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Neuer Höhepunkt in Machtkampf

Der Oberste Gerichtshof in Venezuela hat das von der Opposition dominierte Parlament entmachtet. Das Gericht entschied in einem am Donnerstag veröffentlichten Urteil, die parlamentarischen Kompetenzen zu übernehmen und Entscheidungen für nichtig zu erklären. In dem seit Monaten andauernden Machtkampf wird die Position des sozialistischen Präsidenten Nicolas Maduro im Land mit den größten Ölreserven der Welt deutlich gestärkt.

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Begründet wurde das Urteil mit Missachtung der Verfassung und unzureichender Zusammenarbeit mit anderen Staatsgewalten. Der Oberste Gerichtshof hatte bereits im August 2016 geurteilt, dass die oppositionelle Mehrheit im Parlament gegen geltendes Recht verstoße, weil sie drei Abgeordnete, deren Mandat wegen mutmaßlichen Wahlbetrugs ausgesetzt worden war, vereidigt hatte.

Opposition sieht Willkürentscheidung

Die Opposition sah in dieser Entscheidung den Versuch des Regierungslagers, ihren Einfluss zu verringern. Am Dienstag hatte der Oberste Gerichtshof bereits die Immunität der Abgeordneten im venezolanischen Parlament aufgehoben. Damit ist der Weg für die Strafverfolgung von Abgeordneten frei.

Das Präsidium des Parlaments bezeichnete seine Entmachtung als „Staatsstreich“. „Das heißt nichts anderes als Staatsstreich und Diktatur in Venezuela - heute zählt die Verfassung nichts mehr“, sagte der Präsident der Nationalversammlung, Julio Borges, in Caracas. Maduro habe selbst die Anweisung zu diesem skandalösen Urteil gegeben, so Borges.

Auch der Oppositionsabgeordnete Henry Ramos Allup, der 2016 Parlamentspräsident war, nannte das Oberste Gericht „betrügerisch“ und warf ihm vor, die Verfassung „nach seinem Gutdünken auszulegen“. Es wurde eine Dringlichkeitssitzung angesetzt. Mit dem Urteil kann Maduro auf der Grundlage eines Ausnahmezustandes im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichts quasi „durchregieren“.

Viele Nachbarstaaten empört

Auch der Ständige Rat der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), der in Washington über die Krise in Venezuela beriet, verurteilte die Entscheidungen des Obersten Gerichts. OAS-Generalsekretär Luis Almagro sprach von einem „Putsch“, mit dem die Staatsführung die verfassungsmäßige Ordnung und die Demokratie ausheble. Peru kündigte an, seinen Botschafter aus Venezuela abzuziehen. Die venezolanische Regierung habe die demokratische Ordnung zerstört.

Die Mehrheit der Mitgliedsstaaten der OAS - darunter die USA, Mexiko, Brasilien und Argentinien - hatten schon zuvor eine klare Warnung an Venezuela ausgesprochen, die Gewaltenteilung zu achten und politische Gefangene freizulassen. Die Stellungnahme erfolgte auf Aufforderung des Parlaments, eine Verletzung demokratischer Rechte durch Maduro festzustellen, was den Konflikt angeheizt hatte.

Gespaltenes Land

Hintergrund der Gerichtsentscheidungen ist ein tiefer Konflikt zwischen der Regierung Maduros und der Opposition. 2015 hatte das Oppositionsbündnis „Mesa de la Unidad Democratica" (MUD/"Tisch der demokratischen Einheit“) die Parlamentswahl mit überwältigender Mehrheit gewonnen - im MUD sind sozialdemokratische, konservative und liberale Kräfte vereinigt.

Der Sieg schien das Ende des 1999 von Hugo Chavez ausgerufenen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ einzuleiten. Doch Maduro, Nachfolger des 2013 verstorbenen Chavez, schränkte - mit Hilfe von Urteilen der Justiz - die Parlamentsrechte nach und nach weiter ein. Schon seit über einem Jahr regiert er mit Notstandsdekreten.

Vergeblicher Kampf für Amtsenthebung

Die Opposition kämpft damit bisher vergeblich für eine Volksabstimmung über eine Amtsenthebung des Präsidenten. Regulär endet sein Mandat im Dezember 2018. Die Gouverneurswahlen hätten eigentlich bereits im vergangenen Dezember stattfinden sollen. Sie wurden aber auf dieses Jahr verschoben, wobei ein Wahltermin bisher nicht feststeht.

Die Opposition macht Maduro auch für die schwere Wirtschaftskrise verantwortlich, die durch den starken Ölpreisrückgang seit 2014 verschärft wurde. Die Versorgungskrise verschlimmert sich nach Jahren der Misswirtschaft fast täglich.

Hyperinflation und Versorgungskrise

Das ölreichste Land der Erde ist stark von Importen abhängig, kann aber kaum noch die Produkte in Dollar oder Euro bezahlen. Hintergrund ist, dass die heimische Währung, der Bolivar, zunehmend entwertet wird und sich damit der Wechselkurs zum Dollar oder Euro immer weiter verschlechtert.

Als Folge der derzeit höchsten Inflation der Welt können Menschen Lebensmittel und Medikamente fast nicht bezahlen. In den Krankenhäusern gibt es kaum noch die notwendige Medizin. Die Kindersterblichkeit ist stark gestiegen. Auch die Gewaltrate nimmt zu. Zehntausende Menschen sind bereits geflüchtet.

Repressionen gegen Medien

Neben zunehmender Repression gegen politische Gegner wurden zuletzt auch die Daumenschrauben für die Presse angezogen, zudem wurde mehreren ausländischen Journalisten die Einreise verweigert. Ferner wurde die Abschaltung des US-Fernsehsenders CNN in Venezuela verfügt. Präsident Maduro hatte dem Sender vorgeworfen, gegen seine Regierung zu konspirieren.

Attacken auf die USA

US-Präsident Donald Trump hatte sich Mitte Februar in Washington demonstrativ mit der Ehefrau des Oppositionsführers Leopoldo Lopez, Lilian Tintori, getroffen. Lopez verbüßt eine fast 14-jährige Haftstrafe, die unmittelbar nach dem Treffen von Trump mit Tintori vom Obersten Gerichtshof noch einmal bestätigt wurde. Ihm wird eine angebliche Anstachelung zur Gewalt bei regierungskritischen Protesten vorgeworfen, die mehrere Monate andauerten und 43 Tote forderten.

Maduro warf den USA am Dienstag konkrete Pläne für Attacken vor. „Das Außenministerium der Vereinigten Staaten hat eine Koalition rechter Regierungen gebildet, um einen Plan der Aggression und Intervention vorzubereiten“, sagte er während einer Kabinettssitzung. Wiederholt ließ Maduro große Militärmanöver abhalten, um das Land auf eine mögliche US-Invasion vorzubereiten.

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