Was von einem Popsong letztlich beim Hörer ankommt, hängt davon ab, was dieser verstehen möchte oder in der Lage ist zu verstehen. Die Inhalte der Lieder werden aber nicht nur deshalb missverstanden. Oft fehlt der Zusammenhang, um die wahre Intention des Songs zu erkennen, was beim Gebrauch von Pop eigentlich immer schon egal war. Das Buch „I don’t like Mondays" versucht etwas Licht ins Dunkel zu bringen.
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Um Pop zu verstehen, bedarf es manchmal der Worte von Johann Wolfgang von Goethe: „Keiner versteht den anderen ganz, weil keiner beim selben Wort genau dasselbe denkt wie der andere“, macht der deutsche Musikjournalist Michael Behrendt mit der Hilfe des deutschen Dichters bereits im Vorwort zu „I don’t like Mondays“ deutlich, dass es mit der Eindeutigkeit in der Kommunikation zwischen Menschen generell nicht gut bestellt ist.
Welches Schlachtfeld insbesondere im Pop, der noch dazu von der Zweideutigkeit als Stilmittel lebt, lauert, bringt Behrendt eingangs zur Sicherheit auch mit Franz Kafka zum Ausdruck: „Richtiges Auffassen einer Sache und Missverstehen der gleichen Sache schließen einander nicht vollständig aus.“ Da liegt es fast schon auf der Hand, dass insbesondere ein Buch über Missverständnisse jede Menge neue generieren kann.
Wer wirklich keine Montage mag
Behrendts Buchtitel bezieht sich auf eines der prominentesten Beispiele für einen missverstandenen und daraufhin im falschen Kontext eingesetzten Popsong. Die irische Band The Boomtown Rats mit Live-Aid-Macher Bob Geldof als Sänger landeten mit „I Don’t Like Mondays“ im Jahr 1979 einen Nummer-eins-Hit in Großbritannien.
Buchhinweis
Michael Behrendt: I don’t like Mondays – Die 66 größten Songmissverständnisse. Theiss, 224 Seiten, 20,60 Euro.
Der Song mit dem schwungvollen Refrain wurde im Lauf der Jahrzehnte zur Montagmorgenhymne der Formatradios der westlichen Welt, um damit Empathie gegenüber der Hörerschaft zu demonstrieren. Doch von der Unlust montags in Routinen zu verfallen, ist im Song keine Rede.
Geldofs Text bezieht sich auf eine 16-jährige Amokschützin, die in den USA des Jahres 1979 an einem Montagmorgen zwei Schulangestellte erschossen hat. Ihre Begründung gegenüber Polizei und Presse lautete: „I don’t like Mondays.“ Der Song ist nicht nur eine besonders prominente Fehlinterpretation, sondern mittlerweile auch das bestaufgeklärte Popmissverständnis aller Zeiten und für den popkulturellen Schmöker ein mehr als aufgelegter Titel.
Was zählt, ist die erste Refrainzeile
Die Beweisführung dahingehend, dass die Strophen eines Liedes, aber meist auch schon die zweite Zeile des Refrains von breiten Hörerschichten inhaltlich ignoriert werden, tritt Behrendt nicht nur mit Klassikern der Rockgeschichte wie Bruce Springsteens „Born in the USA“ an. Das Lied ist keine patriotische Hymne, sondern erzählt vom Schicksal eines Vietnam-Veteranen und muss dennoch in erster Linie herhalten, wenn es auf akustischer Ebene um den Stolz der amerikanischen Nation geht.
Fleck in der Hose der NPD
Behrendt findet auch in Deutschland Beispiele für die politischen Umfunktionierung von Popsongs, wo etwa die rechtsextreme NPD den Song „Gekommen, um zu bleiben“ der in Hinsicht Rechtslastigkeit eher unverdächtigen Band Wir sind Helden bei Veranstaltungen verwendet hatte, um mit der selbstbewussten Ansage des Liedes Dauerhaftigkeit zu signalisieren.
Jedoch haben die Verantwortlichen den Song nicht zu Ende gehört: „Gekommen um zu bleiben, wir gehen nicht mehr weg, ist dieser Fleck erst in der Hose, ist er nicht mehr rauszureiben …“ Ganz abgesehen vom inhaltlichen Missverständnis handelte sich die NPD eine Klage der Band auf Unterlassung ein.
Häuser signalisieren Häuslichkeit
Popmusik erlaubt Projektionen jeglicher Art und lässt sich herrlich aus dem Kontext reißen, was letztlich auch das Verlockende an ihr ist, aber - wie der Fall der NPD zeigt - Tücken birgt. Pop leistet, was die Fantasie des Hörers zu leisten vermag. Es geht dieser Musikrichtung um ein gewisses Lebensgefühl und eine Momentaufnahme.
Ein deutsches Marktanalyseinstitut hat anlässlich einer Jugendstudie den Song „Haus am See“ des Berliner Reggae- und Dancehall-Künstlers Peter Fox (Seeed) als eindeutigen Beweis eines neuen Neo-Biedermeiertums unter jungen Leuten verortet und den trefflichen Beweis vollmundig publiziert – bar konkreter textlicher Anhaltspunkte abseits der Erkenntnis, dass das Wort Haus Häuslichkeit assoziiert.
Von Heavy Metal bis R ’n’ B
Behrendt interessiert sich nicht nur für verloren gegangenen Kontext, selektive Wahrnehmungen und verschrobene Assoziationen. Urbanen Legenden und Verschwörungstheorien in Verbindung mit Songs, wie jener, dass Paul McCartney tot sei, oder die vermeintlichen Drogenbezüge im Text von „Lucy in the Sky with Diamonds“ der Beatles, ist ebenso ein Kapitel gewidmet, das für alteingesessene Musikfans allerdings wenig Neues bringt, wie es Behrendt Lesern generell nicht immer leicht macht.
Musikalisch kommt das Buch weit herum: Judas Priest, Rihanna, Robin Thicke, Aerosmith, D. A. F., Erste Allgemeine Verunsicherung, The Cure, Die Ärzte, David Hasselhoff, Bryan Adams, James Taylor, The Wailers und viele mehr.
Buch eines Fans
„I don’t like Mondays“ erschöpft sich allzu oft in der Nacherzählung von Songs und lässt dauerhaft durchblitzen, dass der Autor in erster Linie Fan ist, der sein aufgestautes Anekdotenwissen ohne Rücksicht auf Verluste anbringen will. Das klingt allzu sehr nach altbackenem Rockjournalismus - jene Form des männlich geprägten und nahezu religiös ausgelebten Nerd-Musikjournalismus, über den sich ein Benjamin von Stuckrad-Barre bereits in den 1990er Jahren in seinem Roman „Soloalbum“ lustig gemacht hat.
Behrendt stiftet mitunter Verwirrung, indem er immer wieder einbringt, wie bestimmte Songtexte aus seiner Sicht zu verstehen sein könnten, verliert sich dabei in Vermutungen und verschwendet mehrere Kapitel, indem er wiederholt annimmt, dass Songtexte eng mit den jeweiligen Künstlerbiografien verwoben sein müssten. Es werden mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet.
Brennende Gefühle
Was nichts daran ändert, dass viele der 66 Songs abseits ihres Textes großartige Geschichten zu erzählen haben. Etwa das Vorhaben, den Refrain von Johnny Cashs „Ring of Fire“ in den USA für eine Werbung für Hämorrhoidensalben einzusetzen. Der Schließmuskel als brennender Kreis: „And it burns, burns, burns – the ring of fire, the ring of fire“, was immerhin von Einfühlungsvermögen vonseiten der Werber zeugt.
Nur schade, dass dem Autor, wenn er es schon bis zur Ersten Allgemeinen Verunsicherung geschafft hat, entgangen ist, dass Österreichs inoffizielle Bundeshymne ebenso ein Songmissverständnis sondergleichen ist, bei dem seit Jahrzehnten der Text der Strophen, der das Thema Heimat sehr ambivalent behandelt, konsequent ausgeblendet wird: Rainhard Fendrichs „I am from Austria“.