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Ein Regisseur und sein „Film ohne Namen“

Dass jeder Film ein Thema braucht, hat Michael Glawogger immer mehr gestört. Als „reisender Filmemacher“ bezeichnet zu werden war ihm recht. Für sein letztes Projekt brach er in die weite Welt auf - für einen geplanten „Film ohne Namen“, als Bildersammler, offen für alles. Seine Cutterin Monika Willi hat versucht, mit „Untitled“ dem viel zu früh verstorbenen Regisseur gerecht zu werden.

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Lkws, die Tonne um Tonne Müll von den Ladeflächen kippen, irgendwo in der Wüste, wo schon Mengen von Menschen und Ziegen darauf warten, aus den verwertbaren Resten das Beste einzusammeln, was zwischen Verpackungen, Kanistern, Dosen und Undefinierbarem zu ergattern ist. Es sind Bilder wie diese (eingefangen von Kameramann Attila Boa), die in ihrer Machart sofort an die Handschrift von „Workingman’s Death“ oder „Megacities“ denken lassen, zwei renommierte Glawogger-Dokus aus der Arbeitswelt, wie sie normalerweise nicht zu sehen ist: als choreografierter Überlebenskampf.

Zwei Burschen raufen um die begehrtesten Stücke frisch abgeladenen Mülls, gleich daneben nehmen sich zwei Ziegen aus dem gleichem Grund auf die Hörner. Irgendwo in Afrika muss das sein, wo genau, zeigt der Film nicht. Abrupt wechselt der Schauplatz nach Europa, Albanien vielleicht oder Serbien: Die Kamera verfolgt einen großen Hund auf einer Dorfstraße, Schneereste ringsum, ein Mann in Flecktarn führt den Hund an der Leine. Wo will er hin? Dann der dichte Nebel, der eine protzige Villa einhüllt. Deren Bewohner blitzen kurz auf – und wirken ob ihrer wenig luxuriösen Aufmachung in den steril-goldenen Zimmern völlig deplatziert.

Ein Film, „der nicht zur Ruhe kommt“

Michael Glawogger träumte davon, einen Film zu machen, „der nicht zur Ruhe kommt“. Das hat er in einem Blog für die „Süddeutsche Zeitung“ geschrieben, im Wochenrhythmus, während seiner Reise von Pitten in Niederösterreich, seiner Heimat, über Ungarn, Italien, Serbien, Albanien bzw. über Marokko nach Sierra Leone und weiter. Dieser Wunsch nach Unruhe ist nun im düsteren Soundtrack von Wolfgang Mitterer Wirklichkeit geworden: Chorgesang, elektronisches Pluckern, verfremdete afrikanische Rhythmen – eine unheilvolle Untergangsstimmung liegt über weiten Teilen von „Untitled“.

Glawogger zeigt riesige Eselmärkte, Ringer, die sich im Lendenschurz in einer Wüstenarena gegenüberstehen, Nachtmärkte mit drogengeschwängerten Männern und Frauen, die sich in Trance tanzen oder im Akkord Wasserkanister kilometerweit durch dichte Verkehrsströme bugsieren. Immer wieder fällt der Strom aus, und nur das gespenstisch fahle Licht Tausender Handybildschirme und Batterieleuchten liegt über der Stadt. Grandiose Glawogger-Bilder.

Bilder, als wäre die Kamera gar nicht dabei

Die Frage, ob Michael Glawogger mit der Art und Weise, wie Monika Willi seine Bilder montiert und zu „Untitled“ zusammengefügt hat, einverstanden gewesen wäre, wird keiner mehr beantworten können. Die Sprünge zwischen Balkan und Afrika etwa, zwischen elementarer Armut und der unausgesprochenen Präsenz des Krieges, die noch über einem serbischen Dorf liegt.

Wieder einmal gelingt es dem Filmemacher in diesem Essay, mittendrin zu sein, und alle, die er bei ihren Aktivitäten (oder ihrer Lethargie) zeigt, wirken, als wäre die Kamera überhaupt nicht da. Da ist sie wieder, die Grenzüberschreitung zwischen Doku und Inszenierung, die Glawogger so faszinierend gut von der Hand ging – weil er sie gar nicht als solche begriffen hat.

Filmhinweis

„Untitled“ läuft auf der Diagonale am 28. März um 21.00 Uhr im UCI Annenhof und am 1. April um 13.30 Uhr im KIZ Royal.

Offizieller Kinostart ist am 31. März.

Nicht immer sind die Auszüge aus Glawoggers Reiseblog, die der Filmemacher gern in der dritten Person über sich verfasste, so erhellend wie seine Bilder. Birgit Minichmayer liest die Texte im Off. Manchmal wirken sie ein wenig süßlich. Manchmal jedoch beunruhigend prophetisch: So, wenn Glawogger einen Ort auf der Welt suchte, wo er verschwinden könnte, ohne je gefunden zu werden. In der vom Bürgerkrieg gezeichneten Stadt Harper in Liberia glaubte er, ihn gefunden zu haben. In Liberia ist Michael Glawogger am 22. April 2014 im Alter von 54 Jahren an Malaria gestorben.

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