Peter Ily Huemer hat der ersten Wiener Punk-Band Chuzpe ein – kritisches – Denkmal gesetzt, und nicht nur ihr. In seiner aufschlussreichen Doku gleichen Namens lassen die älter gewordenen Bandmitglieder von Chuzpe, Dirt Shit, Gleitmittel und Blümchen Blau die späten 1970er und 80er Jahre noch einmal Revue passieren - das stickige Wien, Rebellion, Drogen, Eltern –, sehenswert in seiner Aufrichtigkeit.
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Manchen stehen die harten alten Chuzpe-Jahre noch ins Gesicht geschrieben, andere können schon distanziert auf die Anfänge der Punk-Bewegung in Wien schauen: Ronnie Urini, Panza, Nivea, Seppl oder Ali Kravalli nannten sie sich; sie haben durchaus unterschiedliche Erinnerungen daran, wie alles begann, damals. Man erkannte sich jedenfalls, sprach sich an, hatte vielleicht in der Ö3-„Musicbox“ etwas von den Ramones oder Sex Pistols gehört.
Musiker war ja nun keiner, aber das war nicht wichtig. Wichtig war der Widerstand gegen die als tot und feindselig empfundene Stadt. Rau, schnell und simpel die Musik, subversiv und deutsch die Texte. Schnell kamen die Fans, die Nachahmer, aber auch harte Drogen und Zerstörungsdrang.
Peter Ily Huemer: Filmemacher, „Theaterpunk“
Der Filmemacher Huemer, selbst früher Theaterpunk, ist Chuzpe und der Punk-Szene freundschaftlich verbunden. Vielleicht liegt es daran, dass die Geschichten, die ihm all die Bandmitglieder von früher erzählten, so emotional und ehrlich klingen. Huemer setzt in diesem sympathischen Kammerspiel alle einzeln vor die Kamera.
Michael Snoj
Szene aus der „Chuzpe“-Doku
Herausgekommen ist jedoch viel mehr als eine Ansammlung von Talking Heads: Alle scheinen miteinander im Gespräch zu sein. Chuzpe ist ein wichtiges Filmdokument über eine gesellschaftliche Nische, zu der es bisher keines gab. Umso ehrenwerter, dass Huemer Wert darauf gelegt hat, zu seinen Protagonisten kritische Distanz zu wahren und die kleine Widerstandsbewegung, die für Wien so wichtig war, in all ihrer Widersprüchlichkeit zu beleuchten.
ORF.at: Wien in den 1970er Jahren, eine tote Stadt, spießig, grau, ostblockig sagen die Punks. Wie sehen Sie das Wien jener Zeit?
Peter Ily Huemer: Ich geh sehr konform mit diesem Bild (lacht). Wir haben damals alle Wien als tote Stadt empfunden. Als trostlose Stadt im wahrsten Sinne des Wortes. Diese Realität war sicherlich ein Umstand, der dazu geführt hat, dass die Kids damals das Bedürfnis hatten, sich neu zu erfinden.
ORF.at: Das war ja offenbar nur eine Handvoll Leute, die, weil sie anders aussahen, dauernd angefeindet wurden, es war ganz schön hart, ein Punk zu sein.
Huemer: Das war extrem hart! Das unterscheidet sich enorm von der heutigen Wahrnehmung. Heute ist es mehr oder minder akzeptiert, damals gar nicht. Die Szene war eine Mikroszene, wie ich sie bezeichne, die damals nur ein Stichwort aus London aufgegriffen hatte. Eine Bewegung des Empowerments, der Befreiung aus der als unerträglich empfundenen Situation.
ORF.at: Auch die Mikroszene musste sich aber erst gründen. Hätte sie auch was anderes machen können als Musik?
Huemer: Ich war damals im Theater, ich war extrem jung und in einer der ersten freien Gruppen in Wien, wir haben uns als Theaterpunks damals empfunden (lacht). Es hat sich nicht alles an der Musik orientiert, aber die Musik war ein wichtiger kreativer Angelpunkt. Ein Nenner, auf den sich alle einigen konnten.
ORF.at: War der Theaterpunk Huemer auch entsprechend gestylt oder hat das damals keine Rolle gespielt, das Äußere?
Huemer: Die Dogmatisierung der Punk-Bewegung hat erst später begonnen. Es gab da keine Vorschriften, so wie es sie jetzt gibt. So wie es Bernie von der Band Dirt Shit beschreibt: Man hat sich Klamotten zusammengestohlen oder zerschnitten. Ich hab damals den Kleiderschrank meines Großvaters geplündert, weil, die Klamotten waren alle schräg und haben nicht gepasst. Jeder hat seinen eigenen Stil gehabt.
ORF.at: Ohne Ö3 und die „Musicbox“ hätte es vielleicht Chuzpe gar nicht gegeben, wird im Film deutlich. Ein Song im Radio kann was auslösen - heute undenkbar ...
Huemer: Unmöglich. Sie haben vollkommen recht. Das ist faszinierend. Es gab ja auch nur diese eine Sendung. Eine Stunde am Tag! Darauf hat man gewartet. Der Mangel an Optionen hat sich positiv ausgewirkt. Man ist auf die vorhandenen Möglichkeiten viel direkter zugegangen. Schneller als jetzt, wo alles sehr atomisiert ist und 70.000 Subszenen sich aufteilen, man ist nur noch im eigenen digitalen Elfenbeinturm unterwegs. Damals hingegen spielen sie eine Nummer in der „Musicbox“, und darauf haben fünf Kids reagiert.
ORF.at: Man erfährt im Film auch sehr viel über das Wien der 1980er Jahre. Stichwort Steinhof: Die Unterbringung psychisch Kranker oder vermeintlich psychisch Kranker in 16er-Zimmern, wo jedes Bett ein Käfig ist, dessen Insassen mit Medikamenten sediert werden. Mir kamen dabei die viel zitierten rumänischen Kinderheime unter Ceausescu in den Sinn ...
Huemer: Weil die Geschichten tatsächlich erlebt wurden und nicht abstrahiert sind. Weil sie authentisch sind, gewinnen sie emotionale Stärke.
ORF.at: Haben Sie den Eindruck gehabt, die Ex-Punks lügen sich auch mal in die Tasche?
Huemer: Natürlich, ich glaub, jeder Mensch lügt sich in die Tasche irgendwann. Es ist fast unmenschlich, von jemand zu verlangen, das nicht zu tun.
Filmhinweis
„Chuzpe“ läuft auf der Diagonale als Uraufführung am 31.3. um 20.30 Uhr im UCI Annenhof und am 1.4. um 11.00 Uhr im Schubertkino.
ORF.at: Tondokumente der Musik von „Chuzpe“ und anderen Bands gibt es leider kaum im Film.
Huemer: Es gibt wahnsinnig wenig Material über diese Zeit! Ich war glücklich zu finden, was ich gefunden habe. Es gab ja keine Musikvideos. Das ist auch ein Grund, warum wir den Film machen wollten: Weil’s nichts gibt über diese Zeit. Auch Hansi Lang sollte bei uns dabei sein. Der ist uns aber vor dem Interview gestorben. Das heißt, wir können nicht warten. Wir greifen ja auch das Destruktive auf, das ein wichtiger Aspekt jener Szene war.
Ein Subtitel des Films sollte erst sein: „Ein Missverständnis mit Folgen“. Wegen der Mutation, die entstanden ist, weil es keine Medien gab, die ein genaues Abbild ermöglicht hätten, nur verschwommene Bilder aus irgendwelchen Zeitschriften. Daraus hat man sich dann vorgestellt, wie das sein könnte. Es war nicht möglich, Punk zu kopieren, nur zu interpretieren. Dadurch ist was Eigenes entstanden. Weil, „Chuzpe“ klingt eben anders ... wie eine Wiener Interpretation des Punk-Stils, der damals weltweit existiert hat ...
ORF.at: … mit österreichischer Verspätung, wie es im Film anklingt.