hat keinen Sinn, von den Österreichern Pünktlichkeit und Verlässlichkeit zu erwarten, so wie wir diese Begriffe verstehen. So sind sie nicht gestrickt. Sie meinen es wirklich ehrlich, wenn sie versprechen, etwas zu tun. Sie meinen es genauso ehrlich, wenn sie sich dafür entschuldigen, es nicht getan zu haben. Dafür haben sie Sinn für ‚Stil‘.“

Finger weg vom Gin

Der Guide zeichnete zudem ein deutliches Bild der bitteren Not in der Zeit nach Ende des Zweiten Weltkriegs - und warnte vor den Gefahren von Nazi-Untergrundorganisationen. Die Besatzungssoldaten wurden darauf aufmerksam gemacht, dass sie, außer zu sparen, mit ihrem Sold zunächst nichts anfangen werden können, weil es nichts zu kaufen gibt. Zu Beginn der Besatzungszeit herrschte sogar Fraternisierungsverbot. Kontakte zur Bevölkerung und die Verteilung von Lebens- und Genussmitteln waren strengstens untersagt. Trotzdem wurde vor Geschlechtskrankheiten gewarnt.

Die Abschnitte über Literatur, Kunst und Musik des Landes lesen sich tatsächlich ähnlich einem Reiseführer. Den Österreichern attestierte man Charme, die berühmten Walzer fanden ebenso Erwähnung wie das große Können in Sachen Fußball: „Die Österreicher sind hervorragende Spieler, wie sie im Arsenal-Stadion beweisen konnten. Die Spieler der führenden Klubs sind Profis. Ihr Spiel ist weniger energisch als das der Engländer.“

Ist im Guide von Getränken die Rede, sind ausschließlich alkoholische gemeint. Österreichs Bevölkerung bevorzuge Bier und liebe es eisgekühlt – mehr das helle als das dunkle Bier, hieß es. Der Wein sei von guter Qualität und im Vergleich zu britischen Preisen billig. Hier dürften auch die Engpässe kleiner gewesen sein: „Das Einzige, was sie den Österreichern abkaufen können, ist ein Glas Bier oder Wein.“ Der österreichische Schnaps war Thema, ebenso wie der Mangel an Whiskey und Gin. Vor der Qualität des Letzteren wurde jedoch ausdrücklich gewarnt.

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