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Deutschland und Türkei auf Konfrontation

Die Türkei droht Deutschland nach dem Verbot von Wahlveranstaltungen von türkischen Ministern mit Konsequenzen. „Wenn nötig, werden wir eine Antwort in jeder Weise geben“, sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Freitag in Ankara. Die deutsche Regierung wies die Vorwürfe zurück.

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Auslöser des diplomatischen Zerwürfnisses ist das Verbot der Auftritte von Justizminister Bekir Bozdag im baden-württembergischen Gaggenau sowie von Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci in Köln. Sie wollten, wie bereits Ministerpräsident Binali Yildirim Mitte Februar in Oberhausen, vor türkischem Publikum für das am 16. April geplante Verfassungsreferendum werben.

Bozdag selbst nannte die Absage seines Auftritts in Baden-Württemberg ein „faschistisches Vorgehen“. Berlin wolle keine „starke Türkei“, folgerte Cavusoglu. Er hatte Deutschland vor Konsequenzen der Absagen gewarnt: „Wenn Sie mit uns arbeiten wollen, müssen Sie lernen, wie Sie sich uns gegenüber zu verhalten haben“, sagte er.

Widerstand auch in Niederlande

Nicht nur in Deutschland sorgt der Wahlkampf unter Auslandstürken für Widerstand: Die niederländische Regierung sprach sich gegen einen Wahlkampfauftritt Erdogans in Rotterdam aus. Man werde Ankara darüber informieren, dass das ein „unerwünschter“ Schritt sei. In den Niederlanden selbst findet am 15. März eine Parlamentswahl statt, bei der der Rechtspopulist Geert Wilders laut Umfragen stark dazugewinnen dürfte.

Neuer Wahlkampfauftritt bringt weiteren Ärger

Zeybekci kündigte an, seine Wahlkampfbemühungen in Deutschland fortzusetzen. Er wollte am Sonntag in Frechen bei Köln vor Anhängern der Regierungspartei AKP sprechen, der Betreiber der Halle verweigerte dem Minister aber den Auftritt unter Berufung auf eine Klausel, nach der politische Veranstaltungen in seinem Lokal ausgenommen seien.

„Ich werde am Sonntag wieder nach Deutschland reisen“, hatte Zeybekci noch vor der Absage gesagt. „Ich werde die mir befohlene Reise antreten, und wir sagen, der Sieg ist Allahs. Wenn wir sehen, dass sie uns wieder keine Erlaubnis geben, werde ich von Kaffeehaus zu Kaffeehaus, von Haus zu Haus gehen und unsere Mitbürger trotzdem treffen“, so der Wirtschaftsminister.

Merkel verweist auf kommunale Entscheidung

Die Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, die Entscheidung über solche Versammlungen liege in Deutschland auf der kommunalen Ebene und nicht bei der Regierung. Sie kritisierte zudem erneut die Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei im Zusammenhang mit der Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel. Gerade deshalb sei die Betonung wichtig, dass in Deutschland diese Rechte uneingeschränkt gelten würden.

Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel bemühte sich um Schadensbegrenzung. „Es macht Sinn, miteinander das Gespräch zu suchen. Auch wenn es noch so schwierig ist“, sagte Außenamtssprecher Martin Schäfer. Für 8. März ist nach einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu ein Treffen zwischen Gabriel und Cavusoglu geplant. Ein Telefonat am Freitagnachmittag zwischen den Ministern sei „konstruktiv“ verlaufen. Beide Seiten unterstrichen ihren Willen, den Kontakt zu verstärken und einer weiteren Eskalation vorzubeugen, hieß es aus dem Außenministerium in Berlin.

Schreiben des deutschen Justizministers

Der deutsche Justizminister Heiko Maas warnte indes die Türkei im Fall des inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel vor einem „Abbau der Rechtsstaatlichkeit“. In einem Schreiben an seinen türkischen Kollegen Bozdag kritisierte Maas die Inhaftierung Yücels, wie das Justizministerium am Freitag bestätigte.

„Den Umgang mit Herrn Yücel halte ich für unverhältnismäßig, zumal er sich der türkischen Justiz für Ermittlungen freiwillig zur Verfügung gestellt hatte“, schreibt der Justizminister demnach. Die Entscheidung habe ihn „erschüttert“, hieß es in dem Schreiben vom Donnerstagabend, über das zuerst das Magazin „Spiegel“ berichtet hatte.

Van der Bellen: „Auf sehr glattem Grund“

Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck äußerte bei seinem Treffen mit seinem Amtskollegen Alexander Van der Bellen in Berlin seine Sorge über die Entwicklung in der Türkei. Bezüglich der Entscheidung, türkische Politiker nicht in Deutschland auftreten zu lassen, sprach er von einem komplizierten Abwägungsprozess.

Alexander Van der Bellen und Joachim Gauck

APA/AFP/John Macdougall

Die Bundespräsidenten Österreichs und Deutschlands, Alexander Van der Bellen und Joachim Gauck in Berlin

Pointierter formulierte es Van der Bellen. „Immerhin leben 220.000 Österreicher in Deutschland, aber wir sind nicht auf die Idee gekommen, in Deutschland Wahlkampf zu machen“, sagte er. Der türkische Justizminister bewege sich „auf sehr glattem Grund“, wenn er meine, Deutschland schränke die Grund- und Freiheitsrechte ein. „Die Grund- und Freiheitsrechte wurden nicht erkämpft für die Macht eines Ministers, im Ausland Wahlkampf zu machen“, sagte Van der Bellen.

Leverkusen erlaubt Zeybekci-Auftritt

Die deutsche Industriestadt Leverkusen erlaubte unterdessen weiterhin den für Sonntag geplanten Auftritt von Wirtschaftsminister Zeybekci in der Stadt. „Die Veranstaltung wird stattfinden, wir werden sie nicht absagen“, sagte eine Sprecherin der nordrhein-westfälischen Stadt. Zeybekci wird dort bei einer Kulturveranstaltung eines türkischen Vereins zu Ehren eines verstorbenen türkischen Musikers erwartet und soll ein Grußwort sprechen.

Bombendrohung gegen Gaggenauer Rathaus

Nach der Absage des Wahlkampfauftritts des türkischen Justizministers ist das Gaggenauer Rathaus am Freitag wegen einer Bombendrohung geräumt worden. Bürgermeister Michael Pfeiffer ging davon aus, dass die Drohung in Zusammenhang mit der verbotenen Veranstaltung stehe. Ein Sprengkörper wurde allerdings nicht gefunden.

Die Auftrittsverbote stießen auch bei der größten türkischen Oppositionspartei CHP auf Kritik. „Einerseits belehrt Ihr die Welt über Demokratie, andererseits wollen zwei Minister einer Partei sprechen, aber aus diesem oder jenem Grund verbietet Ihr diese Rede. Das finden wir keineswegs richtig“, sagte Kemalisten-Chef und Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu nach Angaben der Nachrichtenagentur DHA.

Durch die Verfassungsreform sollen die Rechte von Präsident Recep Tayyip Erdogan massiv ausgeweitet werden. Kritiker sehen darin eine Gefahr für die türkische Demokratie und verurteilen auch deswegen die Wahlkampfauftritte türkischer Regierungsmitglieder in Deutschland.

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