Offizielle Funktion für Aktivistin
Die deutsche Werbewirtschaft wird sich künftig wohl auf deutlich mehr Widerstand einstellen müssen, wenn es um sexistische Werbung geht. Die deutsche Genderforscherin und Feministin Stevie Schmiedel wurde von der Regierung engagiert, um die Kontrollore - den Werberat - zu kontrollieren. Bis dahin stellt sie sexistische Kampagnen wie gehabt online an den Pranger - auch österreichische Delinquenten sind dabei.
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In Interviews nennt Schmiedel gern Beispiele für ihre Arbeit. Wenn sie für ihre Töchter nach einem Geschenk suche und im Kaufhaus bei den Spielzeugküchen das Schild „Für Mutti“ hänge, sagt sie, sehe sie gleich einmal Rot. Auf der Homepage von Schmiedels NGO Pinkstinks finden sich weitere drastische Beispiele, etwa Plakatmotive von Speiseeisherstellern, die Oralverkehr nachstellen, und Waschanleitungen, die sich gezielt nur an Frauen richten. Die Zeiten von „Mad Men“ scheinen noch gar nicht so weit zurückzuliegen.
Jetzt hat Schmiedel von der deutschen Familienministerin Manuela Schwesig den Auftrag erhalten, ab August 2017 zwei Jahre lang ein gezieltes Monitoring des deutschen Werberates - des freiwilligen Kontrollorgans der deutschen Werbewirtschaft - durchzuführen. Schmiedel und Julia Busse, die Geschäftsführerin des Werberats, diskutierten in der Vergangenheit immer wieder auf Podien über Sexismus in der Werbung. Laut dem deutschen „Handelsblatt“ kam Schmiedel dabei die Rolle der nervigen Aktivistin zu, während Busse die „besonnene Kontrollinstanz“ gegeben habe. Der Auftrag der Ministerin wertet die Position der Feministin mit ihrer Entscheidung jetzt also gezielt auf.
Geplantes Verbot
Im Vorjahr hatte der deutsche Justizminister Heiko Maas (SPD) sich für ein Verbot sexistischer Werbung ausgesprochen - und damit Lob, aber auch viel Kritik geerntet. Aus den Plänen ist bisher aber nichts geworden.
Unidozentin wird Aktivistin
Schmiedel war zuletzt Dozentin an der Universität Hamburg und der Hochschule für Soziale Arbeit. Sie arbeitete an einer Studie zu Heidi Klums Serie „Germanys Next Topmodel“ und deren Einfluss auf das Selbstbild junger Frauen, die sich laut einer „Bravo“-Studie durchwegs zu dick fanden. Als sie einen wütenden Leserbrief schrieb, wurde die „Zeit“ auf sie aufmerksam und interviewte sie. So geriet Schmiedel in die Medien und nutzte die Aufmerksamkeit.
2012 gründete Schmiedel Pinkstinks, eine NGO, die nach britischem Vorbild Genderklischees und Sexismus in den Medien anprangert. Gleich im ersten Jahr machte Pinkstinks mobil gegen eine allzu suggestive Bikini-Plakatserie, die C&A schließlich zurückzog. Pinkstinks sorgte mit seinen Protesten auch dafür, dass Ferrero die Bezeichnung „nur“ in „für Mädchen“ auf dem Überraschungsei strich.
Wiener Burger mit schlechtem Geschmack
In einem Facebook-Post stellte Schmiedel kürzlich auch eine Wiener Burgerbraterei an den Pranger, die mit dem Bild einer Halbnackten nach einer Bedienung suchte. Auch diese Anzeige ist inzwischen von der Homepage der Betreiber verschwunden (aber nicht aus dem Facebook-Stream von Schmiedels Organisation).
Als Geschäftsführerin beschäftigt Schmiedel mittlerweile drei Mitarbeiterinnen und einen Mitarbeiter. Mit diesem Team will sie während der kommenden zwei Jahre eine App entwickeln, mit der sich sexistische Werbung schnell und einfach melden lässt. Spaziergängerinnen und Spaziergänger können Fotos von Plakaten machen und online stellen. So könnte auch der Werberat nachprüfen, ob Firmen die gerügten Sujets wirklich aus dem öffentlichen Raum entfernen.
Shitstorm als feministischer Hebel
Es scheint, als habe Pinkstinks Hebel in der Hand, die dem 1972 gegründeten Werberat fehlen: Eine große Facebook-Community zum Beispiel, mit deren Hilfe die Organisation wirksam zu Shitstorms gegen sexistische Produkte aufrufen kann. Der deutsche Werberat hat als freiwillige Selbstkontrollinstanz dagegen keine offizielle Handhabe, um abgemahnte Kampagnen auch effektiv zu stoppen. Kritiker werfen ihm zudem vor, an praktischen Maßnahmen teils auch gar kein Interesse zu haben.
Sexismusprobleme auch in Österreich
Auch in Österreich ist frauendiskriminierende und sexistische Werbung ein Problem. Das zeigt die aktuelle Jahresbilanz des heimischen Werberats: In der Kategorie „Geschlechterdiskriminierende Werbung“ fallen klar die meisten Beschwerden bei diesem freiwilligen Gremium an. Mit 75 waren es 2016 nicht nur deutlich mehr als noch im Jahr zuvor (2015: 57), sondern auch mehr als doppelt so viele wie in der Kategorie, die zur zweithöchsten Zahl an Beschwerden führte: Im Bereich „Ethik und Moral“ waren es „nur“ 36.
Nach Medien sortiert fielen – über alle Kategorien betrachtet – die meisten Beschwerden bei Plakaten (47) an, gefolgt von den Printanzeigen (32) und den TV-Spots (30) an dritter Stelle. Im Bereich Internet war die Tendenz mit 25 Beschwerden (statt 15 im Jahr 2015) deutlich steigend. Über die letzten sieben Jahre gesehen, stieg die Zahl der Beschwerden laut heimischem Werberat geringfügig.
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