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Wiederholte Drohungen aus Ankara

Die Türkei hat das Flüchtlingsabkommen mit der EU teilweise ausgesetzt. Derzeit würden keine Flüchtlinge von den griechischen Inseln zurückgenommen, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu heute dem Fernsehsender 24 TV.

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Zugleich drohte er mit der vollständigen Aufkündigung des Flüchtlingspakts. Seine Regierung könne das Abkommen jederzeit einseitig beenden. „Von jetzt an können wir sagen: ‚Wir setzen es nicht mehr um, und es ist vorbei‘.“ Cavusoglu warf der EU vor, die in Aussicht gestellte Visafreiheit für türkische Bürger nicht umzusetzen. „Visafreiheit ist ein Muss“, sagte der Außenminister.

Zuletzt hatte die Türkei immer wieder mit der Aufkündigung des Abkommens gedroht. So sagte etwa der türkische Europaminister Omer Celik in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview der Nachrichtenagentur Reuters, nach seiner Meinung sei es an der Zeit, das Abkommen zu überdenken. Die Türkei habe ihren Teil der Verpflichtungen erfüllt. Die EU dagegen habe nicht Wort gehalten. So sei immer deutlicher geworden, dass die EU nicht fair mit der zugesagten Visafreiheit für türkische Bürger umgehe. Es gebe daher keinen Grund, an der Vereinbarung festzuhalten.

Rücknahme in Abkommen vereinbart

Das im März 2016 zwischen EU und Türkei vereinbarte Flüchtlingsabkommen sieht vor, dass Ankara alle auf den griechischen Inseln eintreffenden Flüchtlinge zurücknimmt. Für jeden so abgeschobenen Syrer soll die EU einen syrischen Flüchtling aus der Türkei aufnehmen. Bis Ende vergangenen Jahres wurden rund 1.200 Flüchtlinge von den griechischen Inseln in die Türkei zurückgebracht.

Außerdem sagte die EU Milliardenzahlungen für die Versorgung der syrischen Flüchtlinge in der Türkei zu. Ankara wurde auch in Aussicht gestellt, den Türken rascher Visafreiheit zu gewähren. Allerdings wurde das an Bedingungen geknüpft, welche die Türkei nach Ansicht der EU noch nicht alle erfüllt hat. Unter anderem fordert die EU die Reform der Terrorgesetze in der Türkei. Ankara lehnt das jedoch ab.

„Weder im Interesse Ankaras noch der EU“

Der Initiator des Flüchtlingsabkommens zwischen der Türkei und der EU glaubt unterdessen nicht an eine Aufkündigung des Pakts durch die türkische Führung. Das sei „weder im Interesse Ankaras noch in dem der EU“, sagte der Österreicher Gerald Knaus, Vorsitzender der Europäischen Stabilitätsinitiative (ESI), der deutschen „Welt“ (Donnerstag-Ausgabe).

Die EU habe sich durch das Abkommen auch nicht erpressbar gemacht. „Nichts hindert die EU daran, die Menschenrechtslage in der Türkei zu kritisieren.“ Sollte der Deal aber platzen, dann würde die Lage auf den griechischen Inseln „unhaltbar“, und in dem Land drohe eine „humanitäre Katastrophe“. Knaus forderte den Aufbau europäischer Asylmissionen an Ort und Stelle. Diese sollten innerhalb von vier Wochen entscheiden, ob ein Mensch Asyl bekommt oder nicht.

EU-Spitze über Nazi-Vergleich empört

Die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU sind äußerst angespannt. Auf die Absage von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker in Deutschland und den Niederlanden reagierte Präsident Recep Tayyip Erdogan mit wüsten Beschimpfungen. Er warf den Regierungen in Berlin und Den Haag unter anderem „Nazi-Methoden“ vor. „Von nun an werden Länder, allen voran die Niederlande, die sich der neonazistischen Gesinnung unterwerfen und für ein paar Stimmen menschliche Grundwerte ignorieren, überhaupt keine Glaubwürdigkeit mehr haben“, so der türkische Präsident.

EU-Ratschef Donald Tusk wies diese Anschuldigungen am Mittwoch wiederum brüsk zurück. Schockiert von den Aussagen Erdogans zeigte sich auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

Deutschland droht mit Einreiseverboten

Die deutsche Regierung drohte hingegen offen mit einem Einreiseverbot für türkische Spitzenpolitiker. Deutschland habe die rechtliche Möglichkeit, die Einreise ausländischer Regierungsmitglieder zu unterbinden, sagte der Chef des deutschen Kanzleramts, Peter Altmaier.

„Dass die Bundesregierung bisher nicht ihre völkerrechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, ist keine Freikarte für die Zukunft“, warnte er gegenüber der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ und weiteren Blättern der Funke-Mediengruppe (Mittwoch-Ausgaben). „Ein Einreiseverbot wäre das letzte Mittel. Das behalten wir uns vor.“

Kurz: Nachbarschaftsvertrag statt EU-Beitritt

Unterdessen äußerte Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) erneut seine ablehnende Haltung gegen einen EU-Beitritt der Türkei. Ankara sollte stattdessen durch einen Nachbarschaftsvertrag mit der EU verbunden sein, schlug Kurz in einem Papier vor. Es handelt sich dabei um Vorschläge für eine Position der Bundesregierung anlässlich des österreichischen EU-Vorsitzes im zweiten Halbjahr 2018.

Schärfere Gangart in Türkei-Debatte

Außenminister Kurz fordert nach den Verbalattacken Erdogans eine härtere Gangart gegenüber Ankara. Man solle der Türkei ab sofort keine weiteren Hoffnungen mehr auf einen EU-Beitritt machen, sagte Kurz im ZIB-Interview.

„Es wird Zeit, dass Europa das Verhältnis zur Türkei klärt“, so Kurz. Im Gegensatz zu den Beitrittskandidaten auf dem Westbalkan bewege sich die Türkei „seit Jahren weg von der EU“, heißt es in dem Papier. Der gescheiterte Putschversuch habe diesen Prozess noch beschleunigt. Von „dramatischen Auswirkungen auf Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie“ ist die Rede.

„Konstruktive Beziehungen auf Augenhöhe“

„Der Beitritt dieser Türkei zur EU ist daher undenkbar.“ Gleichzeitig bleibe die Türkei aber ein bedeutender regionaler und wirtschaftlicher Akteur. Sowohl die EU als auch die Türkei hätten ein „Interesse an möglichst engen und konstruktiven Beziehungen auf Augenhöhe“ und auf allen Ebenen. „Sinnvoller als ein starres Festhalten an einer Beitrittsfiktion ist daher ein realistischer Ansatz: ein neuer europäisch-türkischer Nachbarschaftsvertrag“, so der Vorschlag. Österreich hat sich schon öfter für eine privilegierte Partnerschaft zwischen der EU und der Türkei ausgesprochen.

Stimmen in EU-Parlament für Gesprächsstopp

Auch im Europaparlament wurde am Mittwoch erneut der Ruf nach einem Einfrieren der Beitrittsgespräche mit der Türkei laut. „Wir müssen die Verhandlungen auf Eis legen“, forderte der Vorsitzende der liberalen Fraktion, Guy Verhofstadt, während einer Debatte zur Zukunft der EU. Ausgerechnet Erdogan, der in der Türkei ein autoritäres System einführen wolle, nenne einige EU-Staaten faschistisch. „Das ist zynisch“, sagte der ehemalige belgische Regierungschef. Sollte Erdogan „eines Tages wieder vernünftig werden, können wir uns wieder an den Verhandlungstisch setzen“.

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