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Die Biederkeit der Bobos

Doris Knecht im ORF.at-Interview über narzisstische Machos, 50 als Problemalter und die überraschende Biederkeit der Bobos, wenn es ums Fremdgehen geht.

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ORF.at: Nach „Besser“ und „Wald“ ist „Alles über Beziehungen“ wieder aus der Perspektive eines narzisstischen Machos geschrieben - fällt Ihnen das leichter, macht das mehr Spaß?

Doris Knecht: Beides. Bei Frauen bin ich wahnsinnig genau, da ist es mir sehr wichtig, dass die Figuren in jeder Faser stimmen. Bei einem Mann weiß ich, dass ich mich sowieso nicht völlig hineindenken kann - was es im Grunde einfacher macht. Da kann man sich mehr gehen lassen, auch wenn die Männer mitunter gekränkt sind, weil sie sich missverstanden fühlen.

ORF.at: Viktor ist ja kaum ein Sympathieträger - was halten Sie selbst von dieser Figur?

Mich langweilen sympathische Figuren, die alles richtig, alles gut machen. Sowohl meine Männer-, als auch meine Frauenfiguren sind immer gebrochene, gespaltene, schwierige Charaktere, die viele Fehler machen. So wie meiner Meinung nach überhaupt die meisten Menschen. Naja, sagen wir: alle.

ORF.at: Viktor ist knapp 50, hat erste gesundheitliche Probleme, hadert mit seinem Zigaretten-, Drogen- und Alkoholkonsum und hat unzählige Affären: Ist 50 das neue Adoleszenzproblemalter?

Ich habe gerade eine „Falter“-Kolumne geschrieben, in der ich mich darüber beschwere, wie schwierig es ist, 50 zu werden und zu sein. In letzter Zeit bin ich zu vielen 50. Geburtstagen eingeladen. Jeder will das mit einer gewissen Würde oder gewollten Würdelosigkeit hinter sich bringen - aber letztlich ist das Älterwerden einfach deppert.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe ein großartiges Leben mit vielen Freiheiten, ich bin gesund und ich bin sehr dankbar für das alles, ich habe überhaupt keinen Grund zu jammern. Trotzdem: Man fühlt und verhält sich ständig wie 35, weiß aber, man ist es nicht mehr. Ich finde irgendwie das Handbuch für korrektes 50-Sein nicht. Selbst wenn man nicht mehr 25 oder 30 sein will - zu 50 finde ich einfach noch keine Position. Und ich kenne sehr viele Leute, denen es ähnlich geht. Und dem Viktor in meinem Buch eben auch.

ORF.at: In „Alles über Beziehungen“ haben alle Figuren schwierige Beziehungen, und fast ausnahmslos alle betrügen ihre Partner - glauben Sie, dass das tatsächlich so ist?

Nein, das glaube ich nicht. Aber es passiert. Und ich denke, jeder hat so was Ähnliches schon einmal erlebt - von der einen oder von der anderen Seite. Mir fällt auch auf, dass von den Leuten, die den Roman schon gelesen haben, jeder ein anderes Buch gelesen hat: Je nach der eigenen Perspektive, je nachdem, mit welcher Figur man sich am stärksten identifiziert. Ich wollte jedenfalls eine Geschichte erzählen, was das mit unterschiedlichen Menschen macht, wie sie mit so etwas umgehen.

In den Medien ist derzeit Polyamorie ja ein ziemliches Thema: Offenbar findet in unserer Generation und vor allem bei den Jüngeren gerade ein Nachdenken darüber statt, ob monogame Zweierbeziehungen das universell passende Modell für alle sind oder sein müssen. Darum ging es mir auch: Dinge wie die Definition von Moral oder Treue zu hinterfragen. Sich anzuschauen, ob jeder Betrug wirklich einer ist, und aus welcher Motivation, aus welchen persönlichen Gründen heraus Leute nicht im klassischen Sinn treu und monogam sind, sein können oder wollen.

ORF.at: Und was haben Sie da herausgefunden?

Die liberale, offene Weltanschauung von uns Post-68ern und Post-89ern steht eigentlich gar nicht im Einklang mit dem traditionellen katholischen Kleinfamilienprinzip, in dem die meisten von uns groß geworden sind. Wir denken nicht mehr wie unsere Eltern, aber eigentlich leben wir noch immer genau so oder versuchen es. Zumindest die meisten. Gerade in dieser sogenannten Bobogesellschaft gibt es einen starken Hang zum bürgerlichen Kleinfamilienleben: Weil es natürlich eine große Sicherheit und Zuverlässigkeit bietet. Aber auf der anderen Seite findet man immer mehr Leute, denen ihre Freiheit so wichtig ist, dass sie auf diese Sicherheiten lieber verzichten wollen, auf ein scharf geregeltes System, das sie vermeintlich vor Überraschungen schützt. Was es dann letztlich ja nicht tut.

ORF.at: Gegen Ende heißt es, dass wenn es um Affären geht, es „ganz schnell konservativ und reaktionär“ wird.

Ja, erstaunlich. Die Figuren in meiner Geschichte sind Menschen, die sich, wenn möglich, gern an ihre eigenen Regeln halten, für die die Freiheit im Denken und im Leben eigentlich über allem steht, denen dann aber auf einmal ein sehr traditionelles Beziehungsverhalten und so etwas wie Moral in die Quere kommt. Und ein für moderne Urbanisten überraschend katholisches Schuld-und-Bestrafungs-Schema, ein Gut-Böse-Empfinden, über das sie sich sonst eigentlich in vielen Bereichen hinwegsetzen.

ORF.at: In „Alles über Beziehungen“ taucht am Rande auch das Flüchtlingsthema auf. Viktor organisiert dazu ein Theaterfestival, seine Freunde beherbergen Flüchtlingsfamilien. Ein Stück weit klingt das so, als ginge es da vor allem um die eigene Imageaufpolierung ...

Mir ist es letztlich herzlich egal, aus welchen Gründen sich Leute engagieren. Das können auch ganz egoistische Gründe sein: Ich finde es immer gut, wenn jemand etwas tut, irgendwo anpackt, mithilft, dass die Welt an einer Stelle, und sei sie noch so klein, besser wird. Ich bewundere alle Leute, die sich in irgendeiner Weise ehrenamtlich engagieren, die andern helfen, egal aus welchen persönlichen Motiven. Ich habe jedenfalls ein ständiges schlechtes Gewissen, dass ich selbst nicht mehr tue.

ORF.at: Ist „Alles über Beziehungen“ letztlich wieder eine Abrechnung mit dem Bobodasein?

Nein, das wird mir immer unterstellt, aber darum geht’s mir gar nicht. Ich sehe mich vielmehr als eine Beobachterin, eine Geschichtenerzählerin, die sich der Gegenwart verpflichtet fühlt - in einem Milieu, das ich ein bisschen kenne. Ich möchte mir lieber nicht anmaßen, über Milieus zu schreiben, von denen ich gar keine Ahnung habe - oder über eine Vergangenheit, in der ich nicht gelebt habe. Mich interessiert das nicht so.

ORF.at: Als Kolumnistin geben Sie viel von sich und Ihrem Alltag preis. Fürchten Sie nicht, dass Ihre literarischen Texte auch vor dieser Folie gelesen werden?

Am Anfang war das wohl auch so. Deshalb war es mir bei meinem ersten Roman „Gruber geht“ auch so wichtig, etwas ganz anderes zu erzählen als in meinen Kolumnen, und in einem ganz anderen Stil. Ich wollte mich nicht dem Verdacht aussetzen, ich würde nur meine Kolumnen zu einem Buch aufblasen. Es wird einem allerdings mitunter nicht zugetraut, dass man Romane und Kolumnen schreiben, dass man zwei Genres beherrschen kann, - selbst dann nicht, wenn man sein Handwerk, wie ich, seit 30 Jahren praktiziert.

In meinen Kolumnen spielen jedenfalls Menschen aus meinem Leben, meiner Umgebung eine Rolle, denen manchmal einiges angedichtet wird. Natürlich spielen auch in meine Romane Spurenelemente aus eigenen Erfahrungen, Beobachtungen, Gehörtem und Gelesenem hinein - aber die Charaktere und ihre Geschichten sind fiktiv, ausgedacht von vorne bis hinten.