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Rechte Hand und „Gehirn“

Der deutsche Architekt Patrik Schumacher hat seit 1988 mit Zaha Hadid zusammengearbeitet, ehe sie 2016 im Alter von 65 Jahren unerwartet an einem Herzinfarkt gestorben ist. Zuvor, 2002, wurde er als ihr wichtigster leitender Mitarbeiter auch geschäftlicher Teilhaber der Zaha-Hadid-Architects-Büros. Da die theoretischen Schriften von ihm stammen, wird er in Hadids Umfeld scherzhaft „das Gehirn“ genannt.

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ORF.at: Was fühlt man, wenn nach so vielen Jahren jemand so Prägender plötzlich nicht mehr da ist?

Patrik Schumacher: Eigenartig, wenn man fast drei Dekaden lang mit jemandem täglich in Kontakt war, gesprochen, telefoniert, Text-Messages ausgetauscht hat.

ORF.at: Die Firma leiten Sie dennoch weiter.

Das ist eine ganz natürliche Entwicklung für mich.

ORF.at: Wann und wie haben Sie Zaha Hadid kennengelernt?

Schumacher: Als Student an der Technischen Universität in Stuttgart waren die Zeichnungen und Visionen von Zaha Hadid für mich ein Schock der Frische. So bin ich nach London gegangen und machte 1983 ein Praktikum bei ihr. Zunächst war ihr Studio erstaunlich klein, nur drei Leute. Wenig später habe ich mich bei Hadid beworben und – wurde genommen. Eigentlich arbeite ich seit den Gründungstagen für das Büro und war bereits beim Erstlingsprojekt beteiligt.

ORF.at: Das war ein Jahrzehnt später, 1993.

Schumacher: Ja, bei Hadids erstem Gesamtbauwerk. Das war das Vitra-Feuerwehrhaus in Weil am Rhein. Seit Ende 2016 werden die Räume für Kulturveranstaltungen und Ausstellungen des Vitra Design Museums genutzt.

ORF.at: Man sagt, das Gebäude sei „eine an Ort und Stelle in Beton gegossene Skulptur“.

Schumacher: Die Form unserer Architektur basiert auf der Komplexität pulsierender Kurven ohne konstanten Radius, vielmehr einen mit wechselnder Reichweite. Derlei Komplexitäten und die Möglichkeiten der bautechnischen Realisierung waren schwierig in den Griff zu kriegen vor den Computern, die Design und Konstruktion animieren können.

Nicht die strukturell-technischen, es waren die geometrischen Koordinierungs- und logistischen Berechnungsprobleme, die nunmehr die Rechner lösen. Und solche der Präzision individuell angepasster Elemente und variierter Teile. Auch sie werden jetzt über CNC-gesteuerte Fabrikationsmethoden gelöst. All dies hat sich in den letzten 20 Jahren entwickelt. Mit dem Ergebnis, dass wir die Art von Architektur, die wir anbieten, immer subtiler gestalten.

ORF.at: Wie das in Rom 2010 eröffnete MAXXI Museum für zeitgenössische Kunst.

Schumacher: Das MAXXI, bei dem Zaha und ich von Anfang an sehr stark zusammengearbeitet haben, ist sicherlich das Resultat unserer intensiven Entwurfsforschung, sehr komplex mit einem starken Einschlag von Kurven. Es war eines ihrer Lieblingsprojekte, obwohl wir im Zuge der Realisierung ein wenig zurückgesteckt haben. Wir hatten fluidere und extremere Entwurfsskizzen in den Wettbewerb geliefert, wollten letztendlich aber auch mal gewinnen.

ORF.at: Wie sind Sie vom Schüler zum Partner aufgestiegen?

Schumacher: Zusammengeführt hat uns der Faktor, dass wir beide Ideenmenschen waren, intuitive Entwerfer. Zaha hatte ein subtiles, detailliertes Wissen von Architektur, sie hat sehr viel gesehen, Details genau beobachtet, viele Ideen gehabt. Technische Kompetenzen und was Realisierung bedeutet, das haben wir uns dann gemeinsam angeeignet und sukzessive entwickelt.

ORF.at: Hadid war dennoch das Markenzeichen.

Schumacher: Zaha war ausgestattet mit sehr viel Persönlichkeit, Temperament, Tatkraft, Willen zum Erfolg. Alles in Mix gebracht. Energien zu formen war unser gemeinsames Ziel, die Figur des öffentlichen Auftritts war sie. Mit sehr viel Charme und fast Magie – das war wichtig für die Massen und das Wachstum der Firma.

ORF.at: Wie hat Zaha Hadid ihre Rolle, auch als Frau, definiert?

Schumacher: Als Charakter wollte sie attraktiv sein, sicherlich, blieb aber stets unabhängig und war nie und in irgendeiner Weise von einem Klischee wie „Femininität“ befangen. Zaha war vorsichtig, Autoritäres war ihr fremd, solcherlei Wesensarten anerkannte sie nicht, sie wollte nie unfrei sein innerhalb einer Struktur. Auch familiär agierte sie ohne Eltern, Brüder, war nie verheiratet.

ORF.at: Wie fassen Sie die 15 Jahre Lehrtätigkeit gemeinsam mit Zaha Hadid in Österreich zusammen?

Schumacher: In Wien, an der Universität für Angewandte Kunst, unterrichteten wir seit dem Jahr 2000. Lehre und Unterricht waren für uns, für Zaha und auch meine Person, immer wichtig, auch als Entwurfsforschung. Wir konnten mit den Studenten spezielle Themen erarbeiten, haben viele innovative Entwicklungen, die wir in unsere Arbeitsweise, in unser Oeuvre einbauten, hier vorentwickelt. Außerdem konnten wir Kompetenz fördern, ausbilden und aufbauen, um Talente zu finden für die Arbeit im Büro.

ORF.at: Wie läuft der Betrieb von Zaha Hadid Architects nach Hadids Ableben weiter?

Schumacher: Ihr Tod war unvermittelt, dieser Herzinfarkt mitten im Leben während einer USA-Reise, ausgelöst durch eine Erkältung mit heftiger Bronchitis. Zaha Hadid Architects aber läuft kontinuierlich weiter, zumal ich von allen wesentlichen Kollegen sehr viel Zuspruch erhalten habe. Wir haben seither viele Wettbewerbe gewonnen und Einladungen bekommen für neue Projekte. Die Stärke der Firma, weshalb wir auch im Vergleich zu anderen seit Anfang stetig wachsen konnten, war stets, dass wir einerseits vielgestaltiger arbeiten als andere Stararchitekten, und dass anderseits Zaha stets offen war – und nunmehr ich – für Mitautorenschaft, für einen uneingeschränkten, kreativen Prozess aller Mitarbeiter. Das wird so weitergehen, das ist die Stärke eines potenten Kollektivs.