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Wider die Eindeutigkeiten

Gerhard Richter hat seinen 85. Geburtstag gefeiert – und mit ihm Deutschlands Museumslandschaft: Vier Ausstellungshäuser würdigen in diesem Frühjahr den Starkünstler und sein vielfältiges Werk, indem sie Abstraktion und Fotorealismus, frühe Malereien und solche von 2016, Porträts von Richter selbst und seine Serienproduktionen zeigen – und natürlich Meisterwerke wie „Ema“ und die „48 Porträts“.

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„Er ist die präziseste Malmaschine, die man sich vorstellen kann – ein bisschen wie die japanischen Violinisten, die alle präziser spielen, als je irgendjemand in der Geschichte der Violine gespielt hat, aber denen jeder Makel, jeder Widerspruch, jedes Drama fehlt“, sagte einmal ein anderer Richter, nämlich Daniel Richter, der derzeit im 21er Haus ausstellt, über seinen renommierten Namensvetter (Verwandtschaftsverhältnis gibt es übrigens keines). Die Polemik des selbst längst etablierten Künstlers war wenig überraschend, ist er doch für seine Anti-Establishment-Attitüde bekannt. Sie war aber auch nicht ganz ohne Grund.

Richter mögen (fast) alle

Makellosigkeit, Präzision, ja sogar ein Naheverhältnis zum Kitsch, all das wurde dem 1932 in Dresden geborenen Gerhard Richter schon öfter nachgesagt – ob als Ausdruck der Bewunderung oder als Vorwurf. All das kennzeichnet jedenfalls seine Malerei und zeitigt nicht zuletzt ihren Erfolg: Richters Kunst ist breitenwirksam, gerade wegen ihrer schönen Motive, ihrer handwerklichen Perfektion, der Fähigkeit, die Poesie des Vergänglichen einzufangen.

Betty 1977

Nationalgalerie Prag/Gerhard Richter 2017

Gerhard Richters „Betty“ aus dem Jahr 1977

Bewundert wird sie aber auch, weil Richter kluge Brüche setzt, weil seine Bilder als mediale Reflexion und als kritische (nicht allzu schmerzhafte) Kommentare zur deutschen Zeitgeschichte gelesen werden können – etwa die RAF-Serie „18. Oktober 1977“ und „Herr Heyde“, ein Bild des NS-„Euthanasie“-Arztes, als er sich der Polizei stellte.

Das wahrscheinlich Erstaunlichste an Richters Malerei ist, dass sie bedeutungsoffen ist für alle möglichen Begierden und Projektionen des Kunstpublikums, egal ob für Laien, Expertinnen oder den Markt. Auf Richter können sich (fast) alle einigen. Sein Erfolg währte schon lange, bereits 1972 bespielte er als erster Künstler den Deutschen Pavillon bei der Venedig-Biennale im Alleingang.

Fünf Ausstellungen zum 85er

Der 85. Geburtstag Richters ist nun der Anlass, das enorme Spektrum seiner Arbeit gleich fünfmal zur Geltung zu bringen: Am Freitag eröffnete im Museum Folkwang in Essen eine Ausstellung seiner Künstlereditionen. In drei Wochen ist in Prag, wie es heißt, die „erste Richter-Retrospektive Mitteleuropas“ an der Reihe, und ab Mitte Juni gibt es im Bonner Kunstmuseum sein Frühwerk zu sehen.

Ema (Akt auf einer Treppe), 1966

Gerhard Richter 2017/Rheinisches Bildarchiv Köln

„Ema (Akt auf einer Treppe)“, 1966

Zwei weitere Würdigungen laufen bereits: Im Dresdner Albertinum zeigt man Richter-Fotoporträts von Benjamin Katz, dem zentralen Chronisten der westdeutschen Kunstszene. Und in Richters Heimatstadt Köln lädt man im Museum Ludwig zu einer Schau, an der zu guter Letzt auch der Künstler selbst mitgewirkt hat.

„Ich hab neue Bilder“

„Neue Bilder“ lautete der Titel der Kölner Präsentation. Und darum ging es auch. Drei Monate vor der Eröffnung soll Richter plötzlich Interesse am Ausstellungsprojekt gezeigt und das Ludwig Museum angerufen haben, mit der nun fast zum Titel erhobenen Nachricht: „Ich hab neue Bilder.“

Das Museum nahm dankend an, die 26 Gemälde aus dem vergangenen Jahr wurden kurzfristig ins Zentrum der Ausstellung gestellt – ergänzt durch einige berühmte, stets irritierend unscharfe fotorealistische Werke wie „Ema (Akt auf einer Treppe)“ von 1966 und „48 Porträts deutscher Geistesgrößen“ von 1971/72, die das Museum Ludwig jeweils schon früh erworben hatte, weil man in Richter die deutsche Antwort auf die amerikanische Pop-Art sah.

Die eben eröffnete Ausstellung „Die Editionen“ in Essen ist hingegen so etwas wie eine Retrospektive – allerdings nur wenn man nicht so viel auf die „Aura“ des Originals setzt. Sie zeigt nämlich sämtliche Werke, die Richter seit 1965 in Auflage geschaffen hat, darunter auch von Künstlern angefertigte, bewusst unscharfe Fotografien seiner Malereien. Wer eine klassischere Rundumschau sehen will, sollte wohl besser nach Prag fahren.

Stilistisches Chamäleon

Einmal mehr jedenfalls ist in diesen Ausstellungen der Facettenreichtum des Künstlers zu sehen, der aufgrund seiner Wandelbarkeit auch schon als stilistisches Chamäleon bezeichnet wurde. Richter legte sich nie auf einen Stil oder eine Methode fest. Während andere darüber stritten, ob denn gegenständlich oder abstrakt die bessere Malerei sei, schloss er nichts aus, sondern malte mal das eine, mal das andere.

Auch in Sachen Inhalt mied Richter jede Festlegung. „Ich verfolge keine Absichten, kein System, keine Richtung, ich habe kein Programm, keinen Stil, kein Anliegen“, schrieb er einmal. Das galt für die fotorealistischen Gemälde genauso wie für die abstrakten Bilder: Zu Letzteren zählen insgesamt zwei Drittel seines Werks, auch die neuen Arbeiten.

Abstraktes Bild (946-3)

Gerhard Richter 2017

„Abstraktes Bild (946-3)“ - eines von Richters neuen Gemälden

Jeder soll sich selbst ein Bild machen von Richters abstrakter Malerei mit den bis zu 30 Schichten, die er mit Rakeln und Spachteln freilegt, verstreicht oder wegkratzt, sodass wuchernde und explodierende, kraftvolle und fragile Landschaften entstehen. In leuchtenden Farben und gewaltig bunt.

Ausstellungen zum 85er

Albertinum, Dresden: „Benjamin Katz fotografiert Gerhard Richter“, 31. Jänner bis 21. Mai

Museum Ludwig, Köln: „Neue Bilder“, 9. Februar bis 1. Mai

Museum Folkwang, Essen: „Gerhard Richter. Die Editionen“, 7. April bis 30. Juli

Nationalgalerie, Prag: „Gerhard Richter“, 26. April bis 3. September

Kunstmuseum, Bonn: „Über Malen - Frühe Bilder“, 15. Juni bis 1. Oktober

„Einfach ein großer Spaß“

Wer Richter in Österreich sehen will, kann ab Juli zur Gruppenausstellung „Abstract Painting Now!“ in die Kunsthalle Krems fahren. Schon jetzt hängt ein kleines, nicht unwichtiges Zeugnis aus Richters Frühphase in Jakob Lena Knebels genialer Neuaufstellung der MUMOK-Sammlung: eine unscheinbare Fotografie eines Möbelhauses in Düsseldorf, in dem Richter gemeinsam mit Konrad Lueg 1963 eine Aktion unter dem Begriff „Kapitalistischer Realismus“ veranstaltete. Wer das als allzu systemkritisch interpretieren will, wird vom Künstler eingebremst: „Das ist nicht so ernst zu nehmen. Es war mehr ein Slogan für dieses Happening, das wir in dem Möbelhaus gemacht haben. Es war einfach ein großer Spaß.“

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