Griechenland und Polen lenken ein
Einigkeit ist das Schlüsselwort der Erklärung von Rom, die am Samstag von den Staats- und Regierungschefs der EU unterzeichnet wurde. Die Errichtung der europäischen Einheit sei ein mutiges, weitreichendes Unterfangen, heißt es gleich zu Anfang des drei Seiten langen Texts.
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Die Erklärung wurde anlässlich des 60. Jahrestages zur Unterzeichnung der Römischen Verträge verabschiedet, mit denen die Grundlage für die EU gelegt wurde. Nach dem „Brexit“-Schock des Vorjahres will sich die Staatengemeinschaft damit auf ihre Stärken besinnen und optimistisch in eine gemeinsame Zukunft für die 27 verbleibenden Mitgliedsländer blicken.
Griechenland pocht auf Sozialstandards
Dennoch hatte es zunächst den Anschein, einige Konflikte könnten den feierlichen Gipfel überschatten. Griechenland drohte, die „Agenda von Rom“ nicht zu billigen. Die internationalen Gläubiger verlangten von Griechenland eine umfassende Liberalisierung des Arbeitsmarktes, die den europäischen Errungenschaften beim Arbeits- und Tarifrecht zuwiderlaufe. Unter anderem sollen das Streikrecht eingeschränkt und Entlassungen vereinfacht werden.
Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras schrieb an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, man werde die EU-Erklärung von Rom unterzeichnen, er verlangte aber ein Zeichen der Unterstützung gegen Reformforderungen der internationalen Geldgeber. Sein Land sei berechtigt, klar und deutlich zu erfahren, ob die sozialen Errungenschaften der EU auch für Griechenland gültig seien. In einem Seitenhieb auf den Internationalen Währungsfonds (IWF) merkte er an, es liege in der Verantwortung der EU, über Sozialstandards zu entscheiden, dafür könne keine supranationale Institution zuständig sein.
Polen gibt Widerstand auf
Unklar war zudem anfangs, wie sich Polen verhalten würde, das auf dem EU-Gipfel in Brüssel vor zwei Wochen für einen Eklat gesorgt hatte, weil der Regierung die Wiederwahl des Polen Donald Tusk als EU-Ratspräsident ein Dorn im Auge gewesen war. Ministerpräsidentin Beata Szydlo von der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) drohte, die gemeinsame Erklärung nicht zu unterzeichnen, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt würden. Polen spricht sich entschieden gegen das Konzept eines Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten aus, für das Deutschland und Frankreich werben.
Am Freitag gab Polen dann seinen Widerstand auf. Die polnischen Forderungen seien erfüllt worden, sagte Szydlo vor ihrem Abflug nach Rom. "Die Einheit und Unteilbarkeit Europas ist in die Deklaration aufgenommen worden, und das ist ein Erfolg der polnischen Diplomatie", sagte sie der Agentur PAP zufolge. Die ausgehandelte Erklärung sei nicht so ambitioniert wie erwartet. Der Wert der Deklaration liege darin, dass es ein für alle Regierungen annehmbarer Kompromiss sei.
„Beispiellose“ Herausforderungen
Von diesen EU-internen Querelen wollte sich die Mehrheit der Staats- und Regierungschefs in Rom aber ohnehin nicht aufhalten lassen. „Stolz“ schaue man auf das zurück, was die EU erreicht habe. Heute sei man geeinter und stärker, heißt es in dem Text, der sich an der Berliner Erklärung von 2007 orientiert. Doch anders als damals sind die Herausforderungen für die EU heute nicht mehr nur „groß“, sondern „beispiellos“. Dazu zählt die EU „regionale Konflikte, Terrorismus, wachsenden Migrationsdruck, Protektionismus sowie soziale und wirtschaftliche Ungleichheit“.
Absage an Rechtspopulisten
Der „Brexit“, das von Osteuropäern als aggressiv wahrgenommene Russland und die USA werden in dem Dokument nicht explizit genannt. Der Verweis auf Protektionismus ist aber auch als Bekenntnis gegen die restriktivere US-Handelspolitik unter Präsident Donald Trump und für einen freien Welthandel interpretierbar.
In der Erklärung wird zudem davor gewarnt, dass die EU im globalen Kräftespiel an den Rand gedrängt werde, falls die Mitgliedsländer allein vorangehen würden: „Einigkeit ist eine Notwendigkeit und unser freier Wille.“ Passagen wie diese sind zugleich eine klare Absage an Europas Rechtspopulisten, die das Rad der EU-Integration zurückdrehen wollen.
Botschaft an Westbalkan-Länder
Vier Bereiche werden hervorgehoben, in denen die EU mehr leisten will: die innere und äußere Sicherheit, der Weg zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion, ein sozial gerechteres Europa und eine stärkere EU in der Weltpolitik. Zugleich will die EU offen bleiben für die beitrittswilligen Länder Europas, die die Werte der Gemeinschaft respektieren und unterstützen wollen.
In einer vorigen Version hatte es noch geheißen, dass die Beitrittskandidaten die Werte „vollständig“ teilen müssten. Die EU hat in der neuen Formulierung offenbar einen Mittelweg gesucht, um den Ländern des Westbalkans nicht zu suggerieren, dass es neue Hürden für ihren Beitritt gäbe.
Zugleich hat in großen Teilen der EU die Betonung gemeinsamer Werte eine Renaissance erlebt - nicht nur mit Blick auf den Streit über Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen, sondern vor allem wegen der Türkei, deren Beitrittsperspektive angesichts der dortigen Menschenrechtslage und der Einschränkungen von Grundfreiheiten weiter schwindet.
Verschiedene Geschwindigkeiten?
Um eine andere Passage hatten die Vertreter der 27 EU-Regierungen besonders gerungen, nachdem es dazu schon auf dem letzten EU-Gipfel in Brüssel lange Diskussionen gegeben hatte: die EU der verschiedenen Geschwindigkeiten. In Osteuropas Hauptstädten herrschte die Angst, von den großen, wirtschaftsstärkeren Ländern Westeuropas sowohl politisch als auch finanziell abgehängt zu werden.
Schließlich ist in die Rom-Erklärung ein Schachtelsatz eingeflossen, der beiden Seiten gerecht werden soll: „Wir werden gemeinsam handeln, wenn notwendig in verschiedener Geschwindigkeit und Intensität, während wir uns in dieselbe Richtung bewegen, wie wir es in der Vergangenheit getan haben, im Einklang mit den Verträgen, und lassen die Tür offen für jene, die später dazukommen wollen.“
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