Baustellen und Bewusstseinsbildung
Im Jahr 1817 hat der deutsche Erfinder Karl Drais in Mannheim die erste Ausfahrt mit seinem Laufrad unternommen, dem Vorgänger des Fahrrads. 200 Jahre später ringt der Geburtsort des Zweirads immer noch damit, zu einer fahrradfreundlichen Stadt zu werden.
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Bereits 2010 wurde in der 300.000-Einwohner-Stadt ein 21-Punkte-Programm für mehr Radverkehr beschlossen. Nun soll das 200-jährige Jubiläum der Erfindung von Drais’ Laufrad den nötigen Anstoß geben, damit das Programm nicht auf halber Strecke stecken bleibt: „Monnem Bike – wo alles begann“ heißt das Jubiläumsjahr - auch wenn der Forstbeamte und Erfinder Drais gar nicht aus „Monnem“ stammte, sondern aus Karlsruhe.
Jahrzehntelange autogerechte Planung
Viele Kriegsschäden haben die alte Residenzstadt in Baden-Württemberg in Mitleidenschaft gezogen, jahrzehntelang regierte auch hier die autogerechte Stadtplanung. Dass das nun anders werden soll, davon zeugen zahlreiche Baustellen im Stadtbild, wo Arbeiter Kreuzungen entschärfen, Einbahnstraßen für Fahrradverkehr in Gegenrichtung öffnen, neue Markierungen auftragen, Gehsteige verbreitern oder dem Autoverkehr Fahrspuren wegnehmen.
Einfach war das – wie auch in Städten wie Wien immer wieder zu sehen ist – auch in Mannheim nicht. Erregte Bürger und der Handel befürchteten Staus, weniger Parkplätze und Umsatzeinbußen. Doch Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz blieb bei seinem Kurs, seine Stimme im Gemeinderat war in einer denkbar knappen Entscheidung die ausschlaggebende, um Mannheims 21-Punkte-Programm weiterzuführen: „Das Jubiläum ist ein wichtiger Meilenstein auf unserem Weg zu einer fahrradfreundlicheren Stadt“, so Kurz. „Strategisches Ziel ist die Steigerung des Radverkehrsanteils auf 25 Prozent im Jahr 2020.“
50 Prozent Lückenschlüsse in fünf Jahren
Für 2016 und 2017 stehen dafür zehn Millionen Euro und sechs Mitarbeiter zur Verfügung, die von der Stadtplanung kommen und sich nun in der „Geschäftsstelle Radjubiläum“ - griffig „Monnem Bike“ betitelt - darum kümmern, dass Baustellen und Bewusstseinsbildung in Mannheim vorankommen. Mannheims 250 Kilometer umfassendes Radwegenetz konnte an zahlreichen Stellen bereits verbessert bzw. entschärft werden, neuralgische Punkte gibt es aber weiterhin. In den vergangenen fünf Jahren wurden 50 Prozent der Lückenschlüsse im Radwegering um die Innenstadt herum geschlossen, so „Monnem Bike“-Mitarbeiter Peter Roßteutscher gegenüber ORF.at.
Insbesondere in der Ausfallstraße vom Schloss, das heute die Universität beherbergt, sind die Änderungen sichtbar. Auf der breiten Busspur können Radler nebeneinander fahren, an Kreuzungen wurden Fahrradampeln installiert und Haltelinien für den Radverkehr wegen besserer Sichtbarkeit vorgezogen. „Wir hatten hier zwei tödliche Fahrradunfälle in den letzten Jahren“, sagte Roßteutscher.
22 Kilometer, 15 Stundenkilometer
Am Schloss beginnt auch die Drais-Route, die der Erfinder am 12. Juni 1817 mit seiner Laufmaschine nahm: Die jeweils sieben Kilometer für den Hin- und Rückweg schaffte Drais auf seinem 22 Kilogramm schweren Holzgefährt in einer knappen Stunde. Durchschnittsgeschwindigkeit: 15 Stundenkilometer.

Technoseum
Drais präsentiert seine bedeutendste Erfindung: die Laufmaschine oder Draisine
Heute entspricht die ausgeschilderte Route nicht mehr vollständig der durchgängig befestigten Chaussee, die der vom Dienst freigestellte Forstbeamte Drais seinerzeit benutzte. Immerhin erinnert seit 2003 aber ein Denkmal in Form eines stilisierten Laufmaschinenrahmens an Drais’ bedeutendste Erfindung.
Vom Laufrad zum modernen Fahrrad
Bis sich das Fahrrad durchsetzen konnte, waren einige Hürden zu nehmen: Befestigte Straßen waren nötig, denn die Obrigkeit untersagte den „Draisinenreitern“, auf dem Gehsteig zu fahren. Endlich trauten sich die Menschen, ihre Füße dauerhaft vom Boden zu nehmen, um balancierend - per Tretkurbel - voranzukommen. Hochräder kamen auf, mit überdimensionalem Vorderrad, dessen Pedale am Vorderrad montiert waren. Gefährliche Stürze waren die Folge, das Gerät war schwer zu steuern.

Deutsches Fahrradmuseum Bad Brückenau
Das Fahrrad als Massenverkehrsmittel, Autos sind in der Minderheit
Vorder- und Hinterrad wuchsen wieder auf gleiche Größe. Die Rahmen wurden leichter, die Federung des Sattels komfortabler, Rücktrittbremsen sorgten für mehr Sicherheit. In den Metropolen – in London und Paris, wo die Entwicklung des Fahrrads schnell vorangetrieben wurde - wurde es um 1870 Mode, das „bicycle“ zu nehmen. Der Aufstieg des Fahrrads dauerte bis in die 1950er Jahre, als dann das Auto zum Massenprodukt wurde und die Stadtplanung vielerorts an den Pkw-Verkehr angepasst wurde. In den vergangenen Jahren setzte ein Umdenken ein - die Umsetzung bleibt aber, wie am Beispiel Mannheim zu sehen ist, schwierig.
Vorbild Niederlande
In der engen Innenstadt Mannheims sind bereits mehrere Fahrradstraßen ausgewiesen, sieben weitere sollen folgen – Spielstraßen, in denen die schwächeren Verkehrsteilnehmer immer Vorrang haben. Allmählich gewöhnten sich die Mannheimer daran, dass Radler in Einbahnstraßen in Gegenrichtung unterwegs sind, sagte Roßteutscher, und führt das auf den Critical-Mass-Effekt zurück. Sprich: Mittlerweile nutzen ausreichend viele Stadtbewohner das Fahrrad, sodass sich auch Autofahrer daran gewöhnt haben.
Unabhängig vom Veranstaltungsprogramm „Monnem Bike“ wird intensiv über eine Fahrradschnellstrecke zwischen Mannheim, Heidelberg und darüber hinaus nachgedacht, sagt Peter Roßteutscher - 35 Kilometer Schnellweg nach niederländischem Vorbild. Eine Machbarkeitsstudie ist im Auftrag. Bleibt abzuwarten, was von den zehn Millionen Euro Etat zum Jahresende noch übrig ist und wo sich Mannheim Zuschüsse holen kann.
Links:
Alexander Musik, für ORF.at