Carlos Ruiz Zafon hat sich vom Genre- zum Bestsellerautor gemausert und sich dabei auch noch den Respekt der Literaturkritik erschrieben - alles andere als selbstverständlich, gilt doch der historische gleich nach dem Liebesroman als leichteste Kost.
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Zafon versteht etwas vom Verkaufen. Als junger Mann konnte er vom Schreiben noch nicht leben und heuerte deshalb in der Werbung an, wo er recht bald die Hierarchie hinaufkletterte. Den Absprung aus der Branche und auch gleich aus Spanien schaffte er dann durch einen Literaturpreis. In Los Angeles schließlich schrieb Zafon „Der Schatten des Windes“, ein Buch, bei dem er die folgenden drei Teile gleich mitbedacht hatte. Dazu gehört Mut: Mit ein paar tausend Euro nach LA übersiedeln und als völlig unbekannter Autor einen Vierteiler angehen.
APA/AFP/Pau Barrena
Carlos Ruiz Zafon mit seinem neuen Buch - natürlich in einem Antiquariat
Zunächst sah es ganz so aus, als wären der Mut Übermut und der große Plan Größenwahn gewesen. Der Verkauf lief in Spanien nur schleppend an, kein Wunder, war doch das Marketing gleich null. Man wollte in diesen Autor nichts investieren - eine Fehlentscheidung, die der Leser korrigierte, und der Leser hat immer recht. Durch Mundpropaganda verbreitete sich „Der Schatten des Windes“ nach und nach, und im zweiten Jahr des Erscheinens setzte ein regelrechter Schneeballeffekt ein: Das Buch wurde zum Bestseller.
Auf dem Friedhof der vergessenen Bücher
Es folgte die Übersetzung in 36 Sprachen, alles in allem gingen mehr als zehn Millionen Exemplare über die Theken von Buchhandlungen in aller Welt - Buchhandlungen, denen Zafon mit seinen Büchern ein Denkmal setzte. Denn im Zentrum des Vierteilers stehen eine Buchhändlerfamilie und der verwunschene, versteckte, verwinkelte Friedhof der vergessenen Bücher. Und Bücher sind auch die Dreh- und Angelpunkte der verschachtelten Handlung.
Ein Buch ist hier nie nur ein Buch, sondern immer auch Kulminationspunkt von Intrigen, Verrat, schwelendem Hass, Missverständnissen, Schicksalsschlägen, verschmähter Liebe, gekränkter Eitelkeit und Rache. Daniel Sempere, sein Freund Fermin, jetzt im letzten Teil Alicia und Vargas, sie huschen wie Schatten über das nach dem Regen dampfende Kopfsteinpflaster des verwinkelten, heruntergekommenen Altstadtviertels Raval, meist mit einem Buch unter dem Arm und einer ganzen Armada von Verfolgern im Nacken.
Eintauchen ins alte Barcelona
Die Zusammenfassung der Handlung der vier Bände ist dazu angetan, jegliche Vorurteile über historische Romane zu bestätigen. Sie ist kompliziert, mutet hanebüchen an und Zafon scheint allzu sehr auf billige Effekthascherei zu setzen. Doch hier kommt die Kunstfertigkeit des Autors zum Tragen: Seine Romanreihe über die Literatur ist so gesättigt vom absoluten Glauben an die Macht des Wortes, dass man als Leser selbst dem Zauber der Wörter erliegt. Form und Inhalt korrespondieren hier in Vollkommenheit.
Die Charaktere sind belesen und räsonieren über Meisterwerke der Weltliteratur, und Zafon drechselt die Dialoge und furiosen Monologe über große Themen wie die Liebe, den Hass und das Schicksal mit einer antiquierten Meisterschaft, die sich ganz in das Setting seiner Buchreihe einfügt. Man ist da mitten drin in diesem Barcelona von damals, und fühlt sich als Teil der belesenen, verschrobenen, schrulligen, liebens- und hassenswerten Truppe, der Zafon alles antut, was man sich nur vorstellen kann und noch ein bisschen mehr.
Schuld und Sühne
So ist es auch im letzten Band, „Das Labyrinth der Lichter“. Francos Bildungsminister Valls wird entführt - offenbar aus Rache für all die Folterungen Andersdenkender, für die er als ehemaliger Gefängnisdirektor verantwortlich zeichnete. Oder geht es den Kidnappern um die geheimnisvolle Buchreihe eines gewissen Victor Mataix, von der man ein längst verschollen geglaubtes Exemplar in einem Geheimfach von Valls Schreibtisch entdeckt hat? Hängt am Ende alles zusammen?
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Die Behörden setzen eine geheime Sondereinheit auf den Fall an, der Alicia angehört, die im Grunde ihres Herzens gütig ist, die aber eine ganze Reihe an Zumutungen des Lebens schon früh zur Zynikerin gemacht hat. Gemeinsam mit dem alten Hasen Vargas macht sie sich auf die Suche nach Valls und landet dabei schon bald in der Buchhandlung von Daniel Sempere. Im letzten Band kommt zusammen, was zusammengehört: das ganze Personal von Zafons literarischer Schnitzeljagd - und die roten Fäden der vier Bücher.
Ein „Muss“ trotz Hängern
Nach einem furiosen Einstieg, der den Leser atemlos zurücklässt, ließ Zafon die Zügel allerdings etwas schleifen, „Das Labyrinth der Lichter“ ist ihm dramaturgisch etwas weniger zwingend, etwas weniger durch die Handlung peitschend gelungen als die Vorgängerwerke. Man versinkt auch diesmal in der Bücherwelt des alten Barcelona und saugt die mysteriöse Stimmung in sich auf, man freundet sich auch diesmal mit den Charakteren an.
Aber sagen wir so: Wäre „Das Labyrinth der Lichter“ der erste Teil gewesen, wäre Zafon wohl nicht als das literarische Phänomen wahrgenommen worden, als das er heute gefeiert wird. Nichtsdestotrotz verspricht das Buch viel Lesevergnügen - und für Fans, die schon die ersten drei Teile gelesen haben, ist es sowieso ein kategorisches „Muss“. Am Ende fällt der Abschied schwer. Aber wer weiß, was Zafon schon wieder ausbaldowert, in welche Welten er seine Leser in Zukunft verschleppt.