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Hermanis und der Heilige Gral

Richard Wagners „Parsifal“ hat unter Opernfreunden wohl so viele Verehrer wie Gegner. Lieben die einen das Musikdrama als die von Wagner angedachte Weihestunde, finden andere, er habe mit seinem letzten großen Bühnenwerk dick und zäh aufgetragen, ohne kompositorisch neue Ideen zu setzen. Für den Letten Alvis Hermanis, der immun gegen Moden der Zeit auftritt, ist Wagner gerade in Wien Ansporn. Die nach dem naiven Toren suchende Ritterrunde schickt er in die Psychiatrie. Und ist sich, wie er im Interview mit ORF.at zugibt, im Klaren, dass er damit eine bestimmte Lesart forciert - die aber eine im Geiste Wagners sei.

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Repertoire-Opern müssen bekanntlich auch dann funktionieren, wenn einmal nicht die erste Riege an der Rampe steht. Das räumt dem nicht zuletzt optischen Setting durchaus gehörige Bedeutung ein. Wenn nun ein gefeierter Theatermann erstmals einen Repertoire-Betrieb haltbar machen soll, dann wird sich seine Lesart eines großen Stoffes wohl über Jahre optisch, vielleicht gar ikonisch in den Köpfen der Besucher festsetzen.

Hermanis, der so gerne die Mastercontrol des gesamten Bühnenprozesses in der Hand hält, hat sich für Wien und den „Parsifal“ für eine besondere Lesart entschieden: Wagner muss ins Wagner-Spital, wie in großen Lettern über der Bühne zu lesen sein wird. Für das Bühnenweihespiel Wagners ist bei Hermanis die Kirche Otto Wagners auf dem Steinhof optischer Dreh- und Angelpunkt der Interpretation. Auch im Umgang mit Wagners spätromantischem Naturbegriff. Szenen auf der Waldlichtung, sie schimmern bestenfalls durch die Oberlichten eines Kulturbaus durch oder sind als Projektionen der Insassen einer Klinik deutbar.

„Parsifal“ mit Timeshift

Alvis Hermanis, der gerne als konservativster Opernregisseur des 21. Jahrhunderts in die Geschichtsbücher eingehen will, siedelt seine Neuinszenierung von „Parisfal“ am Vorabend des Ersten Weltkriegs an.

Der unverdorbene, naive Parsifal, der die Menschheit retten soll, er dürfte bei Hermanis wohl von Anfang an ein Mensch der Kultur sein, der schwer an der Last von Überlieferungen zu tragen hat. Dabei, so verrät der Regisseur, ließe sich die Idee des „Parsifal“ ja in einem Satz zusammenfassen: „Um den Gral zu erreichen, genügt das Hirn nicht, man muss auch das Herz öffnen.“

Szene aus Parsifal

Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

„Hirn allein genügt nicht auf dem Weg zum Gral“, sagt Regisseur Hermanis. Ganz zur Seite legen sollte man es vielleicht auch nicht.

„Eine tiefgehende Meditation“

Interpretationsversuchen will Hermanis nicht vor und bestimmt nicht nach der Premiere auf die Sprünge helfen. „Es gibt eine Million Interpretationen, Wagners ‚Parsifal‘ umzusetzen“, sagt er während der finalen Proben im Gespräch mit ORF.at. Eigentlich, so Hermanis, müsste man diese Oper ja als eine tiefgehende Meditation über die Krise Europas und der europäischen Kultur begreifen. Und das heißt für ihn: „Der beste Zugang zu dieser Oper ist, sie mit geschlossenen Augen zu betrachten. Doch das geht nicht, immerhin sind wir ja in einem Bühnenraum.“

Zur Sichtbarmachung seiner Lesart dieser Meditation entscheidet sich Hermanis für einen Zeitsprung - von uns ein Jahrhundert retour, von Wagner ein paar Jahrzehnte nach vorne, ins Wiener Fin de Siecle. Denn, so Hermanis: „Es gibt einen Zugang zum ‚Parisfal‘, den kann man nur hier in Wien machen.“

Wien, ein Silicon Valley der Moderne

Wien zur Zeit der Jahrhundertwende sei ein Laboratorium, ja ein Silicon Valley gewesen, in dem sich alle gesellschaftlichen Herausforderungen des nachfolgenden Jahrhunderts gestellt hätten. Richard Wagner habe einen sehr klaren Befund von der Krise der europäischen Kultur gegeben.

Radiohinweis

Ö1 sendet „Parsifal“ in einer Aufzeichnung aus der Staatsoper am 15. April um 19.00 Uhr.

Er erzähle vom Verlust der Spiritualität zugunsten eines Rationalismus, der nur noch die materielle Seite des Menschen im Blick habe. „Richard Wagner hat sehr deutlich gesehen, dass da etwas schiefgeht“, erläutert Hermanis und ergänzt: „Die Idee mit dem Spital ist nicht meine Idee. Die Ritter sind eine kranke Gesellschaft, und Amfortas ist der Patient Nummer eins. Aber eigentlich ist das Wagners Idee.“

Endstation Steinhof?

Ob die Rettung durch die Kunst gelingen kann? Immerhin ist der Wiener Steinhof zumindest im Sprech des Volksmundes auch eine Art „Point of no return“. Möglicherweise interessiert Hermanis aber zunächst die Anamnese: und zwar nicht, um daraus ein Psychodrama im Zuschnitt seiner Tschechow-Arbeiten zu machen, sondern eher, um langsam auf die bei Wagner entwickelten Thesen zu schauen. „Speziell bei Wagner stehen Figuren mehr für Ideen, für philosophische Konzepte. Es würde keinen Sinn haben, aus Wagner ein Psychodrama zu machen. Da nimmt man besser Puccini oder ‚Cosi fan tutte‘.“

Auch wenn Hermanis keinen seiner Helden auf die Couch legen wird - einen Brückeneffekt gibt es für den lettischen Regiestar doch, der die Opern Wagners mit der Arbeit eines Analytikers verbindet: „Jedes Theater- oder Musikstück hat doch in gewisser Weise mit Hypnose zu tun. Und das ist immer eine Manipulation unseres Unbewussten.“ Dennoch: Der Komponist des „Parsifal“ wollte eine spirituelle, beinahe religiöse Erfahrung erzeugen: „Deshalb ist die Musik hier so meditativ, es sind beinahe hypnotische Sounds. Und deshalb ist die Musik so langsam.“

Die Oper und ein fundamentaler Widerspruch

Die Musik an sich bleibt für Hermanis auch bei seiner zehnten Regiearbeit auf der Opernbühne das große Faszinosum - und zugleich Mysterium. „Es ist eigentlich unnatürlich, Musik und Theater zu kombinieren“, so der Regisseur: „Theater ist eine visuelle Sache. Musik geht ans Ohr. Die zwei Organe, Auge und Ohr, stehen im Widerspruch.“ Musik sei eine abstrakte Materie, alles, was für das Auge gemacht werde, wirke dagegen sehr real. Für ihn gibt es wenige „Momente, in denen man diese zwei Medien zusammenbringen kann - aber normalerweise funktioniert das nicht“. Ob Hermanis mit seiner Inszenierung so einen magischen Moment erwischt, darf ab Donnerstag an der Wiener Staatsoper begutachtet werden.

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