Neuübersetzung: Poe als Prophet des Untergangs
Er gilt als Urvater der Schwarzen Romantik. Doch der amerikanische Schriftsteller Edgar Allan Poe (1809-1849) war mehr als ein Träumer: Eine Neuübersetzung seines Gesamtwerkes, deren erster Band morgen im dtv-Verlag erscheint, entdeckt den amerikanischen Exzentriker als modernen Propheten des Untergangs neu.
Enthalten in „Unheimliche Geschichten“, dem ersten von insgesamt fünf Bänden, ist unter anderem Poes 1841 erschienene Kurzgeschichte „Der Doppelmord in der Rue Morgue“. Ihre Hauptfigur, der intellektuelle Spurenleser C. Auguste Dupin, hat Arthur Conan Doyle zu seinem berühmten Detektiv Sherlock Holmes inspiriert: „Wenn jeder, der seine Einfälle Poe verdankt“, so Conan Doyle, „den zehnten Teil seiner Einnahmen opfern müsste, könnte diesem ein Denkmal errichtet werden, das größer ist als die Pyramiden.“ Tatsächlich starb Poe mit nur 40 Jahren verarmt und nahezu vergessen in Baltimore.

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Schon als Kind vertraut mit dem Tod
Krankheit und Tod begleiteten den Schriftsteller schon seit frühester Kindheit. Nach dem ungeklärten Verschwinden des Vaters und dem Tod der Mutter wurde der Zweijährige in einer Pflegefamilie untergebracht. Eine frühe Jugendliebe starb in geistiger Umnachtung, Poes erste, blutjunge Ehefrau an Tuberkulose, und der Bruder trank sich zu Tode.
Diese Erfahrungen mit dem letzten Aufbäumen des Körpers vor dem Zerfall verarbeitete Poe in der schwarzen Groteske „Die Fakten im Fall von M. Valdemar“, die ebenfalls im ersten Band der Neuübersetzung enthalten ist. Ein mit Maschinen künstlich am Leben erhaltener Körper rapportiert darin den eigenen Tod: ein ahnungsvoller Vorausblick auf die Hybris moderner Medizin.
Ein Meeresstrudel als Bild für die Krise
Eine weitere apokalyptische Vision liefert die in der Neuübersetzung „Ein Sturz in den Malstrom“ betitelte Kurzgeschichte „A Descent into the Maelström“: Ein Greis beschreibt darin einen gigantischen Meeresstrudel, dessen Sog er nur entrinnt, indem er die Gesetze der Schwerkraft beobachtet - und dem Mitgefühl seinem ertrinkenden Bruder gegenüber entsagt. Eine durchaus bittere Krisenparabel, die das Ende der Menschlichkeit voraussagt.
Poe selbst suchte im Rausch Zuflucht vor den Härten des Alltags, trug Brillen mit farbigen Gläsern, trank reichlich und nahm Opium - mit ein Grund dafür, dass ihn die puritanische Ostküstengesellschaft ablehnte und ihm den großen Ruhm zu Lebzeiten versagte.
Erst der Pariser Lyriker Charles Baudelaire verhalf dem amerikanischen Kollegen postum zu Bekanntheit, indem er ihn ins Französische übertrug. Baudelaires enthusiastische Texte über Poe finden sich ebenfalls im Anhang der deutschen Neuübersetzung von Andreas Nohl, die sich an der Baudelaire’schen Poe-Ausgabe von 1856 bis 1865 orientiert. (mcke, für ORF.at)