11.000 Artikel auf Lager
In der nördlichen Peripherie Brüssels, direkt an der Senne gelegen, steht eines der drei großen Logistikzentren von Ärzte ohne Grenzen (Medecins Sans Frontieres, MSF) in Europa. Von hier aus werden, neben Bordeaux und Amsterdam, Einsätze der NGO mit allen notwendigen Materialien ausgestattet.
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Rund 11.000 verschiedene Artikel sind in Brüssel verfügbar: Von Medikamenten über aufblasbare Kliniken und große Zelte, Infusionslösungen und medizinische Geräte bis zu USB-Ladern und üblichen Klebebändern ist fast alles vorhanden, was bei einem Einsatz im Feld gebraucht werden kann. Alleine in der Kühlkammer lagern Medikamente im Wert von über 500.000 Euro. Das Lager habe deswegen auch eine eigene Lizenz als Apotheke und unterliegt strengen Vorgaben inklusive regelmäßiger Kontrollen, so der zuständige Pharmazeut Clement Bingen beim Rundgang mit ORF.at.
Fokus auf Notfalleinsätze
Die Logistizentren stehen in direktem Kontakt mit fünf Einsatzzentralen, eine davon ebenfalls in Brüssel. Einsätze, in erster Linie Notfalleinsätze, werden gemeinsam geplant. Daneben gibt es längerfristige Programme.
Notfallpakete als Spezialität
Eine Spezialität von MSF sind Notfallsets, die alle für eine bestimmte Aufgabe notwendigen Materialien beinhalten und nach dem Baukastenprinzip aufgebaut sind. Insgesamt 500 solcher Kits gibt es laut MSF, etwa das Cholerapaket für den Aufbau einen Behandlungszentrums mit 60 Betten und ein Kit für die Reparatur und Wartung von Autos - inklusive Wagenheber und Gummireifen.
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ORF.at/Nadja Igler
11.000 Artikel gibt es laut MSF im Logistikzentrum in Brüssel
Die Kits sind genau durchgeplant wie auch der Einsatzrucksack für Ärztinnen und Ärzte, der nach einem definierten Schema mit Medikamenten und Geräten bestückt ist, damit im Krisenfall nicht nach den Dingen gesucht werden muss. Weil in den Sets viele Produkte mit unterschiedlichen Ablaufdaten verpackt sind, gelte das Prinzip „Last expired, first out“, so Bingen - für alle anderen Waren gilt „First expired, first out“ - was zuerst abläuft, muss auch als Erstes raus.
Autos werden an Ort und Stelle gekauft
Viele Dinge werden wegen der logistischen Herausforderung allerdings nicht in Brüssel, sondern direkt am Einsatzort gekauft. Dazu zählen unter anderem Autos, deren Lagerung die derzeit verfügbaren 13.000 Quadratmeter Kapazität der Halle und auch die 15.000 Quadratmeter - nach der aktuell laufenden Vergrößerung - definitiv sprengen würde. Kühlschränke hingegen werden aus Brüssel verschickt und die Mitarbeiterinnen am Einsatzort auch regelmäßig geschult, damit die Kühlketten bei verderblichen Waren wie Medikamenten auch eingehalten werden.
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Mit diesen Scannern behält das Personal den Überblick
Planung ist das zentrale Element bei MSF. In einer eigenen Datenbank werden alle Artikel verzeichnet, Abfragen wie die Zahl der verschickten Zelte pro Jahr sind schnell erstellt. Mit speziellen Lesegeräten sind die Arbeitenden in der Halle mit der Datenbank verbunden. Sobald neue Kits gepackt sind oder Material aus den Regalen genommen wurde, gibt es eine Rückmeldung ans System, das so immer auf dem aktuellen Stand ist. Rund 40.000 Menschen arbeiten in 60 Ländern für MSF, rund ein Drittel davon in der Logistik. Alleine in Brüssel arbeiten 430 Personen.
Prioritäten bei Lieferzeiten
Ausgeliefert wird aus den Logistikzentren entweder direkt in die Einsatzgebiete oder an Hubs wie jenen in Kenia, damit bestimte Dinge schneller verfügbar sind. Zu den aktuell 13.000 Quadratmeter in Brüssel kommen so noch einmal rund 33.600 Quadratmeter hinzu. Wenn eine Lieferung Zeit hat, kann sie kostengünstiger mit dem Schiff verschickt werden, schnelle Transporte mit dem Flugzeug sind deutlich teurer. Allein bei der laufenden Impfaktion in Guinea in Westafrika werden eine Million Einheiten für Impfungen benötigt.
Nationale Feindschaften als Hindernis
MSF arbeitet laut eigenen Angaben mit vielen Lieferanten zusammen, auch im Medikamentenbereich. Naturgemäß wird versucht, beim Einkauf einen möglichst günstigen Preis zu erhalten, daher wird auch bei zertifizierten Herstellern in Indien für den weltweiten Gebrauch gekauft. Doch manchmal gibt es unerwartete Hindernisse: So müssen manche Produkte wegen der Anforderungen der Zielländer bei verschiedenen Herstellern gekauft werden, weil jedes Label in anderen Sprachen druckt.
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Oft benötigte Materialien wie diese Glukoselösung werden in großem Umfang geliefert - und oft auch gleich in großem Umfang weitertransportiert
In Indien dürfen Medikamente nicht importiert, sondern dürfen nur lokal gekauft werden. Pakistan will zudem keine Medikamente aus Indien und manche islamischen Länder nicht aus Israel - das alles sei ein „logistischer Alptraum“, so Bingen. Aber auch damit werde MSF fertig, so der Pharmazeut mit einem Lächeln.
Links:
Nadja Igler, ORF.at, aus Brüssel