Märchenklassiker neu verfilmt
Die Figur der Belle hat als erste feministische Disney-Prinzessin die Darstellung von Frauen im Kino revolutioniert. Klar, dass für ihre Verkörperung in der Realverfilmung „Die Schöne und das Biest“ keine andere infrage kam als Emma Watson. ORF.at traf den Star und ihre Kollegen zu Interviews in London.
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Sie gilt als Disneys erste feministische Heldin: Belle aus dem Animationsklassiker „Die Schöne und das Biest“ von 1991. Dahinter steckt weniger glückliche Fügung als beinhartes Kalkül. Jeffrey Katzenberg persönlich, damals CEO der Disney-Animation, ordnete den feministischen Twist an. Und beauftragte damit die Newcomerin Linda Woolverton, eine von der Frauenbewegung der 70er Jahre inspirierte Feministin, als Autorin. Als Vorbild diente ihr Katherine Hepburns Performance als Jo March in „Little Women“.

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Emma Watson als Belle im Ballsaal des Schlosses des Biests. Ihr Kleid: ein Traum in Gelb.
Belle sollte die Wende in Disneys Damenwelt einläuten, war insbesondere als Kontrapunkt zu Arielle konzipiert und ebnete den Weg für künftige, starke Frauenfiguren. Passive Prinzessinnen wie Cinderella und Schneewittchen mussten Kämpferinnen weichen: Mulan, Pocahontas und Merida wurden en vogue. Innerhalb des Disney-Universums dominieren heute selbstbestimmte Frauenfiguren, aber auch abseits davon, wie die Heroin Katniss Everdeen aus „Die Tribute von Panem“ eindrucksvoll vorexerziert.
Mutter aller Disney-Emanzen
Der Film selbst wurde zum Kassenschlager und errang zwei Oscars. Als erster Animationsfilm war er in der Kategorie „Bester Film“ nominiert, schaffte den Sprung auf die Musicalbühne. Die eingängigen Songs von Alan Menken erklangen nach 13 Jahren am Broadway in 20 Ländern. Die aktuelle Realverfilmung stellte schon vor dem Start neue Rekorde ein. An nur einem Tag hatte der Trailer 91,8 Millionen Views, was selbst die Abrufzahlen für den Teaser des neuen „Star Wars“-Films übertraf. Die Ticketvorverkaufszahlen deuteten auf den besten März-Start aller Zeiten hin.
Das alles überstrahlt der Star des Films. Keine andere hätte die Belle besser verkörpern können. Regisseur Bill Condon: „Ihre Intelligenz, ihr Aktivismus, die Liebe zu Büchern und der Umstand, dass sie ein zeitgenössisches weibliches Role Model ist - all das war ungemein wichtig für die Rolle, die einst wegweisend war. Obendrein ist Emma eine wunderbare Schauspielerin. Und singen kann sie auch!“ Dass Watson als Kind das Märchen auf Band hörte, bis dieses zerriss, schloss für ihn einen Kreis: „Vielleicht hat die Story sie zu jener starken Frau gemacht, die sie heute ist: eine Feministin des 21. Jahrhunderts.“
Heldin rettet den Prinzen
Die Rolle der Belle sei, so der Star im Interview mit ORF.at, mit ihrem feministischen Engagement kompatibel: „Es gibt viele Ikonen, die Teil der modernen Kultur sind, die sehr zerstörerisch auf die weibliche Integrität wirken. ‚Die Schöne und das Biest‘ zählt nicht dazu. Belle war Disneys erste feministische Figur. Sie war als Abschied von den typischen Disney-Frauenfiguren gedacht: Disneys abtrünnige Prinzessin.“
Den Einwand weniger Wohlwollender, die Story würde Gewalt gegen Frauen tolerieren, will Watson nicht gelten lassen. Und ortet bei derlei Interpretationen ein grundlegendes Missverständnis für die Grundbotschaft des Narrativs des Märchenklassikers: Den dürfe man nicht unter einem Genderaspekt beurteilen. Vielmehr ginge es bei Belle um einen Menschen, der hinter die Fassade des vermeintlichen Biests blicke und im Herzen das Gute erkenne. Es gehe um Vorurteile, und wie wir sie überwinden können.

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Die Schöne (Watson) und das Biest (Dan Stevens). Belle sieht das gute Herz hinter der monströsen Fassade
Welche Botschaft will sie jungen Mädchen vermitteln? „Du hast Power! Du brauchst keinen Mann wie Gaston zur Selbstbestätigung. Dein Schicksal hängt von dir ab: Bleib dir treu. Sei neugierig, sei forschend. Lerne und ermächtige dich selbst, so gut du nur kannst.“
Narzisst mit politischer Brisanz
Luke Evans, im Film als Gaston zugange, assistiert: „Disneys Schneewittchen musste für zwölf Zwerge kochen und schnarchte dann im Wald vor sich hin, bis sie wachgeküsst wurde. Diese Frauenfiguren waren sehr passiv. Dann kam die clevere, belesene Belle, die Ambitionen zeigte, und Selbstvertrauen.“ Der Lerneffekt sei genderübergreifend: „Ob Bub oder Mädchen: Du lernst, an die Möglichkeit zu glauben, dir deine Träume erfüllen zu können.“ Belle hätte jedoch die Rollen vertauscht: „Es ist Belle, die den Prinzen rettet, nicht umgekehrt - sie ist eindeutig die Heldin.“
Dan Stevens, derzeit in dem psychotropen Serienwunderwerk „Legion“ im TV zu sehen, gibt im Film stimmgewaltig Belles libidinösen Widerpart, das Biest. Auch er schätzt die Relevanz des Stoffes: „Wir lieben die alten Märchen voll innerer Wahrheiten. Es bietet einige große Themen, die immer relevant sind, auch für unser modernes Leben.“
Sein Gegenspieler Gaston, der Bösewicht des Films, spiegle das aktuelle politische Klima wider, wie Evans meint: „Er ist ein arroganter, egozentrischer Narzisst, der Frauen nicht respektiert, auch nicht, wenn sie Nein sagen. Das ist gefährlich. Mit seinem Riesenego manipuliert er auch die Massen. Er ist clever und spielt mit der Angst der Dorfbewohner vor dem Biest. Ich möchte nicht politisch werden, aber das ist wohl eindeutig, wen Gaston repräsentiert“, so Evans, der auf die aktuelle US-Präsidentschaft anspielt.
Zeitgeist-Upgrade
Die Story orientiert sich wie der Animationsfilm am französischen Volksmärchen. Die belesene Belle (Watson) lebt mit ihrem exzentrischen Vater (Kevin Kline) in einem kleinen Dorf, träumt von Abenteuern und der großen Welt. Die Avancen des eitlen Dorfgecken Gaston (Evans) ignoriert sie konsequent. Als ihr Vater in die Gefangenschaft des ruppigen Biests (Stevens) gerät, begibt sie sich im Austausch für den Gefangenen selbst auf das Schloss der Kreatur.
Die mit hohem emotionalem IQ Gesegnete merkt schnell, dass hinter der Fassade mehr steckt: Auf dem verzauberten Prinzen lastet ein Fluch, den nur die wahre Liebe brechen kann. Das liebenswerte Hauspersonal, das zu Hausrat verhext wurde, assistiert. Zum Showdown kommt es, als Gaston die Dorfbewohner zum Kampf gegen das Biest aufhetzt.

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Disneys Trickfilmklassiker aus den Neunzigern: Romantik, Dramatik und unvergessliche Songs
Die Realverfilmung ist optisch und akustisch opulent, farbenprächtig und sehr nah am animierten Original. Ein dezentes Zeitgeist-Upgrade inklusive einiger „gay gags“, die schon vor Start für Erregung und Boykottaufrufe bei Konservativen in Russland und den USA sorgten, ergänzt das Material. Ein rundum gelungenes Hochglanzfilmfeuerwerk mit viel Esprit und einer Prise Tiefgang, dem die vorwiegend positiven Kritiken hohe Sympathiewerte attestieren.
Musicals in Mode
Glaubt der Filmkomponist, der seinem legendären Werk in der aktuellen Version auch neue Songs hinzufügte, nach den Oscars für „La La Land“ an einen neuen Trend zum Musical? Menken: „Es ist immer Hoch-Zeit für Musicals - bis eines floppt. Dann kehrt wieder eine Zeit lang Ruhe ein. ‚La La Land‘ ist eine Hommage an das alte Hollywood und seine Musicals. Und Musicals sind definitiv starke Medien. Warum glauben Sie, habe ich damit acht Oscars gewonnen? Die Menschen lieben Musicals, sie bieten ein kollektives Vokabular, das wir alle teilen.“
Wien, das er von zahlreichen Besuchen kenne und liebe, hält er übrigens für einen weltweiten „Musical-Hotspot“. Das Raimundtheater sei ihm von der Bühnenpremiere von „Die Schöne und das Biest“ 1995 noch in bester Erinnerung.
Links:
Nadja Sarwat, für ORF.at, aus London