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Von Kidnappern zur Polizei gebracht

Es ist ein Machtkampf gewesen, der die Slowakei praktisch seit der Staatsgründung 1993 jahrelang in seinem Bann gehalten hat. Mit allen Mitteln fochten Staatspräsidenten Michal Kovac und Ministerpräsident Vladimir Meciar ihre Streitigkeiten aus. Einer der Höhepunkte: die Verschleppung von Kovacs Sohn im Sommer 1995. Bis vor Kurzem durfte der Politthriller nicht aufgeklärt werden - nun will das Land endlich Gewissheit haben.

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Am 31. August 1995 war Präsidentensohn Michal Kovac jun. mit seinem Wagen in der Nähe von Bratislava unterwegs, als er von zwei Autos zum Halten gezwungen wurde. Acht Männer zerrten ihn aus dem Wagen. Er sei mit einem Revolver bedroht und mit Elektroschocks misshandelt worden, sagte er später aus. Und er sei gezwungen worden, eine große Menge Whisky zu trinken, woraufhin er das Bewusstsein verloren habe.

In Hainburg „abgeliefert“

Einige Stunden später wurde er in seinem Wagen gefunden - vor einem Gendarmerieposten im niederösterreichischen Hainburg. Dort, hatte ein anonymer Anrufer mitgeteilt, befinde sich in dem Fahrzeug ein per internationalen Haftbefehl Gesuchter.

Polizeibeamte untersuchen den Wagen von Michal Kovac, 1995

APA/KS/Kelly Schoebitz

Ermittler bei der Spurensuche im Auto

Tatsächlich hatte die Münchner Staatsanwaltschaft einige Monate zuvor einen Haftbefehl wegen Verdachts auf Betrug und Urkundenfälschung im Zusammenhang mit einer slowakischen Importfirma ausgestellt. In der Slowakei konnte dieser nicht vollstreckt werden - Ziel der Verschleppung war also eindeutig, den Präsidentensohn der Justiz auszuliefern und seinen Vater zu diskreditieren und zum Rücktritt zu zwingen.

Geheimdienst schnell unter Verdacht

Kovacs kam in Haft und wurde später auf Kaution freigelassen. Im Februar lehnte das Oberlandesgericht Wien seine Auslieferung nach Deutschland trotz Haftbefehls ab: Als Begründung gaben die Richter die rechtswidrige Entführung des Präsidentensohnes an. Nach 176 Tagen in Österreich kehrte Kovacs in die Slowakei zurück. Das Verfahren in München wurde Jahre später aus Mangel an Beweisen eingestellt.

Michal Kovac gibt eine Pressekonferenz, 1995

APA/KS/Kelly Schoebitz

Der Präsidentensohn bei einer Pressekonferenz

Schon unmittelbar nach der Entführung wurden erste Gerüchte laut, der slowakische Geheimdienst (SIS) könnte etwas mit der Entführung zu tun haben. Geheimdienstchef Ivan Lexa war ein enger Freund von Ministerpräsident Meciar - und erbitterter Gegner von Staatspräsident Kovac.

Tatsächlich tauchten schnell etliche Indizien dafür auf, dass Lexa involviert gewesen war. Präsident Kovacs sagte auch vor dem Oberlandesgericht Wien aus, der Geheimdienst stecke hinter der Entführung. Plump und dilettantisch sei die Tat ausgeführt worden, schrieben slowakische Medien.

Aufklärung behindert

Dafür war man dann beim Verhindern der Aufklärung genau: In einer eingesetzten Sonderkommission war auch der SIS eingebunden. Lexa war damit immer informiert, gegen wen ermittelt wurde. Der erste Chefermittler, Jaroslav Simunic, wurde vom Fall abgezogen, nachdem er über Hinweise auf die Mitwirkung von SIS-Agenten an der Entführung gesprochen hatte. Sein Nachfolger Peter Vacok ließ erste Tatverdächtige verhaften. Diese wurden vom Staatsanwalt aber auf freien Fuß gesetzt. Lexa schüchterte Medien und Ermittler ein, indem er gegen sie Anzeige wegen Verleumdung und Verrat von Staatsgeheimnissen erstattete.

Der slowakische Premierminister Vladimir Meciar und der noch amtierenden Präsident Michal Kovac, 1998

picturedesk.com/EPA/Pavel Neubauer

Die Erzfeinde Meciar und Kovac bei einem seltenen Handshake

Ex-Polizist starb bei Explosion

Ex-SIS-Mitglied Oskar Fegyveres ließ sich zunächst nicht einschüchtern: Er gestand öffentlich seine Beteiligung an der Verschleppung und bezeichnete Lexa als Drahtzieher der Entführung. Fegyveres tauchte unter. Ende April 1996 kam in Bratislava bei einer Explosion seines Autos der Ex-Polizist Robert Remias ums Leben.

Er hatte die Medienkontakte zum Kronzeugen Fegyveres hergestellt. Vertreter der Opposition und der erste entlassene Ermittler im Fall Kovac jun. sprachen von einem „politisch motivierten Mord“, die Polizei meinte hingegen, dass es zu der Explosion „infolge eines Defekts des Flüssigkeitsantriebs des Wagens“ gekommen sei. Fegyveres wagte sich nach Jahren im Ausland erst 2004 wieder zurück in die Slowakei.

„Selbstbegnadigung“ Meciars

Nachdem die Ermittlungen blockiert und im Sand verlaufen waren, sorgte Meciar auch dafür, dass das so bleibt. Er übernahm im März 1998 vorübergehend die Befugnisse des slowakischen Staatsoberhaupts, nachdem die Wahl eines Nachfolgers von Kovacs mehrfach scheiterte. Umgehend verfügte er eine Amnestie für alle im Entführungsfall Beteiligten. Auch die Verantwortlichen für ein vereiteltes Referendum über die Volkswahl des Staatsoberhaupts wurden geschützt. Von einer Selbstbegnadigung sprachen Kritiker.

Sämtliche Versuche, die Amnestie rückgängig zu machen, scheiterten in den vergangenen Jahren. Doch nach dem Tod von Präsident Kovac im vergangenen Oktober kam das Thema wieder aufs Tapet. Staatspräsident Andrej Kiska erklärte, das Land sei seinem ersten Präsidenten diesen Schritt schuldig. Gut 100.000 Slowaken unterzeichneten eine Unterschriftensammlung, über 60 Prozent der Bewohner sprachen sich in einer Umfrage für die Außerkraftsetzung der Amnestien aus.

Regierung schwenkt um

Einen erneuten Anlauf der Opposition zur Aufhebung per einfachen Verfassungsgesetz lehnte die Regierungsmehrheit aber weiterhin strikt ab. Erst Mitte März kam eine unerwartete Wende. Die Koalition unter Robert Fico übernahm überraschend die Initiative und brachte einen eigenen Vorschlag ein, um die Amnestien von Meciar auf „verfassungskonformem Wege“ außer Kraft zu setzen. Eine Fernsehdokumentation über den Entführungsfall dürfte ebenfalls die Entscheidung beschleunigt haben.

Verfassungsänderung im Rekordtempo

Nach komplizierten Verhandlungen lieferte die bürgerliche Opposition die notwendigen Stimmen für eine Verfassungsmehrheit von drei Fünfteln im Parlament. In Rekordtempo wurde mit einer Verfassungsänderung dem Parlament die Kompetenz erteilt, Amnestien und Begnadigungen eines Präsidenten aufheben zu können, falls diese „Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaates“ widersprechen. Nur wenige Tage später erfolgte die Aufhebung selbst. Der Parlamentsbeschluss muss jetzt noch vor dem Verfassungsgericht halten.

Mysteriöser Todesfall

Dann könnte die juristische Aufklärung der Präsidentensohnentführung sowie weiterer zusammenhängender Politverbrechen aus Zeiten der von vielen Slowaken als düster erlebten Meciar-Ära beginnen. Eng könnte es auch für Lexa werden. Er war 2000 aus dem Land geflüchtet und wurde 2002 in Südafrika verhaftet und in die Slowakei überstellt. Doch alle Verfahren gegen ihn endeten ohne Verurteilung - auch aufgrund der umstrittenen Amnestie.

Und vor Kurzem sorgte ein mysteriöser Todesfall für weitere Spekulationen. Der Politiker Frantisek Gaulieder wurde Ende März von einem Zug überrollt. Auch er hatte als Zeuge Meciar und den SIS schwer belastet. Gaulieder, der sich als Aufdecker von Skandalen einen Namen gemacht hatte, war immer wieder mit Morddrohungen konfrontiert.

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