Pakt verursacht „immenses Leid“
Vor einem Jahr ist zwischen der EU und der Türkei der Flüchtlingspakt vereinbart worden. Das Ziel: Flüchtlinge davon abzuhalten, in überfüllten Booten die gefährliche Reise von der türkischen Küste zu den griechischen Inseln anzutreten. Seither hat die Zahl der Flüchtlinge nach Griechenland stark abgenommen. Dennoch ist das Abkommen umstritten - vor allem Hilfsorganisationen kritisieren den Deal.
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Die Vereinbarung verursache „immenses menschliches Leid“, stellen die Organisationen Oxfam, das International Rescue Committee (IRC) und der Norwegische Flüchtlingsrat (NRC) in einem gemeinsamen Bericht fest, der am Freitag veröffentlicht wurde. Der Pakt dürfe nicht als Vorlage für weitere Abkommen mit anderen Ländern dienen, heißt es in dem Bericht, für den die Organisationen auf den griechischen Inseln unter anderen Rechtsanwälte und Asylwerber befragten.
Fluchtgründe werden nicht geprüft
Dabei habe sich gezeigt, dass Schutzbedürftige „inakzeptablen Lebensbedingungen ausgesetzt“ seien und ihr Recht auf ein faires Asylverfahren nicht wahrnehmen könnten. Bei dem EU-Türkei-Abkommen stehe die Frage im Vordergrund, ob die Geflüchteten von den griechischen Inseln in die Türkei zurückgeschickt werden können oder nicht. Es werde aber nicht geprüft, aus welchen individuellen Gründen die Betroffenen geflüchtet seien. Das sei aber zwingend, um sie davor zu schützen, in Gefahrenzonen zurückgeschickt zu werden.

APA/AFP/Louisa Gouliamaki
Rettungswesten, die von Flüchtlingen auf der griechischen Insel Lesbos zurückgelassen wurden
Kritisiert wird in dem Bericht auch, dass die Flüchtlinge den komplizierten Asylprozess ohne rechtlichen Beistand durchlaufen müssten. Es bestünden überdies Zweifel an der Kompetenz der Fachkräfte, die von der EU zur Entlastung der griechischen Behörden eingesetzt würden. Der IRC-Landesdirektor in Griechenland, Panos Navrozidis, sprach von einem „Roulettespiel mit den Leben besonders schutzbedürftiger Menschen“.
„Gefährlicher Präzedenzfall“
Es handle sich um „ein aussichtsloses Unterfangen für diejenigen, die am dringendsten Schutz und Aufnahme in Europa benötigen“. Die Oxfam-Landesdirektorin in Griechenland, Nicola Bay, sagte, Europa habe „einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen“. Es sei zu befürchten, dass andere Länder „ihre Verantwortung, für internationalen Schutz zu sorgen, ebenfalls abwälzen“.
Im Zentrum des zwischen der EU und der Türkei vereinbarten Flüchtlingsabkommens steht ein Tauschhandel: Die EU darf alle Schutzsuchenden, die seit dem 20. März 2016 illegal auf die griechischen Inseln übergesetzt sind, in die Türkei zurückschicken. Ausgenommen sind Asylwerber, die nachweisen können, dass sie in der Türkei verfolgt werden. Für jeden zurückgeschickten Syrer darf seit dem 4. April 2016 ein anderer Syrer aus der Türkei legal und direkt in die EU einreisen.
Pakt gegen Menschenschlepperei
Das soll Migranten von der Überfahrt nach Griechenland abschrecken und Menschenschmugglern das Handwerk legen. Die EU hat sich bereiterklärt, über diesen Mechanismus bis zu 72.000 Syrer aufzunehmen. Sie hat im Rahmen des Flüchtlingspaktes außerdem drei Milliarden Euro bereitgestellt, damit die Türkei die Lebensbedingungen von geflüchteten Syrern im eigenen Land verbessert. Weitere drei Milliarden Euro hat die EU in Aussicht gestellt.
Die EU stellte der Türkei auch in Aussicht, den Türken rascher Visafreiheit zu gewähren, doch gibt es in dieser Frage seit Monaten keine Fortschritte. Dazu müssen jedoch Kriterien erfüllt werden, unter anderem fordert die EU die Reform der Terrorgesetze in der Türkei. Ankara lehnt das jedoch ab. Außenminister Mevlüt Cavusoglu drohte deshalb am Mittwoch, dass das Abkommen aufgekündigt werden könne.
Derzeit würden keine Flüchtlinge von den griechischen Inseln zurückgenommen, so Cavusoglu. Die Rückführung der Flüchtlinge in die Türkei lief bisher ohnehin nur stockend. Nach jüngsten Zahlen der EU-Kommission waren seit April 2016 rund 900 Menschen aus Griechenland in die Türkei zurückgebracht worden. Knapp 3.800 Syrer aus der Türkei sind in EU-Ländern untergekommen, die meisten davon in Deutschland, den Niederlanden und Frankreich.
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