Themenüberblick

Trend zu „Bescheidenheitsmode“

Gewellte Details aus Tüll und Spitze, die sonst eigentlich nur Brautkleidern einen romantischen Touch geben, sind laut Modeexperten der dominanteste Frühjahrstrend 2017. Besonders auf den Modenschauen in Paris wurden feminine Schnitte aus leichten Stoffen und flattrige Kleider mit vielen Rüschen präsentiert. Dabei können, aber müssen diese transparenten Stoffschichten nicht unbedingt jedes Körperteil zur Gänze verdecken.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Obwohl arabeske Blusen und wallende Röcke die Trägerin viel zu oft an die Garnierung eines Cupcakes erinnern, wurde mit den Frühjahrskollektionen 2016 von Gucci bis Balenciaga laut dem Onlinemagazin Racked der Schnörkel trotz Kitschgefahr wieder populär. Chiffonkleider, Tüllkragen und moderne Rocksäume gelten seitdem als romantisch-weibliches Statement und werden auch heuer wieder großzügig für Dekorationszwecke in der hohen Mode eingesetzt.

@lineobrems backstage at the Rodarte SS17 Show (Photo by @vnina). #Rodarte

A post shared by RODARTE (@rodarte) on

Für die diesjährige Rüschenmanie soll die italienische Modemarke Gucci als Verursacher verantwortlich zeichnen, glaubt man Fashionunited.com. Sogleich folgten ihr Fendi, Christian Dior und Preen. Tatsächlich kam kaum eine Frühjahrs- und Sommermodenschau ohne „ultrafeminine“ Akzente aus, heißt es weiter im Blog. Blumenmuster, flatternde Stoffe und weiße Spitze sind der Modeplattform zufolge also Inbegriffe von Fraulichkeit.

Rüschen als modernes Machtsymbol

Laut dem Onlinemagazin Racked besteht kein Zweifel, dass der Großteil der Rüschendesigns damenhafte Schüchternheit verkörpern soll, andererseits könnte besonders der minimalistisch, fast schon architektonisch eingesetzte Volant zu „Powerrüschen“ ernannt werden.

Der schmückende Textilbesatz war einst Unisex, wurde von Adel und Revolutionären beider Geschlechter getragen und war gleichbedeutend mit außerordentlicher Macht, so Racked. Zunächst als haltungswahrende Halskrause im Einsatz nahm dieses modische Detail später mehr Bequemlichkeit an. Von Marie Antoinette bis Lord Byron waren Rüschen allgegenwärtig und kulminierten an Hals, Handgelenk und Pantoffel des „modebesessenen“ Dandys im viktorianischen Großbritannien.

Renaissance der Renaissance

So orientierte sich Designer Pierpaolo Picciolio bei Valentino heuer an viktorianischen Schnitten, während er gleichzeitig Hieronymus Boschs Dreitafelbild „Der Garten der Lüste“ in Mode umzusetzen versuchte. Sarah Burton, die Chefdesignerin von Alexander McQueen, wiederum ließ über die wehenden Kleider lederne Büstenhalter schnallen und kreierte damit einen sehr mittelalterlichen Look mit eindeutigen Renaissanceeinschlägen. Besonders die Schwestern Kate und Laura Mulleavy von Rodarte sparten nicht mit Tüll, Rüschen und floralen Mustern.

Von der Weiblichkeit zur Bescheidenheit

Nachdem besonders geschlechtsneutrale und genderaufweichende Designs in den vergangenen Saisonen sehr präsent waren, seien Rüschen, hochgeschlossene Halsausschnitte und wallende Kleider nun nicht bloß ein Symbol für das erneute Aufflammen von Weiblichkeit, sondern auch Teil einer „Bescheidenheitsbewegung“, mutmaßte CNN und berief sich dabei auf die Trendprognostikerin bei Peclers Paris, Iza Dezon.

Schon als Dolce & Gabbana 2016 eine Kollektion von luxuriösen Hidschabs und Abajas auf den Markt brachte, Supermodel Gigi Hadid, deren Gesicht von einem paillettenbesetzten Schleier halbverhüllt war, das Cover der ersten „Vogue Arabia“ zierte und Nike im März seine „Nike Pro Hijab“-Haube für 2018 ankündigte, war ein Einschlag Richtung „Bescheidenheitsmode“ nicht zu übersehen.

Dezon nennt diese Tendenzen „pluri-empowerment“. Für die Trendforscherin ist „eine starke Frau weder das Subjekt einer bestimmten Definition, noch muss sie nach einem vorgegebenen Wertesystem leben“. Die Öffnung zur Stärkung der Frau bedeute, dass sie ihre eigene Definition kreieren dürfe, so Dezon gegenüber CNN.

Nicht ganz so nackt, aber doch

Durchsichtige, leichte Stoffe schienen die Modemacher im Kontrast auch dazu zu verleiten, doch etwas mehr zu zeigen. Bei Dior, Valentino und Loewe wurden Büstenhalter nur sehr sparsam eingesetzt oder einfach ganz weggelassen. Rüschentragende Frauen sollen nicht nur süß, bescheiden und zerbrechlich wirken, sondern dürfen auch gerne sexy sein und so viel zeigen, wie sie möchten.

Während Hüllenlosigkeit vor zwei Jahren in einer exzessiven Nippelschau ausartete, ist das Zeigen von Haut heuer als subtiles Spiel zwischen Verstecken und Vorführung gekennzeichnet, fasst das Modemagazin „Fashionisiers“ den Hang zur Transparenz unter der Bezeichnung „durchsichtige Bescheidenheit“ zusammen. Während einige Designer wie DKNY und Rodarte wirklich nur mehr sehr wenig im Verborgenen ließen, waren es bei Zimmermann halbverhüllte Beine, die immer noch subtil wirkten.

Herbst mit Jane Austen

Auch im Herbst geht es rüschenhaft weiter - bloß mit blickdichten Stoffen. Als Hommage an den 200. Todestag der Schriftstellerin Jane Austen befänden sich der „Vogue“ zufolge Modehäuser wie Vera Wang, Alexander McQueen, Loewe und Molly Goddard in einer „Austen-Mania“. Mit einer Jane-Austen-Clutch habe Gucci wieder die Nase vorne. Vielleicht mag sich manch eine Frau mit gewelltem oder verschnörkelten Motiven wie eine Kuchenverzierung fühlen, sicher ist aber, dass man mit jeglichen Rüschen bis in den Herbst hinein den modischen Zeitgeist genau getroffen hat.

Links: