Themenüberblick

Schwarz-weißer Kontrast

Verletzungen und Widerstandsgeist, Willensstärke und Hoffnungen der Afroamerikaner sind die Themen, um die Toni Morrisons literarisches Werk kreist. So ist auch ihr elfter Roman „Gott, hilf dem Kind“ eine Fortsetzung ihres Engagements gegen den Rassismus – und ein Plädoyer für die Möglichkeit auf Heilung.

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Es ist auch diesmal keine ganz einfache Reise, zu der Morrison ihre Leserinnen und Leser mitnimmt: „Gott, hilf dem Kind“ spielt in einer unter der Oberfläche brodelnden, brutalen, von Rassismus durchdrungenen Welt. Hier tummeln sich pädophile Erwachsene und gewalttätige Eltern, werden Kinder Traumata und Brutalitäten ausgesetzt und Erwachsene mit dem Nachhall dieser Verletzungen in der Gegenwart konfrontiert.

Wie können wir mit den Wunden der Vergangenheit umgehen? Gibt es die Chance, sie hinter sich zu lassen? Angesetzt im heutigen Kalifornien geht das Buch diesen Fragen anhand der Geschichte von Lula Ann Bridewell nach – einer jungen, erfolgreichen wie atemberaubend schönen Frau, die sich selbst Bride nennt. Sie hat Karriere bei einer Kosmetikfirma gemacht und führt dort mittlerweile eine eigene, „sehr coole“, nicht zuletzt sehr gewinnbringende Linie. Bride fährt Jaguar und zieht, wo auch immer sie hinkommt, alle Blicke auf sich.

Panther im Schnee

Ihre Hautfarbe: „mitternachtsschwarz, sudanesisch schwarz“. Ihr Stil: ausschließlich weiße Kleidung. „Schwarz ist das neue Schwarz“, hat ihr ein Freund einmal gesagt und geraten, das auch zur Geltung zu bringen. Mit Kleidung in Reinweiß, Perlweiß, Elfenbein, Champagner, Silberweiß, Alabaster, Ecru, Schwanenweiß, Marmorweiß. „Nur Nacht und Eis. Ein Panther im Schnee“, so ist ihr Dresscode, mit ausgesprochenem Erfolg: Bewunderung, Verblüffung und Begehren sind ihr sicher.

Von ihrer Schönheit wusste Bride jedoch nicht immer. Gleich auf den ersten Seiten stellt Morrison klar, was die heute so selbstbewusste Frau als kleines Mädchen durchlitten hat. „Kaum eine Stunde hat es gebraucht“, heißt es aus Perspektive der Mutter, „nachdem sie sie zwischen meinen Schenkeln herausgezogen hatten, um zu merken, dass etwas nicht stimmte. Ganz und gar nicht stimmte. Sie war so schwarz, dass sie mir Angst machte.“

Kindheit ohne Zärtlichkeit

Cover des Buches "Gott, hilf dem Kind" von Toni Morrison

Rowohlt

Buchhinweis

Toni Morrison: Gott, hilf dem Kind. Rowohlt, 208 Seiten, 20,60 Euro, Erscheinungstermin 22. April.

Aufgrund ihrer Hautfarbe lehnt der Vater seine Tochter ab; er beschuldigt seine Frau der Untreue und verlässt sie. Bride wächst bei ihrer Mutter auf, doch auch dort schlagen ihr Ablehnung und Scham entgegen. Sie darf die Mutter ausschließlich Sweetness nennen, um das Verwandtschaftsverhältnis zu verschleiern, und muss, entgegen den Versprechungen dieses Namens, ganz ohne Liebe, Zärtlichkeit und auch ohne körperliche Zuwendungen aufwachsen: „Ich betete, dass sie mir eine Ohrfeige geben oder mich schlagen würde, nur damit ich ihre Berührung spüren könnte. Ich machte absichtlich kleine Fehler, aber sie fand Wege, mich zu bestrafen, ohne dabei die Haut zu berühren, die sie hasste: ins Bett ohne Abendbrot, Einsperren im Zimmer.“

Als Bride als Schulkind die Chance erhält, doch einmal der Mutter zu gefallen, nützt sie diese auf fatale Weise: Vor Gericht belastet sie eine unschuldige Frau schwer. Was kurzerhand erfolgsgekrönt scheint, verfolgt sie schließlich über die Adoleszenz hinaus. Als die Entlassung der Frau nach knapp 20 Jahren ansteht, will sie sich um Wiedergutmachung und damit auch um Heilung und Selbstakzeptanz bemühen: Der Startschuss zur einer fast märchenhaften, von Gewalt durchsetzten Odyssee.

Kraftvoll, poetisch, fragmentarisch

Die heute 86-jährige Toni Morrison, die zu den wichtigsten Stimmen des schwarzen Amerikas zählt und in Wien einem
breiten Publikum durch die Gratisbuchaktion „Eine Stadt, ein Buch“ zugänglich gemacht wurde, hat sich auch in „Gott, hilf dem Kind“ den oft marginalisierten Erfahrungen der Afroamerikaner verschrieben und schildert diese auch diesmal voller Kraft und mit poetischer Prägnanz und, wie schon in ihren Vorgängerromanen, ohne zu moralisieren.

„Gott, hilf dem Kind“ besticht dabei nicht zuletzt durch seine Perspektivwechsel. Es erzählen Bride, ihre Mutter, Booker, die Frau im Gefängnis und auch andere Wegbegleiter, was das Buch nicht nur facettenreich, sondern tatsächlich perspektiverweiternd werden lässt – auch wenn manche Stimmen zu kurz gehalten sind. Einige Handlungsstränge führen nicht allzu weit, ihnen hätte etwas mehr Entwicklung gutgetan. „Gott, hilf dem Kind“ – es ist vielleicht nicht Morrisons bester, aber ein intensiver und ergreifender, lange nachhallender Roman.

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